Öffnen

[587] Öffnen, verb. reg. act. offen machen, d.i. aufmachen, machen, daß andere Dinge freyen Aus- oder Zugang zu einem eingeschlossenen Raume bekommen.

1. Eigentlich, wo dieses Wort von einem weiten Umfange der Bedeutung ist, und alle die besondern Arten unter sich begreift, wodurch andern Dingen der Zugang zu einem eingeschlossenen oder verschlossenen Raume verschaffet wird, und welche man sonst durch aufmachen, aufthun, aufschließen, aufschneiden, aufgraben, aufbrechen u.s.f. ausdruckt. Zugleich ist es edler als die meisten dieser Zeitwörter, und wird daher vornehmlich in der edlen und anständigen Schreibart gebraucht. Eine Bouteille öffnen, durch Ausziehung des Stöpfels. Die Thür öffnen, so wohl durch Aufschließung des Schlosses, als auch indem man sie aufsperret. Die Fenster öffnen. Einen Brief öffnen, ihn aufsiegeln. Ein Packet öffnen, es aufbinden, aufschneiden, aufbrechen. Die Augen öffnen, sie aufmachen, aufthun, aufschlagen. Ein Grab öffnen, durch Wegnehmung der Bedeckung; ingleichen es machen, verfertigen. Die Laufgräben öffnen, sie durch Graben verfertigen. Ein Buch öffnen, es aufschlagen, aufmachen. Jemanden eine Ader öffnen, ihm die Ader schlagen. Ein Geschwür öffnen, es aufschneiden, aufmachen. Einen todten Körper öffnen, ihn aufschneiden. Ein Schloß öffnen, es aufschließen. Der Himmel öffnet sich, thut sich auf. Die Erde öffnet sich, wenn sie sich aufthut, d.i. einen beträchtlichen Riß bekommt. In einem andern Verstande öffnet sich die Erde im Frühlinge nach dem Froste, wenn die Dünste und fruchtbaren Ausflüsse ungehindert aus derselben aufsteigen können. Die Blume öffnet sich, wenn sie sich aufschließt. Weiß und unschuldig wie die Lilie,[587] wenn sie am Morgenroth sich öffnet, Geßn. Den Leib öffnen, den Ausleerungen den nöthigen ungehinderten Ausgang verschaffen.

2. Figürlich. 1) Den freyen Zugang zu etwas, den freyen Genuß, Gebrauch einer Sache verschaffen und verstatten. Die Stadt öffnete dem Überwinder die Thore, ließ ihn ungehindert einziehen. Die Magazine öffnen, das darin befindliche Getreide, jedem der es braucht, verkaufen. Das Feld, die Wiese, einen Wald öffnen, Erlaubniß ertheilen, sie mit dem Viehe zu betreiben, S. Offen. Das bescheidene Verdienst öffnet sich den Zutritt bey den Hohen und Niedrigen zugleich, Gell. Sich durch Ungestüm und Wuth der Bahn der Ungebundenheit öffnen, ebend. Welches Feld von Tugenden öffnet nicht bloß die gemeinschaftliche Erziehung ihrer Kinder! ebend. Ihm öffnete sein hoher Stand ihr Haus, ebend. 2. Jemanden sein Herz öffnen, ihm desselbe entdecken, ihm seine Gedanken und Empfindungen bekannt machen. Da sie mir ihr Herz so weit geöffnet haben, so sehen sie mich nunmehr vollends als ihren Vertrauten an, Weiße. Kein einziger öffnete mir sein Herz, Dusch. O, wie weit hätte mir das alles mein Herz öffnen können! entdecken. 3) Jemanden die Augen öffnen, ihm Einsicht und Erkenntniß verschaffen, in der Deutschen Bibel Luc. 24, 45, ihm das Verständniß öffnen. Die Schrift öffnen, erklären; nur in der Deutschen Bibel, Luc. 24, 45. Ehedem wurde es in noch weiterer Bedeutung für beweisen, offenbaren, ja für erzählen und bekannt machen überhaupt gebraucht.

Anm. Schon im Isidor, sogar in der letzten figürlichen Bedeutung offonon, bey dem Ottfried und Willeram offenen, im Angels. openian, im Nieders. apenen, im Schwed. öpna. Es ist von dem Nebenworte offen, vermittelst der Endung des Infinitives -en gebildet; öffnen für offenen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 587-588.
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