Übertreten

[781] Übertreten, verb. irreg. S. Treten. 1. Ǘbertreten, ich trete über, übergetreten, über zu treten, als ein Neutrum, mit Verschweigung des Hauptwortes, worauf sich über beziehet, und dem Hülfsworte seyn. (1) Über etwas treten, im eigentlichen Verstande. Das Pferd ist übergetreten, wenn es über den Strang getreten ist. In einem andern Verstande sagt man auch, die Schuhe übertreten. (2) Der Fluß tritt über, ist übergetreten, wenn sein Wasser über das Ufer tritt oder schreitet. (3) Zu jemanden übertreten, zu ihm übergehen, seine Partey ergreifen, ohne Bestimmung der Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit, wie übergehen. Wer zu den Irrlehrern übertritt, 2 Joh. v. 9. S. Übertritt.

2. Übertréten, ich übertrete, übertreten, zu übertreten, welches nur im figürlichen Verstande üblich ist. Ein Gesetz, einen Befehl, eine Vorschrift übertreten, dawider handeln; im Oberdeutschen übergreifen, überfahren, übergehen. Ich habe deine Gebothe noch nie übertreten, Luc. 15, 29. Der biblische Gebrauch, da dieses Zeitwort absolute und mit Verschweigung des Accusativs für sündigen gebraucht wird: des Herren Volk übertreten machen, 1 Sam. 2, 24. Traurigkeit und Armuth übertritt, Sir. 38, 20, und in andern Stellen mehr, ist ungewöhnlich, und wider die Analogie der mit über verbundenen Zeitwörter, wo der Ton auf den letztern liegt. Noch ungewöhnlicher ist die gleichfalls biblische Wortfügung[781] wider jemanden übertreten, 1 Kön. 8, 50. Es. 59, 13. Daher die Übertretung, S. solches hernach.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 781-782.
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