Ader, die

[166] Die Ader, plur. die -n, Diminutivum Äderchen, Oberdeutsch, Äderlein.

I. Diejenigen Röhren oder Canäle in den thierischen Körpern, worin gewisse Säfte ihren Umlauf haben. Besonders, 1) die Gänge des Blutes. Die Puls- oder Schlagadern, die das Blut aus der Herzkammer zu den übrigen Theilen des Leibes führen, Arteriae. Die Blutadern, in engerer Bedeutung, die es von den Theilen des Leibes wieder in die Herzkammer leiten, Venae. Eine der bekanntesten unter diesen ist die goldene Ader, Vena haemorrhoidalis, deren eigentlich zwey sind, die inwendige, und die auswendige, welche sich beyde bis in das Gefäß erstrecken, daselbst zuweilen aufschwellen und sich öffnen, welchen Blutfluß, besonders wenn er von der inwendigen herrühret, man im gemeinen Leben gleichfalls die güldene, besser die goldene Ader zu nennen pfleget. Ferner sind von den Blutadern die R.A. zu verstehen: Einem die Ader öffnen, ihm die Ader schlagen, und im gemeinen Leben, ihn zur Ader lassen, aus der Ader lassen, oder Ader lassen, durch Öffnung einer Ader etwas Blut abfließen lassen, welches auch Blut lassen genannt wird. Ich habe zur Ader gelassen, oder im gemeinen Leben auch wohl, ich habe Ader gelassen, in der Mittelgattung, ich habe mir eine Ader schlagen lassen. In einigen gesellschaftlichen R.A. wird Ader auch wohl figürlich für das Blut in den Adern gebraucht. Es ist keine gute Ader an ihm, er taugt gar nichts. Er hat keine Ader dazu, nicht die geringste Geschicklichkeit oder Neigung.


Daß Bav, der unverschämte Knabe,

Kein Äderchen zur Dichtkunst habe,

Das räumt mir jeder ein,

Bernh.


Er hat keine Ader von seinem Vater, gleicht ihm nicht im mindesten. 2) Die Gänge, worin auch andere Gäste ihren Umlauf haben. Daher in der Zergliederungskunst, die Milchadern, welche den Milchsaft in die große Gekrösdrüse führen, Venae lacteae; die Wasseradern, die dem Geblüte ein helles Wasser zuführen, Vasa lymphatica. 3) Werden auch andere den eigentlichen Adern wenigstens von außen ähnliche Theile der thierischen Körper mit diesem Nahmen belegt, wenn gleich keine Säfte in denselben ihren Umlauf haben, oder solcher Umlauf noch ungewiß ist. So werden die Fibern oder Fäserchen, Fibrae, von einigen auch Äderchen genannt. Die Sehnen führen auch den Nahmen der Bandadern, und die Nerven den Nahmen der Spannadern.

II. In weiterer Bedeutung, wegen einiger Ähnlichkeit, 1) allerley Züge in leblosen Körpern, welche wie die Adern aus- und ineinander[166] laufen. Hierher gehören die Adern in den Blättern der Pflanzen, in dem Holze, und in einigen Steinarten, besonders dem Marmor. 2) Die Gänge und kleinern Canäle des Wassers unter der Erde, und der Erze in den Bergen; Wasseradern, eine Brunnenader, eine Erzader, Goldader u.s.f. 3) Werden bey den Drathziehern und Eisenhändlern auch die kleinern Gebinde Draht, woraus ein Ring Draht besteht, und deren oft 50 bis 60 in einem Ringe sind, Adern genannt.

Anm. Ader, Fränk. und Aleman. Adara, Athara, in Oberschwaben noch jetzt Athar, Angels. Aeddre, Isländ. Aedr, Dän. Aar, scheinet eigentlich einen jeden langen, runden, dünnen Körper, eine Röhre oder Canal bedeutet zu haben, weil es ehedem auch das Eingeweide, und zunächst das Gedärm bedeutete. Machters Meinung, daß Ader ursprünglich das Blut selbst bedeutet habe, und hierin mit dem Griechischen εαρ überein stimme, hält hier, wie in mehrern andern Fällen, wohl nicht Stich. Brunnadara, für Wasserquellen, kommen schon bey dem Notker vor. Nach dem zu Augsburg 1483 gedruckten Buche der Natur gibt es »dreyerley Adern in dem Menschen. Die ersten sind Kunstadern, (venae,) da das Blut innen rinnet. Die andern sind Geystadern, zu Latein arteriae, in dem fließen die natürlichen Geist und die leiblichen Geist. Die dritten seynd Bandadern (nervi), mit den pindet die Natur die herzen (härtesten) bain in den gelidern zusammen.« Die so gemeine R.A. zur Ader lassen, die Ader lassen, oder nur schlechthin Ader lassen, ist freylich ein wenig sonderbar. Vielleicht ist die erste die unrichtigste. Lassen kann hier für ablassen stehen. Die Ader lassen würde also bedeuten, das Blut aus der Ader abzapfen, so wie man metonymisch sagt, einen Teich ablassen, und doch das Wasser des Teiches darunter verstehet. Wie das Vorwort zu in diese Redensart gekommen, wird anzugeben seyn.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 166-167.
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