Anfall, der

[287] Der Anfall, des -es, plur. die -fälle, von dem Verbo anfallen, so wohl die Handlung des Anfallens, als auch die anfallende Sache, und der Ort, an welchen der Anfall geschiehet.

1. Die Handlung des Anfallens. 1) In der eigentlichen Bedeutung des Neutrius. Der Anfall des Baumes an die Wand, der Mauer an das Haus; wofür man aber lieber den Infinitivum das Anfallen gebraucht. 2) In der figürlichen Bedeutung des Neutrius. (a) Die schnelle Annäherung, besonders bey den Vogelstellern, von den Vögeln. Auf diesem Bogen ist ein guter Anfall, die Vögel kommen gern dahin. (b) Die unvermuthete Erlangung einer Sache, besonders durch den Todesfall eines andern. Der Anfall eines Gutes. Die Clausel auf allen ledigen Anfall, welche so wohl in Ehestiftungen als auch in Lehensbriefen üblich ist, bedeutet daher in jenen eine jede Erlangung einer Erbschaft, in diesen aber den Fall der Erledigung des Lehens. 3) In

der Bedeutung des Activi, der schnelle feindliche Angriff. Der Anfall des Feindes, der feindliche Anfall. Einen Anfall auf den Feind thun. Den Feind bey den ersten Anfällen in die Flucht treiben. Große Leute weichen oft bey den leichtesten Anfällen. Ingleichen in weiterer Bedeutung, der heftige Angriff oder Ausbruch einer Krankheit, einer Leidenschaft. Der Anfall von dem Steine. Einen Anfall von dem Podagra haben. Das allerliebste Geschlecht hat doch immer seine eigensinnigen Anfälle, Weiße. Ich kenne schon dergleichen Anfälle von Tugend; sie gehen vorbey, wie ein Fieberschauer, ebend. Bereiten sie ihr Herz, den fürchterlichsten Anfällen des Schreckens und der Betrübniß Widerstand zu thun, von Brawe. Ingleichen ungestümes Bitten. Warum soll ich den unverschämten Anfällen eines jeden ausgesetzt seyn? Im weitesten Verstande oft eine jede schnelle und lebhafte Wirkung auf etwas. Den Verstand gegen so viele Anfälle der Sinne in seiner Überzeugung erhalten.

2. Dasjenige, was anfällt, doch nur in der figürlichen Bedeutung des Neutrius, ein Gut, welches man durch einen Zufall, und besonders durch einen Todesfall erlanget, anzudeuten; dergleichen Güter in dem Lateine der mittlern Zeiten Caduca und Escaetae genannt wurden. Sich aller künftigen Anfälle verzeihen. Es ist verglichen worden, daß die künftigen Anfälle als gemeinschaftliche Güter angesehen werden sollen. Ingleichen die Anwartschaft auf ein künftiges Gut, besonders auf ein Gnadenlehn, und das Recht, welches daraus entspringet; das Anfallsrecht, ingleichen, das Angefäll. Den Anfall auf etwas[287] haben. Keinen Theil noch Anfall am Worte haben, Apostelg. 8, 21. In den Schwäbischen und Sächsischen Lehnrechten wird auch die Vormundschaft, die der Lehnsherr über einen unmündigen Vasallen führet, die Anefelle, das Anfall, und die Angefelle genannt, welchen Nahmen auch die Einkünfte des Lehngutes führen, die der Lehnsherr während dieser Zeit genießet. S. Schilters Gloss. v. Anevellunge.

3. Der Ort, und die Sache, woran etwas fällt. So werden 1) in den Bergwerken diejenigen Breter oder Hölzer in den Schächten und Strecken, welche das Hangende vor dem Einfalle bewahren, der Anfall, oder im Plural die Anfälle genannt. Da indessen dieses Wort von den Bergleuten auch Anpfahl gesprochen und geschrieben wird, so stehet dahin, ob es nicht mit mehrerm Rechte zu dem Worte Pfahl gehöret. 2) Auf den Vogelherden heißen diejenigen dürren Waldbäume, welche kein Laub mehr haben, und an der einen Seite des Herdes, wo die großen Vorläufer angemacht sind, befestiget werden, Anfälle, weil die Vögel gern auf diese Bäume zu fallen pflegen.

Anm. Anfall, für ein angefallenes Gut und Anwartschaft, ist schon alt. In einer Urkunde von 1300 in der Thuring. Sacra, Th. 1. S. 571. heißt es: Omne jus successorum, quod vulgariter dicitur, anevall. Mehrere Beyspiele hat Haltaus, v. Anfall und Angefälle. Ob nun gleich dieses Wort schon in dem Schwäbischen Lehnrechte vorkommt, so muß es doch in der ersten Hälfte des 16ten Jahrhundertes in Oberdeutschland schon ziemlich unbekannt gewesen seyn, weil es in der 1523 zu Basel veranstalteten Ausgabe von Luthers neuem Testamente mit unter die unbekannten Wörter gesetzet, und durch anteil, loß, zufall erkläret wird.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 287-288.
Lizenz:
Faksimiles:
287 | 288
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika