Angehen

[299] Angehen, verb. irreg. neutr. (S. Gehen,) welches das Hülfswort seyn erfordert.

1. An etwas gehen, sich einer Sache gehend nähern, hinan gehen. So wohl,

1) Eigentlich, besonders mit dem Nebenbegriffe des Angreifens, und der vierten Endung der Person. Einen mit dem Degen in der Faust angehen. Er gehet tapfer an. Der Hund gehet Schweine an.


Bist selber angegangen,

Beherzt und ungebückt,

Opitz.


Ingleichen, in weiterer Bedeutung; einen bittlich, (besser bittend oder mit Bitten) angehen, sich bittend an einen wenden. Den Richter angehen. Wie auch für begegnen; doch nur bey den Jägern, welche, wenn sie kreisen gehen, und ihnen nichts vom Wildprete begegnet ist, zu sagen pflegen: mich ist nichts angegangen.

Ehedem erstreckte sich diese Bedeutung noch weiter. Denn nicht nur bey dem Kero bedeutet anakan, einher gehen, sondern auch Ottfried gebraucht anagan für gehen schlechthin, und zu den Zeiten der Schwäbischen Dichter war es für ankommen, sich nähern, sehr gebräuchlich.


Der schone sumer get uns an

Des ist vil manig vogel blide,

Heinrich von Veldig.


Allein heut zu Tage ist dieser ganze Gebrauch ziemlich selten geworden, und alle oben angeführte Beyspiele sind nur im gemeinen Leben und in der Sprache der Kanzelleyen üblich.

2) Figürlich, gleichfalls mit der vierten Endung der Person.[299]

(a) Mit etwas in Verbindung, in Verwandtschaft stehen. Er geht mich nichts an, ist nicht mit mir verwandt, ingleichen, ich nehme keinen Antheil an ihm. Er gehet uns in etwas an, ist weitläuftig mit uns verwandt.

(b) Der Gegenstand seyn, auf welchen ein Ausspruch, ingleichen eine Wirkung gerichtet ist, Theil an etwas zu nehmen Ursache haben. Die Sache gehet dich an, betrifft dich. Es gehet uns alle an. Was einem gesagt wird, gehet auch die andern alle an. Geht das Unglück mich an, so will ichs weit gelassener ertragen, als wenn es sie beträfe, Gell.

Das Participium angehend, adverbisch gebraucht, z.B. angehend sein Betragen, was sein Betragen betrifft, ist nur in Oberdeutschland gebräuchlich. Im Hochdeutschen wird angehen am besten nur in solchen Fällen gebraucht, wo eine Theilnehmung des Herzens angedeutet werden soll. In den übrigen Fällen gebraucht man lieber betreffen, oder anlangen.

(c) Von Statten gehen, gelingen, gemeiniglich unpersönlich und ohne Endung der Person. So gehet es nicht an. In so weit es angehen wird. Es ist sehr wohl angegangen. Ingleichen, für thunlich seyn, möglich seyn. Es gehet an, die Liebe nicht zu empfinden, Gell. Zuweilen wird es in der Bedeutung des Gelingens auch mit der dritten Endung der Person verbunden. Es ist mir nicht so angegangen, wie ich geglaubt habe. Der Streich ist ihm nicht angegangen. Aber es in diesem Falle persönlich zu gebrauchen, z.B. die Anschläge der Gottlosen gehen selten an, ist nur im Oberdeutschen üblich.

(d) Erträglich seyn. Die Schmerzen gehen noch an. Der Verlust wird noch angehen. Nun, das gehet noch an.

2. Anfangen zu gehen, doch nur in der figürlichen Bedeutung, für anfangen; und zwar,

1) Für anfangen überhaupt, so fern dieses ein Neutrum ist, einen Anfang nehmen. Die Predigt ist noch nicht angegangen. Das Treffen wird bald angehen. Das Jahr, der Sommer, der Winter geht wieder an. Die Sache wird erst recht angehen. Geht denn das Unglück gleich mit der Liebe an? Gell. Bey angehender Nacht. Mit angehendem Sommer. Wie viele Schätze schließet nicht der angehende Frühling unsern Sinnen auf!

Besonders wird das Participium angehend gebraucht, eine Sache anzudeuten, die im Begriffe ist, denjenigen Begriff zu erreichen, den das folgende Substantiv ausdruckt. So nennet man im Forstwesen einen angehenden Baum, denjenigen, der anfängt, ein starker Baum zu werden, d.i. der von dreyen Gehauen her stehen geblieben ist. Ein angehendes Schwein, heißt bey den Jägern, ein wilder Eber, der in das vierte Jahr gehet. Auf ähnliche Art sagt man auch, ein angehender Soldat, der vor kurzem angeworben worden; ein angehender Gelehrter, der die höhern Wissenschaften erlernet, ein Student. Das Lächeln ist angehender Spott.

Das davon gemachte Adverbium angehends, für anfänglich, ist nur in Oberdeutschland üblich. Übrigens ist angehen in dieser Bedeutung des Anfangens schon alt, weil es in derselben bereits bey dem Kero und bey dem Ottfried vorkommt.

2) Besonders, anfangen zu brennen. Es ist ein Feuer in der Stadt angegangen. Das Nachbars Haus geht an. Bey der letzten Feuersbrunst ist auch die Kirche mit angegangen. Ingleichen,

3) Anfangen zu faulen, oder zu verderben. Das Obst geht an. Angegangenes Obst, Fleisch u.s.f. In dieser Bedeutung ist auch in Niedersachsen angaan üblich, wo man auch anganern von solchen Dingen sagt, welche einen anbrüchigen Geschmack oder Geruch haben.[300]

Anm. Angehen wird in der Bedeutung des Anfangens auch zuweilen thätig gebraucht; z.B. um das Wahlgeschäft ohne Aufschub anzugehen. Allein dieser Gebrauch ist wohl vorzüglich der Oberdeutschen Mundart eigen. Indessen singt doch Hagedorn:


Er fordert ihn heraus, den Zweykampf anzugehen.


Ein anderer, gleichfalls nur im Oberdeutschen, und besonders in Schlesien üblicher Gebrauch dieses Verbi ist der, wenn einem angehen so viel bedeutet, als sich von ihm betriegen lassen. Hier ist die Figur ohne Zweifel von dem Angeln hergenommen, weil man von einem Fische, der an die Angel des Angelers beißet, sagen könnte: er ist ihm angegangen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 299-301.
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