Außer

[645] Außer, eine Partikel, welche in doppelter Gestalt vorkommt.

I. Als eine Präposition, welche mit der dritten Endung des Nennwortes verbunden wird, und eine Ausschließung andeutet; und zwar,

1. Eigentlich, eine Ausschließung dem Orte nach, außerhalb, im Gegensatze des veralteten inner. Außer der Stadt wohnen. Ich habe etwas Nothwendiges außer dem Hause zu verrichten. Auch außer den Pallästen der Reichen wohnt unter der Hütte von Stroh wahre Freude. Suche die Quelle deiner Zufriedenheit nicht außer dir auf. Glückseligkeit außer der Tugend suchen, heißt die Seligkeit in der Hölle erwarten, Dusch.

Hierher gehören auch folgende figürliche Redensarten. Außer sich seyn, oder kommen, sich seiner nicht mehr bewußt seyn. Er war vor Freude ganz außer sich. Ich komme ganz außer mir, Gell. Die gemeinen R.A. sich außer Athem laufen, reden,[645] schreyen, u.s.f. etwas außer Acht lassen, für aus dem Athem, aus der Acht, scheinen noch Überbleibsel des alten Gebrauches zu seyn, da außer sehr oft für die Präposition aus gesetzt wurde.

2. Figürlich, der Person und Sache nach, wo das folgende Hauptwort gemeiniglich den Artikel verlieret. Außer Stande seyn, nicht im Stande seyn. Er ist ganz außer Stande sich zu helfen. Ingleichen für ohne. Außer Gefahr, außer Schuld seyn. Sich außer Schuld setzen. Nun bin ich außer Sorgen, nun ist meine Sorge gehoben, nun habe ich keine Sorge mehr dafür. Außer Fassung, außer Thätigkeit gesetzt werden. Wenn die Thorheit gar zu groß ist, so ist gewiß das Herz selten außer Schuld, Cron. Wie auch über. Außer diesen Geldsorten hatte er noch andere. Zuweilen auch der Zeit nach, besonders in der gemeinen Redensart: es ist außer der Zeit, es ist nicht die gehörige Zeit dazu.

Hierher gehöret auch die adverbische R.A. außer dem, welche von vielen irrig als Ein Wort außerdem geschrieben wird, für, dieses ausgenommen. Ich halte sie für etwas eitel, stolz und gebietherisch; außer dem hat sie ein ganz gutes Herz, Gell. Ingleichen für über dieses. Man unterhielt, man kleidete ihn; außer dem verhalf man ihm auch zu einer guten Bedienung.

II. Als eine Conjunction, für ausgenommen, da es denn entweder mit dem Casu des dazu gehörigen Verbi, oder mit den Partikeln, daß, wo, wenn u.s.f. verbunden wird. Ich habe niemanden gebethen, außer dich. Ich habe an niemanden außer an dich, geschrieben. Sie waren alle zugegen, außer diese zwey. Es gehet alles gut, außer daß der eine Punct noch nicht bewilliget worden. Er gehet alle Tage spaziren, außer wenn es übel Wetter ist.

Anm. 1. Verschiedene Sprachlehrer schreiben der Präposition außer drey Endungen zu, den Genitiv, den Dativ, oder Ablativ, und den Accusativ. Was den Genitiv betrifft, so kommt er freylich zuweilen vor; allein er ist eigentlich der Oberdeutschen Mundart eigen, wo außer mit außerhalb verwechselt wird. Der Pilgram, welchen du siehst außer Weges wallen, Opitz. Wohin auch die noch im Hochdeutschen übliche adverbische Redensart, außer Landes, gehöret. Außer Landes seyn, wohnen, in der Fremde. Wenn man der Präposition außer einen Accusativ zuschreibet, so wird die Conjunction außer, welche zuweilen den Casum des Verbi bey sich hat, mit der Präposition verwechselt. Z.B. ich sahe niemanden außer dich, wo dich, nicht von der Partikel, sondern von dem Verbo sehen abhänget. Indessen ist nicht zu läugnen, daß es auch außer diesem Falle zuweilen mit der vierten Endung verbunden wird, besonders wenn es so viel wie das Lateinische praeter bedeutet; z.B. außer die vielen Wunden ist auch die Niederlage auf beyden Seiten gleich gewesen, in Steinbachs Wörterbuche.


Und außer ihn lebt wohl fürwahr kein ärgrer Nabal in dem Lande,

Günth.


Welche Wortfügung ohne Zweifel eine unzeitige Nachahmung des Lateinischen ist. Wenn aber Gellert an einem Orte sagt: er setzt mich durch seine gar zu große Sparsamkeit außer den Stand jemanden Gefälligkeiten zu erzeigen: so hat ihn vermuthlich die Regel verleitet, nach welcher einige Präpositionen, wenn sie eine Bewegung nach einem Orte zu ausdrucken, mit der vierten Endung verbunden werden. Allein diese Regel lässet sich hier nicht anwenden, weil die einfache Präposition aus, mit welcher außer zusammen gesetzet worden, derselben nicht unterworfen ist. Über dieß ist die ganze Redensart ein wenig ungewöhnlich; wie denn auch der Artikel hier wider den Sprachgebrauch ist.

Anm. 2. Außer, in der Schweiz außert, ist von aus entstanden, und wurde von den Alten auch für dieses Vorwort gebraucht. [646] Uzar theru menigi, aus der Menge, Ottfried. Ih sprihu uzar iu, ich spreche aus euch, ebend. Die Stelle unsers heutigen außer vertrat bey ihnen die Partikel uzana, oder außen, wovon bey dem Kero, Tatian, Notker und Ottfried häufige Beyspiele vorkommen. Die an das aus angehängte Sylbe ar ist vermuthlich das Nebenwort her, so daß außer, so viel als ausher bedeutet.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 645-647.
Lizenz:
Faksimiles:
645 | 646 | 647
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika