Begehren

[799] Begêhren, verb. reg. act. 1) Sinnlich oder mit Lebhaftigkeit verlangen. Er hat was sein Herz begehret. Reich seyn, heißt[799] wenig begehren. Wer ein Weib ansiehet sie zu begehren, Matth. 5, 28. Wie er das Glück der Menschen aufrichtig begehrt, so rühret ihn auch das Elend derselben, Gell. 2) In weiterer und figürlicher Bedeutung. (a) Dieses Verlangen wirklich machen, nach etwas streben, die Vereinigung mit einer Sache suchen; in welcher Bedeutung es aber im Hochdeutschen größten Theils veraltet ist. Er begehrt die ganze Erbschaft, strebt nach derselben. Bey den Jägern kommt begehren in dieser Bedeutung noch häufig vor. Der Hirsch begehrt das Wildbret, die Hündin den Hund u.s.f. wenn sie die Begattung suchen; der Hirsch begehrt den Zeug, wenn er darüber zu springen sucht; er begehrt den Jäger, wenn er ihn aufzuspießen trachtet u.s.f. (b) Dieses Verlangen äußern, um etwas anhalten. Eine Person zur Ehe begehren. Was ist dein Begehren? In eines Begehren willigen, eines Begehren abschlagen. Auf sein Begehren. (c) Fordern, als eine Schuldigkeit verlangen. Gehorsam von einem begehren. Hierher gehöret auch die Oberdeutsche Wortfügung etwas an einen begehren, als ein glimpflicher und gemilderter Ausdruck für befehlen. Als der Erzbischof von Bremen 1636 an die Stadt Bremen schrieb, und sich darin des Ausdruckes befehlen bedienete, beschwerete sich die Stadt darüber, und behauptete, daß statt dessen bisher begehren üblich gewesen. (d) * Nöthig haben, bedürfen, bey einigen, besonders ältern Dichtern.


Recht alsam ein rose diu sich us ir klosen lat

Wenn si des siussen touwes gert,

König Wenzel.


Ich kann, weil Wahrheit Licht begehrt,

Von dir kaum ohne Sünde schweigen,

Günth.


Ja man findet dieses Wort bey einigen Dichtern auch wohl von leblosen Dingen gebraucht, wenn sie ihrer natürlichen Schwere folgen. Der schwert knopff hinab ins tal gert, heißt es in dem Theuerdank Kap. 38.

Statt des ungewöhnlichen Substantives Begehrung, woraus doch einige Neuere das Begehrungsvermögen zusammen gesetzet haben, ist das Begehren in allen obigen Bedeutungen, in der ersten eigentlichen aber auch die Begierde üblich.

Anm. Für begehren, Dän. begiare, Schwed. begaera, war ehedem das einfache gehren sehr gebräuchlich, keron bey dem Kero, geron bey dem Ottfried, Notker, Willeram und Isidor, bey dem Ulphilas gairnan, im Angels. geornan, gyornan. Im Niedersächs. hat man auch noch giren, und im Holländ. gheren. Statt des Vorwortes von, etwas von einem begehren, gebrauchen die ältern so wohl als neuern Oberdeutschen das Vorwort an mit der vierten Endung, etwas an einen begehren. Bey beyden wird dieses Wort häufig mit der zweyten Endung der Sache verbunden, welche Wortfügung in Luthers Übersetzung der Deutschen Bibel hin und wieder beybehalten worden.


Die all meiner Tochter begern,

Theuerd.


Niemand soll deines Landes begehren, 2 Mos. 34, 22. Im Hochdeutschen ist dieser Gebrauch, so wie die Verbindung so vieler anderer Zeitwörter mit dem Genitiv, abgekommen; daher der Unterschied, den Frisch und Aichinger zwischen, eine Sache begehren, und einer Sache begehren, machen, nicht nur unnöthig, sondern auch völlig unrichtig ist, wie sich leicht mit vielen Zeugnissen beweisen ließe, wenn es nöthig wäre.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 799-800.
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