Bescheiden

[894] Bescheiden, verb. irreg. act. (S. Scheiden,) welches in seinen meisten Bedeutungen im Hochdeutschen veraltet ist, oder doch zu veralten anfängt. Es bedeutet,

1. Zutheilen, als einen bestimmten Theil anweisen, mittheilen. Einem etwas bescheiden. Die Vorsicht hat mir wenig Reichthümer, aber ein redliches Herz beschieden.


Die Sterne haben mir der Sprödsten Gunst beschieden.

Wiel.


Es ist den Sterblichen kein festes Glück beschieden.

Seit dem Asträa sich aus unsrer Welt verlor,

Cron.


Sein beschiedener, der ihm bestimmte, Theil, wofür doch im gemeinen Leben oft die alte Oberdeutsche Form, bescheiden üblich ist. Seinen bescheidenen Theil bekommen. Die Ruhe, die Zufriedenheit, ist das beschiedene Loos der Menschen, Dusch.

2. Mit einem Befehle bestimmen, besonders von der Bestimmung eines Ortes, an welchem sich jemand einfinden soll. Jemanden an einen Ort bescheiden. Ich habe ihn zu mir beschieden.


An dasselb Ort, dahin er war

Von dem Unfalo bescheiden,

Theuerd. Kap. 29.


Daher an einigen Orten noch bescheidene, d.i. bestimmte, fest gesetzte Tage. Bescheidene, d.i. beschiedene, Jahre, bedeuteten im Oberdeutschen ehedem die zur Mündigkeit bestimmten Jahre. Bis zu seinen bescheidenen Jahren, bis zur Mündigkeit. Indessen kann bescheiden hier auch das folgende Beywort seyn, und so viel als vernünftig bedeuten.

3. Bedeuten, als Vorgesetzter mit Ernst von seiner Pflicht belehren; in den Gerichten und Kanzelleyen. Du hast ihn, daß er solches unterlasse, gebührend zu bescheiden. Man muß ihn eines bessern bescheiden. 4. Esdr. 4, 52 steht noch in einigen Ausgaben: Von den Zeichen, darum du fragest, kann ich dich zum Theil bescheiden; wofür neuere Ausgaben haben: kann ich dir zum Theil Bericht geben.


Und liesen sich ganntz in kein weyß

Beschaiden,

Theuerd. Kap. 95.


Mit liebe ich dich bescheiden sol,

Winsb.


Als Salomo uns thut bescheiden,

Hans Sachs.


Ingleichen, erklären; jetzt ganz veraltet. Bescheid uns das Wortspiel, erkläre uns das Gleichniß, in einer handschriftlichen Übersetzung des neuen Testamentes bey dem Frisch. Ferner, sagen.


Als wir iuch hernach bescheiden,

Schwabenspiegel.


[894] Ach wolt ir mir rede bescheiden

Was ich herze klage,

Heinrich von Stretlingen.


Wes schuld das si das wil ich iu bescheiden,

Otto von Bottenlauben.


4. * Sich erinnern, als ein Reciprocum, in einer im Hochdeutschen gleichfalls ungewöhnlichen Bedeutung.


Wer weiß sich zu bescheiden,

Nur einer grimmen That,

Opitz.


5. Mit Bewußtseyn einräumen, sich mit Überzeugung einer Sache, besonders einer Meinung, begeben; gleichfalls als ein Reciprocum, und mit der zweyten Endung, welche Bedeutung auch im Hochdeutschen nicht unbekannt ist. Ich bescheide mich dessen gern, ich räume es gern ein, gebe es gern zu. Er wird sich dessen schon zu bescheiden wissen.


Nein, nein, bescheide dich, und hemme solche Triebe,

Günth.


Man sagte: du Betrieger! – – das wollte Franz nicht leiden.

Man sagte: deiner selbsten! – – deß mußt er sich bescheiden,

Logau.


6. * Sich au jemanden bescheiden, sich auf ihn verlassen; wenigstens scheinen folgende Stellen aus dem Opitz keinen andern Verstand zu verstatten:


Geuß deinen Grimm viel lieber auf die Heyden,

Die sich auf dich im mindsten nicht bescheiden.


Und Ps. 82, 4:


Komm, du Richter aller Heyden,

Auf dessen Macht wir uns bescheiden.


7. * Sich etwas bescheiden, es sich bedingen, ausbedingen, vorbehalten, welche im Hochdeutschen gleichfalls ungewöhnliche Bedeutung noch das Niedersächsische bescheeden hat.

Anm. Alle obige Bedeutungen lassen sich aus den Bedeutungen des einfachen Scheiden sehr gut herleiten; S. dieses Wort. Das Hauptwort, die Bescheidung, ist nicht üblich. S. Bescheid. Im Oberdeutschen gehet dieses Wort, wenigstens in der ersten Bedeutung, in einigen Gegenden regulär, ich bescheidete, für beschied, Participium bescheidet; in andern hat es in dem letztern bescheiden, wie aus einigen der oben angeführten Beyspiele erhellet. S. auch das folgende.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 894-895.
Lizenz:
Faksimiles:
894 | 895
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 5-8

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 5-8

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

554 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon