Bewègen

[965] Bewègen, verb. reg. act. außer in der dritten figürlichen Bedeutung, wo es bewog, bewogen hat; den Ort eines Körpers verändern.

1. Eigentlich, wo dieses Wort in einem verschiedenen Umfange der Bedeutung gebraucht wird. 1) In der weitesten Bedeutung. Lasset ihn liegen, niemand bewege Gebeine, bringe sie aus ihrem Orte. Kein Körper kann den andern bewegen, wenn er nicht selbst in Bewegung ist. Am häufigsten ist es in dieser Bedeutung als ein Reciprocum üblich: sich bewegen, beweget werden, seinen Ort nach gewissen Gesetzen verändern. So bewegen sich die Himmelskörper, wenn sie die von ihrem Schöpfer ihnen vorgeschriebene Bahn durchlaufen. Der Vogel bewegt sich in der Luft, wenn er flieget; der Fisch im Wasser, wenn er schwimmt; das Thier auf der Erde, wenn es kriecht, geht oder läuft. 2) In verschiedenen engern Bedeutungen. (a) Sich bewegen, von Menschen, den Leib und dessen Theile zur Erhaltung der Gesundheit bewegen, welches aus vielerley Art geschehen kann. (b) Die Theile eines Ganzen bewegen. So bewegt der Sturm das Meer, der Wind die Luft. Es bewegte sich kein Lüftchen. (c) Hin und her bewegen, einen Körper ohne Veränderung seiner Grundfläche bewegen, für erschüttern, zittern machen. So bewegt der Wind das Laub an den Bäumen. Der Sturm machte, daß sich das ganze Haus bewegte. Die Erde bebte und ward bewegt, 2 Sam. 21, 8. Die Kräfte der Himmel werden sich bewegen, Matth. 24, 29.

2. Figürlich. 1) Aufsehen, Bestürzung, Unruhe, einen Auflauf verursachen. Alle Heiden will ich bewegen, Haggai 2, 8. Das Volk bewegen, Apostelg. 6, 12; Kap. 13, 50; Kap. 17, 8, 13. Und die ganze Stadt ward bewegt, und ward ein Auflauf, Kap. 21, 30. In dieser Bedeutung ist in Bewegung bringen oder setzen im Hochdeutschen üblicher. 2) Empfindungen hervor bringen, besonders Empfindungen des Mittleidens, der Reue, der Zärtlichkeit u.s.f. Er wurde durch meine Vorstellungen sehr bewegt, gerührt. Die Zuhörer waren insgesammt sehr bewegt. Ingleichen, den Willen lenken, Entschließungen hervor bringen. Er wollte sich durch nichts bewegen[965] (zur Änderung seines bringen) lassen. 3) Besonders, mit ausdrücklicher Meldung des Zieles der Bewegung, entweder mit dem Vorworte zu, oder mit dem Bindeworte daß; in welcher Bedeutung es zugleich irregulär abgewandelt wird; ich bewog habe bewogen. Jemanden zu etwas bewegen. Ich habe mich zur Fortsetzung dieser Sache bewegen lassen. Jemanden zur Andacht, zum Mittleiden, zum Weinen, zum Lachen bewegen. Was mich am meisten dazu bewog, war dieses. Was hat sich zu diesem Zorne bewogen? Deine Aufführung hat mich bewogen, meine Hand von dir abzuziehen. Was hat dich bewogen, daß du mir so begegnest?

Anm. 1. Der Unterschied in der Conjugation rühret vermuthlich aus einer verschiedenen Mundart her. Bewegen gehet im Nieders. ganz regülar. Im Oberdeutschen kommt es mit dem Hochdeutschen überien; allein dessen ungeachtet kann die irreguläre Conjugation ein Überbleibsel irgend einer besondern Oberdeutschen Mundart seyn, von welcher die übrigen das Verbum in dieser Bedeutung entlehnet haben; zumahl da das Verbum wägen, welches von bewegen abstammet, mit diesem in der dritten figürlichen Bedeutung gleichförmig conjugiret wird. Die Niedersachsen haben, wenn sie Hochdeutsch schreiben wollen, sich in diese verschiedene Conjugation oft nicht finden können. Z.B. Du aber hast mich beweget, daß ich ohne Ursach verderbt habe, Hiob 2, 5. Siehe zu, daß dich nicht vielleicht Zorn bewegt habe, jemand zu plagen, Kap. 36, 18. So auch Sprich. 19, 18; 2 Maccab. 3, 2; Kap. 14, 27. Hingegen 4 Esr. 3, 3 heißt es: Und mein Herz ward heftig bewogen, daß ich anfing, zu dem Allerhöchsten mit furchtsamen Worten zu reden, für bewegt; neuerer Beyspiele zu geschweigen. Einige Sprachlehrer halten es so gar für gleichgültig, ob man in der dritten figürlichen Bedeutung bewegt sagt oder bewogen sagt.

Anm. 2. Be ist in diesem Worte bloß um der schärfern Bestimmung willen da. In den ältern Mundarten und der heutigen Nieders. kommt das einfache wegen in eben der Bedeutung vor. Im Goth. lautet es vagjan, bey den Franken und Alemanen uuagon und uuechan, im Angels. wagan, waegan, wegan. Es ist das Stammwort eines sehr zahlreichen Geschlechtes, zu welchem Weg, Wagen, die Wage, wagen, wiegen, Woge, und vielleicht auch wachen und wehen, und als Frequentativa die Zeitwörter wackeln, weigern, wanken, winken, und wecken gehören. Mit dem Griech. αγειν, und dem Latein. agere und vehere kommt es deutlich überein. Bey dem Hornegk bedeutet bebegen, pewegen, nicht allein movere, sondern auch sich entschließen, und sich weigern. Si bewigt sih min, kommt für, sie begibt sich mein, bey einem der Schwäbischen Dichter vor. Bewegen für erwägen, welches Luc. 2, 19 vorkommt, ist im Hochdeutschen veraltet. Die Niedersachsen haben außer dem Activo wegen auch noch das Neutrum wogen, sich bewegen, oder beweget werden. Die Bewegung S. hernach besonders.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 965-966.
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