Beyde

[979] Beyde, ein Adjectiv, welches alsdann gebraucht wird, wenn zwey Dinge zusammen genommen werden, oder als zusammen genommen betrachtet werden sollen, für alle zwey. Es ist in doppelter Gestalt üblich.

I. Als ein eigentliches Adjectiv, welches in manchen Stücken den Pronominibus ähnlich ist, weil es nur selten einen Artikel vor sich leidet. Es stehet in dieser Gestalt,

1. Am häufigsten im Plural, in so fern die zwey Dinge, welche als zusammen genommen betrachtet werden, wirklich zwey verschiedene Dinge sind, da es denn in allen drey Geschlechtern beyde lautet. Beyde Hände gebrauchen. Auf beyden Augen blind seyn. Auf beyden Achseln tragen. Man muß beyde Theile hören. Sind denn beyde Geschlechter nur dazu geschaffen, daß sie einander schaden sollen? Ingleichen mit einigen Pronominen. Meine beyden Brüder. Die Armuth seiner beyden Verwandten. An diesen beyden Orten war ich auch. Die beyden Weiber da, wo die nicht der Artikel, sondern das verkürzte anzeigende Pronomen ist.

Beyde kann auch relative ohne ausdrückliche Beyfügung des Hauptwortes stehen. Abraham und Sara waren beyde alt. Zwey Briefe, die beyde zu Einer Zeit geschrieben worden. Ich will sie beyde nehmen. Es geschehe denn mit beyder Bewilligung. Aus beyden eines machen. Sie sind beyde arm. Du mußt eines von beyden wählen. Das hieße an beyden zum Verräther werden. Wir beyde sind neugierig, oder wir sind beyde neugierig. Einer von beyden, in der Schweiz einetweder. Keiner von beyden, eben daselbst keinetweder.

Zuweilen wird um des Nachdruckes willen auch alle vorgesetzet. Sie beschämet uns alle beyde. Sie werden alle beyde in die Grube fallen. Auch gibt es einige, doch nur wenige Fälle, wo man es mit dem Artikel antrifft, obgleich dieses Beywort seine Hauptwörter schon so genau bestimmt, daß der Artikel unnöthig wird; z.B. die beyden Häuser in der Peters-Straße gehören[979] ihm. Der beyden keiner soll es haben, wofür man doch lieber sagt, keiner von beyden soll es haben.

2. Wenn aber diese zwey zusammen genommene Dinge als ein Ganzes betrachtet werden, so stehet statt beyde das Neutrum beydes im Singular, mit Auslassung der Hauptwörter. Lasset beydes, nehmlich das Unkraut und den Weitzen, mit einander wachsen. Man muß beydes thun. Er gestand beydes. Ich will dir beydes geben. Beydes ist ungegründet. Beydes Werth ist zu hoch angegeben. Ich will zu beydem behülflich seyn. Von beydem ist hier die Rede nicht. Zuweilen auch mit dem verstärkenden alles. Man muß alles beydes thun. Es gehöret alles beydes dazu. Indessen lässet sich dieser Singular nicht von Personen, sondern nur von Sachen gebrauchen, und auch bey diesen nur von solchen Sachen, welche sich mit Anstande als ein Ganzes betrachten lassen. Von zwey Häusern sagt man z.B. nicht, beydes gefällt mir nicht, sondern beyde gefallen mir nicht.

II. Als eine Conjunction, zwey Sachen oder Sätze mit einander zu verbinden, für so wohl. In dieser Gestalt kommt so wohl der Plural beyde, als auch der Singular beydes, jener mehr von Personen, dieser aber mehr von Sachen vor. Beyde Männer und Weiber. Beyde groß und klein. Es fiel beyde Mann und Pferd. Beyde Juden und Griechen. Beyde wir und unsere Väter. Beydes Leben und Tod steht in deiner Gewalt. Was Jesus beydes gethan und gelehret hat. Er regieret beydes im Weltlichen und im Geistlichen.


Beide im Herze und auch in sinne,

Kaiser Heinrich.


Baide plumen und das gras,

Stryker.


Doch diese ganze Conjunction ist im Hochdeutschen veraltet, und verdienet nur bloß um deßwillen angemerket zu werden, weil sie in der Deutschen Bibel noch häufig vorkommt.

Anm. 1. In den wenigen Fällen, wo das Adjectiv beyde den Artikel leidet, wird es auch nach der zweyten Declination der Adjectiven decliniret. Eben dieses geschiehet auch, wenn es die zueignenden, anzeigenden und fragenden Pronomina vor sich hat. Meine beyden Brüder; meiner beyden Augen; diese beyden Häuser; welche beyden meinest du? Mit den persönlichen Pronominen und in den übrigen Fällen folget es der dritten Declination der Beywörter. Sie beyde haben ihn gesehen. Ihr beyde seyd thöricht u.s.f.

Anm. 2. Beyde lautet bey dem Kero pedo, und in der zweyten Endung pedero, in dem alten Bündnisse des Königes Ludwig von 842 in der zweyten Endung bedhero, bey dem Ottf. bethiu, bethe, bediu, bey dem Tatian beidu, im Angels. butu, butwo, batwo, im Engl. both, im Dän. baade, im Böhm. und Pohln. oba. Die Abstammung dieses Wortes ist so ausgemacht noch nicht. Die letzte Sylbe de ist vermuthlich das alte twa, two, Nieders. twey, zwey. Daß aber die erste Sylbe das gleichfalls alte Zahlwort bå, bo, bey dem Ulphilas bai sey, welches gleichfalls zwey bedeutet, und wovon das Lat. bis, und ambo, seiner letzten Sylbe nach, abzustammen scheinen, ist um deßwillen unwahrscheinlich, weil beyde Wörter gerade eines und eben dasselbe bedeuten, welches wider die Gewohnheit fast aller Sprachen ist. Herr Ihre, dem diese Ableitung zugehöret, hat diesen Zweifel selbst nicht gehoben. Bey dem Ulphilas kommt noch eine andere Form dieses Wortes vor, welche vielleicht die älteste ist, nehmlich bagotho, bagothum, wovon bai bey eben demselben nur eine Zusammenziehung zu seyn scheinet. Das Dänische begge, welches auch beyde bedeutet, ist hiermit genau verwandt. Einige gezierte Mundarten sprechen dieses Wort beede, und in einigen Oberdeutschen Gegenden unterscheidet man alle drey Geschlechter durch beede, bode, beyde, welches denenjenigen zur Nachahmung empfohlen wird,[980] welche den Hochdeutschen das gleichfalls Oberdeutsche zween, zwo, zwey so gerne aufdringen wollen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 979-981.
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