E

[1625] E, der fünfte Buchstab des Deutschen Alphabetes und der zweyte unter den Vocalen oder Hülfslauten.

1. Dieser Buchstab hat im Hochdeutschen einen doppelten Laut, indem er theils wie das e der Lateiner in meus, heri, bene, merito u.s.f. theils aber auch wie ä lautet.

Das erste e, welches auch das hohe e genannt wird, und, wenn es den Ton hat, dem e fermé der Franzosen gleicht, wird am häufigsten gebraucht; ob sich gleich alle die Fälle, in welchen es vorkommt, nicht leicht unter gewisse bestimmte Regeln bringen lassen. Vor dem h ist es in den meisten Fällen hoch, und hat zugleich den Ton; wie in géhen, séhen, stéhen, méhr, u.s.f. Indessen gibt es auch Fälle, wo es wie ä lautet, wie in fêhlen, hêhlen, Hêhler, stêhlen, Mêhl, nêhmen, sêhnen u.s.f. In zehren, wehen, drehen und andern mehr, wird es selbst im Hochdeutschen oft hoch, am häufigsten aber tief ausgesprochen.

Das tiefe ê, das e ouvert der Franzosen, lautet wie ä, und findet sich in der ersten Sylbe vieler zweysylbigen Wörter, dergleichen lêben, gêben, Hêbel, lêdig, rêden, Sêgel, Kêgel, Êlend, lêsen, Wêsen, bêthen, trêten, sêlig u.s.f. sind. In allen diesen Fällen ist es zugleich gedehnt und hat den Ton. Geschärft aber ist es in Bêrg, Wêrk, Zwêrg, Êssig, Kêssel, lêcken, Zwêck, strêcken u.s.f.

Das verdoppelte e oder ee, oder das Zeichen des gedehnten e, ist in den meisten Fällen hoch, See, Klee, Meer, Heer, Beere, leer, Seele, das Beet, Allee, die Beete. Denn Scheere, scheeren, scheel, Meet, sind bloße Neuerungen, für Schere, scheren, schel, Meth.

Da der Übergang von einem Selbstlaute zu dem andern in allen Sprachen etwas gewöhnliches ist, so darf man sich auch nicht wundern, wenn verschiedene Deutsche Mundarten statt des Hochdeutschen e andere Töne hören lassen. So sprechen die rauhern Oberdeutschen Mundarten, linka Seitha für linke Seite, Wunda für Wunde; die Schlesier Fahl für Fell, Nalken für Nelken, ihrlich für ehrlich, Siele für Seele, gihe für gehe; die Pfälzer Ältisten für Ältesten, spätisten für spätesten, wehrtister für werthester; einige Niedersachsen Bieke, in zwey Sylben, für Beke, Bach, Tiewe für Tewe, Hündinn, Jesel für Esel u.s.f. Selbst die Hochdeutsche Mundart ist davon nicht frey; denn daher rühret unter andern auch die Verwandtschaft der Vocale so wohl in vielen abgeleiteten Wörtern, als auch in der Conjugation der irregulären Zeitwörter. So kommt von Berg Gebirg, und von Werk wirken; so gehet das e in a über, in kennen, ich kannte, gekannt, brennen, brannte, gebrannt, genesen, genas; in ie, befehlen, du befiehlst, schwer, schwierig; in i, bergen, du birgst, geben, du gibst, brechen, brichst, brich, ich esse, du issest; in o, ich pflege, gepflogen, brechen, gebrochen, schelten, gescholten; zuweilen, obgleich seltener, auch in u, stehen, ich stund, für ich stand, werden, ich wurde.

2. Der Gebrauch dieses Buchstaben ist von einem sehr weiten Umfange. Ohne hier dasjenige zu wiederholen, was in der Sprachlehre und Orthographie davon gesagt worden, sollen nur ein Paar Stücke davon bemerket werden.

1) Am häufigsten dienet dieser Vocal zur Flexion der Wörter am Ende, welche der Regel nach allein durch ihn geschiehet. Er[1625] dienet zur Declination, der Mann, des Mannes, dem Manne, die Männer; der Trieb, des Triebes, dem Triebe, die Triebe. Zur Comparation, süß, süßer, der süßeste; hoch, höher, am höchsten. Zur Conjugation, ich tödte, du tödtest, er tödtet, ich tödtete, getödtet, tödten. In allen diesen Fällen ist er kurz, und gemeiniglich auch von dem Tone verlassen. Ja er wird in vielen Fällen gar weggelassen, wie hernach wird gesagt werden.

2) Dienet dieser Buchstab auch zur Bildung neuer Wörter. So werden aus Adverbien vermittlest des angehängten e Hauptwörter, das Abstractum derselben auszudrucken; gut, Güte, lieb, Liebe, stark, Stärke, groß, Größe, mild, Milde, dürr, Dürre u.s.f. Alle solche Substantive sind weiblichen Geschlechtes.

3) Eine der vornehmsten Verrichtungen dieses Vocales ist die Beförderung des Wohlklanges. Dieses e euphonicum verdienet hier ein wenig umständlicher entwickelt zu werden.

Die Hochdeutsche Mundart beobachtet die Mittelstraße zwischen der allzu großen Weichlichkeit der Niedersächsischen, und der rauhen Härte der Oberdeutschen Mundart. Die letztere zu mildern, hat sie unter andern auch den weichen Consonanten b, d, g, s, dem gelinden ß, und dem w, welche am Ende nicht anders als hart ausgesprochen werden können, ihre erste gelinde Aussprache wieder gegeben, und dieses konnte nicht anders als durch Anhängung eines e geschehen. In Bild, Sieb, Raub, lang, des, Haß lauten die letzten Consonanten, wie t, p, k, ß und ss. Allein in tausend andern Wörtern, wo die Hochdeutsche Mundart weichere Mitlaute hören lassen will und muß, ist das e unentbehrlich. Dahin gehören Bube, Knabe, Schwabe, Gewölbe, Gewerbe, Glaube, Rabe, Gnade, Friede, behende, spröde, blöde, Schade, geschwinde, Heide, Habe, Stube, gerade, herbe, Gebäude, Gewinde, Gemählde, Ende, enge, geringe, träge, das Beschläge, das Auge, Gebirge, Gedränge, böse, lose, leise, weise, Franzose, Matrose, Hase, Accise, Gekröse, Getöse, Preuße, Löwe; ingleichen die Imperativi, welche sich auf einen von diesen Mitlauten endigen, liebe, büße, begnüge, borge, sage, klage u.s.f. Alle diese Wörter lauten im Oberdeutschen hart Bub, Knab, Schwab, blöd, Rab, Heid, bös, weis, Has u.s.f. In andern Wörtern aber, wo die Hochdeutsche Mundart die Oberdeutsche Aussprache behalten hat, würde es ein Fehler seyn, sie durch ein angehängtes e weicher zu machen. Man spricht und schreibt also bald, Geduld, Schuld, lang, (außer wenn es das Nebenwort der Zeit lange ist,) jung, gib, lis u.s.f.

Dieser Regel folgen auch einige andere Wörter, welche sich auf einen Hauch- oder Lippenbuchstab endigen, denen im Hochdeutschen gleichfalls ein e angehänget wird, vermuthlich, um die harte Einsylbigkeit dadurch zu heben. Dergleichen Wörter sind, z.B. Affe, Laffe, Gedanke, Funke, Schnepfe, Franke, Türke, Sache, Stampfe, Drache u.s.f. dagegen Glück, Geschick, dick, Graf, Gespräch und andere dieser Milderung nicht bedürfen.

Auch gehören hierher die Gentilia, welche sich nicht auf ein r endigen, und dergleichen außer den oben gedachten sind, der Däne, der Schwede, der Pohle, der Russe, der Norwege, der Böhme, der Hesse, u.s.f. welche dieses e nur um des Wohllautes[1626] willen annehmen, dagegen die, so sich auf ein r endigen, wie Baier, Perser, Indier, Pommer, Märker u.s.f. es nicht bedürfen.

Hieraus erhellet zugleich, wie unrecht diejenigen daran sind, welche manchen Wörtern, die nicht unter diese Fälle gerechnet werden können, ein unnützes e anhängen, und späte, ofte, dünne, Narre, schöne, ihme, indeme, Poete, Prophete, Fürste u.s.f. sprechen und schreiben. Eben so merklich ist der Übelklang bey den auf solche Art ohne gehörige Ursache verlängerten Neutris, Glück, Geschick, Geschenk, Geschlecht, Geblüt, Gemüth, Gesetz, Netz, Gedicht, Gerücht, Gewicht, Geräusch, Gewächs u.s.f. Nur einige einsylbige Nebenwörter vertragen dieses e, wenn sie am Ende einer Periode zu stehen kommen, um den Mißklang zu vermeiden, den ein einsylbiges Wort in diesem Falle verursachen würde. Mehr ist von diesem e in der Orthographie gesagt worden.

3. Weil das e, nicht das e euphonicum, sondern dasjenige, welches die Wörter am Ende beugen hilft, die Rede oft schleppend macht, so kann und muß es oft weggelassen werden. Diese Weglassung ist,

1) Nothwendig. (a) Im Dative der Hauptwörter, wenn sie ohne Artikel stehen, S. 1 Der, S. 1454. (b) In einigen Superlativen. Der beßte oder beste für besseste, der liebste für liebeste, der dümmste, frömmste, gröbste, höchste, nächste, schwächste, jüngste, längste u.s.f. Besonders diejenigen, welche sich im Positive auf ig, lich, ach, bar, sam, em, en und er endigen. (c) In den Mittelwörtern der vergangenen Zeit auf et, ein Geliebter für Geliebeter, Betrübter für Betrübeter, verstimmte Saiten, ein geübter Redner u.s.f. Nur nicht, wenn schon ein anderes t vorher gehet: ein gerichtetes Haus, nicht gerichttes, ein verpflichteter Diener. (d) In einigen Zeiten mancher Verborum. Ich liebte, lobte, für liebete, lobete. (e) In den Endungen elen, eren der Zeitwörter, wo am besten das zweyte, von härtern Mundarten aber das erste e verbissen wird. Mauern, (mauren) dauern, (dauren) lauern, (lauren) für maueren, daueren, laueren; mangeln, (manglen) segeln, (seglen) für mangelen, segelen.

2) Bloß erlaubt ist sie, besonders in der vertraulichen Sprache des Umganges und in der Poesie, in allen Fällen, wo der Wohlklang nicht darunter leidet, das ist, wo durch die Zusammenziehung nicht zu viele und zu harte Mitlauter zusammen kommen. So wird das e des Genitivs und Dativs, auch wenn ein Artikel vorhanden ist, in den Adjectiven auf ein kurzes en, in den Mittelwörtern der vergangenen Zeit auf en, in den Infinitiven mancher Zeitwörter, in den Comparativen und Superlativen u.s.f. sehr oft verschlungen. Die kühle Luft am Abend, die Stärke des Thiers, sein eignes Vermögen, geh, steh, beßre Menschen, das völlste Faß.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1625-1627.
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