Ecke, die

[1633] Die Êcke, plur. die -n, Diminut. das Eckchen, des -s, plur. ut nom. sing. die scharfe Fläche, welche aus dem Zusammenstoßen der äußersten Puncte zweyer Linien gebildet wird. 1. Eigentlich, da dieses Wort so wohl von der äußern scharfen Fläche, als auch von dem innern Winkel gebraucht wird. 1) Von der äußern scharfen Fläche. Eine Figur von drey Ecken. Die Ecke des Hauses. Und lauret an allen Ecken, d.i. der Häuser, Sprichw. 7, 12. Die Ecke eines Waldes. In etwas weiterer Bedeutung wurden auch Vorgebirge, Landzungen u.s.f. ehedem Ecken genannt. Von der Ecke an dem Salzmeer, das ist, von der Zungen die gegen Mittagwärts gehet, Jos. 15, 2. Daher rühren noch viele eingenthümliche Nahmen, z.B. Saneck, eigentlich ein Vorgebirge an dem Sanflusse, Mureck u.s.f. 2) Von dem innern Winkel; doch nur in einigen Fällen des gemeinen Lebens. Sich in eine Ecke verstecken. Der Stock stehet in der Ecke. Die Ecken des Auges, des Mundes. Ingleichen, ein jeder kleiner verborgener Ort, ein Ort, wo man sich verbirgt. Ich habe ihn in allen Ecken gesucht. 2. Figürlich. 1) Das äußerste Ende einer Sache. In diesem Verstande werden die vier Enden oder Gegenden der Welt, so wohl in der Deutschen Bibel, als im gemeinen Leben, häufig die vier Ecken genannt. Ich sahe vier Engel stehen auf den vier Ecken der Erde, Offenb. 7, 1. Vermuthlich gehöret hierher auch die im gemeinen Leben übliche R.A. bunt über Eck gehen, d.i. verwirrt zugehen, welche mehrmahls bey dem Opitz vorkommt; z.B. Sollt alles nach der Zeit bunt über Ecke gehen. 2) Ein kurzer Raum, eine kurze Weite, im gemeinen Leben. Es ist nur eine kleine Ecke bis dahin. Darf ich nicht ein Eckchen mitgehen? 3) Ecken, Eckchen heißen in manchen Gegenden zwey an einander gebackene Brote oder Semmeln; S. Ecksemmel. An andern ist es dasjenige Stück, welches zuerst von einem Brote abgeschnitten wird.

[1633] Anm. 1. Ecke lautet in der heutigen Bedeutung bey dem Stryker Ekke, und im Niedersächsischen Egge. Die erste Bedeutung dieses Wortes ist scharf, spitzig. Daher ist zwiekkiu bey dem Notker so viel als zweyschneidig, und egge Wapen, egge Tüg, bedeuteten ehedem in Niedersachsen schneidende Waffen, schneidende Werkzeuge. In dieser Bedeutung gehöret es zu einem sehr zahlreichen Geschlechte von Wörtern, welches sich durch alle ältern und neuern Sprachen ausgebreitet hat. Dergleichen sind das Dän. Eg, und Schwed. Aegy, die Schneide, das Engl. Edge, das Angels. Ecge, die Schärfe, ecged, scharf, das Griech. ακƞ, die Spitze, ακαζω, ich wetze, das Latein. acies, acus, acidus, acuo, selbst das Latein. ignis, das Wend. oign, Feuer, und das Ungar. egek, ich brenne, entweder, von der spitzigen Gestalt der Flammen des Feuers, oder auch von der durch das Brennen verursachten Empfindung, und tausend andere. S. Axt, Achel, Hacke u.s.f. Im Nieders. bedeutet Egge auch den äußersten Rand an der Leinwand und dem Tuche, die Salleiste; Oker ist in eben dieser Mundart der scharfe Winkel des Daches mit dem Boden, und Huuk der Winkel, ingleichen das Zäpfchen in dem Halse. S. auch Ort, Horn, Kante, welche viele Bedeutungen mit Ecke gemein haben.

Anm. 2. Dieses Wort ist im Oberdeutschen ungewissen Geschlechtes, das Eck, des -es, plur. die -e, welches Geschlecht auch von einigen Hochdeutschen beybehalten worden. Das Eck der Erden, Cron. Wenn dieses Wort eine mit Ecken versehene Figur bedeutet, in den Zusammensetzungen, Dreyeck, Viereck, Sechseck u.s.f. da ist es auch im Hochdeutschen ohne Ausnahme ein Neutrum.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1633-1634.
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