Ent

[1814] Ent, – eine untrennbare Partikel, welche nur in der Zusammensetzung mit Verbis und einigen wenigen andern Partikeln üblich ist. Sie bedeutet,

1. Eine Bewegung von einem Orte, da sie denn so wohl den Verbis neutris, als activis vorgesetzet werden kann. 1) Eigentlich, für weg, und in einigen Fällen auch für aus und ab. Dahin gehören, entarten, sich von seiner Art entfernen, ausarten, entfahren, entfallen, entfernen, entfliegen, entführen, entgehen, entheben, entkommen, entlassen, entlaufen, entlegen, entlehnen, entlocken, entnehmen, entreißen, entrinnen, entrücken, entsagen, entschlagen, entsetzen, entsinken, entsteigen, entwachsen, entwehren, entweichen, entwenden, entwischen, entwöhnen, entziehen, entzücken u.s.f. 2) Figürlich, eine Beraubung, welche durch das folgende Verbum näher bestimmt wird, oder das Gegentheil von der Bedeutung des folgenden Verbi, für los, ab oder auch ver. In diesem Verstande sind die mit ent zusammen gesetzten Zeitwörter in den meisten Fällen das Gegentheil von denjenigen, welche die Partikel be vor sich haben. Dergleichen sind, entbinden, los binden, entbrechen, entdecken, entehren, enterben, entfalten, entfärben, entbehren, entsesseln, enthaupten, entheiligen, enthüllen, entkleiden, entleiben, entkräften, entladen, entlasten, entmannen, entmasten, entrathen, enträthseln, entrunzeln, entschuldigen, entseelen, entsiegeln, entstehen, fehlen, entsündigen, entvölkern, entwaffnen, entweihen, entwickeln, entwölken, entwurzeln, u.s.f. In beyden Bedeutungen ist diese Partikel schon alt. Denn es finden sich nicht nur bey dem Ulphilas der gleichen mit and und anda zusammen gesetzte Zeitwörter, sondern sie kommen auch bey den Alemannischen und Fränkischen Schriftstellern von des Kero Zeiten an beständig vor, wo aber die Partikel bald ant, int, unt, bald nur en und in, und wenn ein f folgt, zuweilen inp oder emp lautet. So sagte man ehedem inpfaren, für entfahren, empfliehen, für entfliehen u.s.f. Doch diese Form ist veraltet, und man hat sie nur noch bey einigen Zeitwörtern in der folgenden zweyten Bedeutung behalten. Im Angelsächsischen lautet diese untrennbare Partikel aet, et, and, im Dänischen und und inde, im Holländ. ont, und im Nieders. unt. Das t scheinet bloß um des Wohlklanges willen eingeschaltet zu seyn, und es ist wahrscheinlich, daß diese Partikel zu dem Geschlechte der Wörter un, ohne und von, vielleicht auch zu dem Latein. inde, gehöret. Das Schwed. Nebenwort undan bezeichnet gleichfalls eine Bewegung von einem Orte. In beyden Bedeutungen können vermittelst dieser Partikel[1814] neue Verba gebildet werden. Da über dieß die mit derselben zusammen gesetzten edler und anständiger sind, als die mit den gleich bedeutenden Wörtern weg, ab, los u.s.f. so wissen sich die Dichter dieser Freyheit sehr gut zu bedienen, worin man sie auch nicht tadeln darf, wofern nur diese Zusammensetzung nicht wider die Analogie geschiehet.

2. In einigen, obgleich wenigen, Zeitwörtern scheinet diese Partikel eine Bewegung in und nach einem Orte auszudrucken, und vermittelst des t euphonici aus den Vorwörtern an und in entstanden zu seyn. Dergleichen sind entbiethen für anbiethen, entrichten, sich enthalten, an sich halten, enthalten, in sich halten, das Nebenwort entgegen, ehedem ingegen, engegen, das im gemeinen Leben übliche entlang, längs, in die Länge, und die Zeitwörter empfahen, empfangen, empfehlen, und empfinden, wo das ent um des Wohlklanges willen in emp verwandelt worden. S. Em. Von mehrerer Erweislichkeit ist,

3. Diejenige Bedeutung, nach welcher ent den Ursprung, den Anfang einer Handlung oder eines Zustandes ausdruckt. Dahin gehören, entbrennen, entglimmen, entschlafen, einschlafen, entschlummern, entspinnen, entsprießen, entspringen, entstehen, anfangen zu seyn, entzünden, und vielleicht auch entrüsten. Vermuthlich ist auch hier die Partikel aus dem Vorworte an entstanden, weil man in eben der Bedeutung auch sagt, anbrennen, anglimmen, anspinnen, und anzünden. Die erstern sind auch in dieser Bedeutung von edlerm Gebrauche, als die mit andern gleich bedeutenden Partikeln zusammen gesetzten Zeitwörter; nur daß diese Bedeutung so wenig als die vorher gehende neue willkührliche Zusammensetzungen leidet.

4. In vielen Zeitwörtern scheinet die Partikel bloß eine intensive Kraft zu haben, und die Bedeutung des folgenden Zeitwortes zu verstärken. Dergleichen sind, entäußern, entblöden, ehedem auch erblöden, entblößen, entledigen, entleeren, entübrigen, entscheiden, entsinnen, entsprechen, entwerfen, entlernen für erlernen u.s.f. Doch wenn man die Sache genau untersucht, so wird man finden, daß sich alle diese Zeitwörter zu einer von den beyden Bedeutungen der ersten Classe rechnen lassen; nur daß man auch in dieser Bedeutung mit dem ent keine neuern Zusammensetzungen wagen darf.

5. Man leget dieser Partikel vor den Zeitwörtern noch verschiedene andere Bedeutungen bey, vornehmlich aber die Bedeutung des Vorwortes gegen oder wider nach dem Griech. αντι; allein diese und andere Bedeutungen sind so erwiesen noch nicht. In entzwey, und dem veralteten entzwischen, ist ent das Vorwort in, weil man auch sagt inzwey und inzwischen. In entweder ist die erste Sylbe das Zahlwort ein, welches im Oberdeutschen einte lautet, S. Ein II. Das Oberdeutsche enthalb, auf jener Seite, jenseit, ist aus dem Oberdeutschen Nebenworte enthen, dort, daselbst, zusammen gesetzet, Griech. ενθα. Anderer veralteter Bedeutungen dieser Partikel nicht zu gedenken.

Anm. Überhaupt ist noch von dieser Partikel zu merken, daß sie in den mit derselben zusammen gesetzten Zeitwörtern niemahls den Ton hat; dagegen die zwey noch mit ant zusammen gesetzten Wörter Antlitz und Antwort, denselben jederzeit auf der ersten Sylbe haben. S. diese Wörter.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1814-1815.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika