Fressen

[278] Frêssen, verb. irreg. act. ich fresse, du frissest, er frisset oder frißt; Imperf. ich frāß, Conjunct. ich fräße; Supin. gefressen; Imperat. fríß. 1. Eigentlich, essen, zur Nahrung zu sich nehmen, doch in verschiedenen Einschränkungen. 1) Von allen Arten von Thieren, wenn sie Nahrung zu sich nehmen. Der Wolf hat ein Lamm gefressen. Die Heuschrecken haben alles Getreide gefressen. Die Würmer werden ihn fressen. Dem Viehe zu fressen geben. Ein fressendes Pfand, ein lebendiges, welches Nahrung bedarf. Friß Vogel oder stirb! Von Raubthieren gebraucht, bedeutet es so viel als zerreißen. Von einem wilden Thiere gefressen werden. Die Jäger gebrauchen diesen Ausdruck nur von dem Schwarz- und Rothwildbrete, dagegen sie von den andern Arten sich äßen und weiden sagen. 2) Von Menschen. (a) Ein unanständiges oder unmäßiges Essen zu bezeichnen, in der harten Sprechart. Fressen und saufen, unmäßig essen uns trinken.


Ein berühmter Held im Fressen,

Den das Schlemmen aufgeschwellt,

Haged.


(b) Für essen überhaupt, in den niedrigen Sprecharten. Er hat einen Narren an ihm gefressen, figürlich, er hat eine unmäßige, blinde Liebe zu ihm. Sein Leid in sich fressen, figürlich, sich heimlich kränken, ohne seinen Gram auszulassen. Er will alle Wissenschaften gefressen haben. 2. Figürlich, verzehren, vertilgen, verderben, auch von leblosen Dingen. Wegert ihr euch aber -so sollt ihr vom Schwert gefressen werden, Es. 1, 20. Das Feuer fraß die zwey hundert und funfzig Männer, 4. Mos. 16, 35. Darum frißt der Fluch das Land, Es. 24, 6.


Du führst in deinen Schiffen einen Feuerfunken

Der beyde Welten frißt,

Raml.


Der Rost frißt das Eisen, der Krieg hat viel Volk gefressen, es frißt ihn der Neid. Ein Geschwür, der Krebs frißt um sich, frißt weiter, wenn es sich weiter ausbreitet und die gesunden Theile verderbt. Ein fressender Schade.

Anm. Das Hauptwort die Fressung ist nicht üblich. Dieses Zeitwort lautet bey dem Ottfried und Notker frezzen, im Dän. fraadse, im Nieders. und Holländ. freten, im Angels. und bey dem Ulphilas fretan, im Engl. to fret, im Schwed. fraeta, im Griech. βρυττειν. Es hat in allen Sprachen einen verächtlichen Nebenbegriff; doch gebraucht es Ottfried ein Mahl im guten Verstande für essen. Nie frazun sie iz allas, sibun korbi vbarlaz, sie aßen nicht alles auf, sondern ließen noch sieben Körbe übrig, B. 3, Kap. 6. Frisch und andere glauben, daß dieses Wort aus veressen, aufessen, verzehren, zusammen gezogen sey, zumahl da Königshofen verasen für fressen braucht. Es kann aber auch durch Vorsetzung des Blaselautes aus reißen, Nieders. riten, Lat. rodere, entstanden seyn, woraus sich denn auch der niedrige Nebenbegriff, welcher dem Worte anklebt, am besten erklären läßt.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 278.
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