Genesen

[563] Genêsen, verb. irreg. ich genese, du genesest, er geneset; Imperf. ich genas; Mittelw. genesen; Imperat. genese; welches dem weitesten Umfange seiner ehemahligen Bedeutungen nach in doppelter Gestalt üblich.

I. Als ein Activum. 1. * Überhaupt erretten, aus einer Noth, von einer Gefahr, Verlegenheit befreyen; eine veraltete Bedeutung, in welcher schon ganisan und nasgan bey dem Ulphilas vorkommt. Andere teta er genesen, sih ne mag er selber generien, Notk. er hat andern geholfen, er helfe sich nun auch selbst. Das letztere generien ist bloß durch die gewöhnliche Verwechselung des r und s aus genesen, oder dieses aus jenem entstanden. Genere mih, errette mich, Notk. In eben diesem Verstande gebraucht Ottfried das einfache neran. Das Angels. nerian und Schwed. naera bedeutet nicht nur nähren, sondern überhaupt erhalten, erretten, und Nerigend im Angels. und Nerrendh im Isidor, einen Heiland. Der Gegensatz ist das veraltete verneißen, bey dem Notker ferniuzzen, verderben. S. Nähren und Genießen. 2. * Besonders, von einer Krankheit befreyen, heilen; bey dem Notker keneran, bey dem Königshofen erneren, bey dem Ulphilas ganasjan. In diesem Verstande ist es noch in einigen Oberdeutschen Gegenden und im Holländischen üblich, wo auch Genesmeister, Holl. Geneesmester, einen Arzt, die Geneskunst die Arzeneykunde, und Geneslohn den Arztlohn bedeutet.

II. Als ein Neutrum, welches das Hülfswort seyn erfordert. 1. * Erhalten, errettet, aus einer Gefahr, aus einer Verlegenheit befreyet werden, am Leben bleiben; eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung. Thiu mag genesan vore themo haveko, die kann von dem Habichte befreyet werden, Willer. Dadurch der pawr vor dem todt genaß, bewahret wurde, Theuerd. Kap. 69. Ich bin fro das wir sein genesen, glücklich davon gekommen, Kap. 71. Wer seine Augen niederschlägt, der wird genesen, Hiob 22, 29; dem mit niedergeschlagenen Augen hilft er, Michael. Der Fromme wird genesen, Sprichw. 28, 18. Stärke mich, daß ich genese, Ps. 119, 117. Auch in dieser Bedeutung kommt generen in ältern Oberdeutschen Schriften mehrmahls vor. Bey dem Notker ist Geniste das Heil, die Wohlfahrt, im Theuerdanke Genieß das Glück. 2. Besonders. 1) Von einer Krankheit befreyet werden, gesund werden; in welcher Bedeutung es noch in der anständigen Schreibart der Hochdeutschen üblich ist. Der Kranke ist genesen, wird bald genesen. Von einer Krankheit genesen. Im Oberdeutschen auch mit der zweyten Endung.

Auch Luna kann noch nicht der Liebesbrunst genesen, Opitz. In eben diesem Verstande kommt gineran bey dem Ottfried und ginesan in der Monseeischen Glosse vor. 2) Eines Kindes genesen, von demselben entbunden werden; nur noch zuweilen in der höhern Schreibart der Hochdeutschen. Eines Knabens genesen, Es. 66, 7. Geniset si des kindes, im Schwabensp.


Du, dessen unverweibt die Mutter ist genesen,

Opitz.


Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 563-564.
Lizenz:
Faksimiles:
563 | 564
Kategorien: