Gras, das

[780] Das Gras, des -es, plur. von mehrern Arten, die Gräser; Diminut. das Gräschen; Oberd. Gräslein. 1. Eine allgemeine Benennung aller derjenigen Gewächse, welche sich durch ihren hohlen gestreiften und mit Gelenken versehenen Stängel, durch ihre langen schmalen, meisten Theils dunkelgrünen Blätter ohne Stiele und durch ihre spelzigen Blumen von allen übrigen Gewächsen unterscheiden, Latein. Gramen; in welcher weitesten Bedeutung auch unsere Getreidearten zu den Gräsern gehören. In engerer und der gewöhnlichsten Bedeutung führen nur die wild wachsenden Arten dieses Geschlechtes, welche dem Viehe zum Futter dienen, diesen Nahmen; da denn das Wort im Singular am üblichsten ist, so wohl besondere Arten dieses Geschlechtes, als auch als ein Collectivum, eine unbestimmte Menge dieser Gewächse oder ihrer Blätter zu bezeichnen. Gemeines Gras, Poa pratensis L. womit die meisten auch unfruchtbarsten Gegenden bekleidet sind. Wolliges oder rauhes Gras, Holcus lanatus L. u.s.f. Im Grase weiden. Das Vieh gehet im Grase. Das Dach, der Erdboden ist mit Gras bewachsen. In das Gras gehen, hingehen, Gras abzuschneiden. Sich auf das Gras lagern. Auf weichem Grase liegen. Gras wachsen hören, viele eingebildete Klugheit besitzen. In das Gras beißen, sterben, umkommen, S. Beißen. Es wird ihm bekommen, wie dem Hunde das Grasfressen, d.i. übel, in den niedrigen Sprecharten. Darüber ist längst Gras gewachsen, das ist längst vergessen, im gemeinen Leben. 2. Figürlich. 1) In einigen Oberdeutschen Gegenden, der bürgerliche Verhaft, das bürgerliche Gefängniß; weil, wie Frisch glaubt, ein Verhafteter daselbst auf Gras, d.i. auf Stroh oder Heu liegen muß. Jemanden mit dem Grase strafen. In das Gras wandern müssen. In Aachen wird das Gefängniß das Graßhaus genannt, wo man um des kurzen a und ß willen beynahe vermuthen sollte, daß das Wort in dieser ganzen Bedeutung von dem folgenden Graß abstamme. 2) In Ostfrießland ist Gras ein Wiesenmaß von 300 Emder Quadrat-Ruthen; in welcher Bedeutung auch das Latein. Gramen in den Actis SS. t. 7. Jul. S. 164 vorkommt.

Anm. Bey dem Ottfried Gras, bey dem Notker Cras, im Nieders. Gras mit einem kurzen a, im Angels. Graes, Gaers. im Engl. Grass, im Dän. Gräs, im Schwed. Gräs, im Isländ. Gras, bey dem Ulphilas gleichfalls Gras, im Griech. γρασις. Im Tatian heißt auch das abgehauene und gedörrte Gras, das Heu, auf eine sonst ungewöhnliche Art Grast, und im gemeinen Leben einiger Gegenden wird so wohl ein Rasen, als auch die[780] grüne Saat die Gruse genannt. Die meisten Wortforscher leiten es von dem Angels. growan, Engl. to grow, Schwed. gro, wachsen, her, im Latein. ehedem creo, wofür nachmahls cresco üblich geworden, so wie auch Gramen von Germen und germinare abstammen soll. Alsdann müßte es ursprünglich eine allgemeine Benennung aller Pflanzen und Gewächse gewesen seyn. Da s und t in den Mundarten sehr häufig verwechselt werden, und für Gras im Angels. auch Graeat üblich gewesen, so scheinet auch Kraut hierher zu gehören. S. der Rasen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 780-781.
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