Her

[1108] Hêr, ein Vor- und Nebenwort des Ortes, welches eigentlich und zunächst eine Bewegung aus der Ferne nach uns, nach dem Redenden zu bezeichnet; im Gegensatze des hin. 1) Eigentlich, da[1108] es, wenn es mit Zeitwörtern zusammen gesetzet ist, gern andern Vorwörtern beygesellet wird. Komm zu mir her. Sie jauchzen vom Meere her, Es. 24, 14. Von Mitternacht her, Jer. 1, 13. Von oben her, von unten her u.s.f. Versammelt euch um mich her.


Die Strafe hinkte mit der Krücke

Ganz langsam hinter ihnen her,

Lichtw.


Hin und her, bald dort hin, bald hier hin. Hin und her gehen, wanken, sich bewegen, u.s.f. Geschenke hin, Geschenke her! eine im vertraulichen Umgange übliche Art, seine Verachtung, Geringschätzung einer Sache an den Tag zu legen. Oft stehet es elliptisch, so daß das dazu gehörige Zeitwort verschwiegen wird. Nur Tint und Feder her! d.i. gebt mir Tinte und Feder her.


Ha, Vater Bevern, riefen wir,

Uns, uns Patronen her!

Gleim.


Zuweilen beziehet sich der Begriff der Annäherung oder der Richtung der Bewegung auf den Gegenstand, von welchem die Rede ist. Über etwas her fallen, sich darüber her machen, darüber her seyn. In den meisten übrigen Fällen dieser Art ist zu üblich. Darauf zu gehen. Darüber zu kommen. In manchen Fällen verliert sich der Begriff der Bewegung, und her bedeutet alsdann bloß, daß eine Sache in der Nähe des Redenden ist oder geschiehet. Sie standen alle um uns her. Er ging neben mir her. Er ging nahe vor mir her. Traurig trieb er die Schafe vor sich her, Geßn. Wenn aber die Richtung der Bewegung von dem Redenden weggehet, oder sich von ihm entfernet, so kann ohne einen Fehler niemahls her stehen, sondern diese Bedeutung bleibt dem Nebenworte hin vorbehalten. 2) Figürlich, von einer Zeit, wo es gleichfalls eine Richtung oder Annäherung von einer entferntern bis zur gegenwärtigen Zeit bezeichnet. Es hat alsdann die Gestalt eines wahren Vorwortes, welches die vierte Endung regieret, aber allezeit dem Hauptworte nachgesetzet wird. Ich habe die Tage her (die vorigen Tage bis zum jetzigen) viel zu thun gehabt. Ich habe einige Jahre her nicht das Vergnügen gehabt, ihn zu sehen. Ingleichen in Gesellschaft des Vorwortes von. Von Anfang der Welt her. Von Ewigkeit her. Von Alters her. Von langen Zeiten her. Aber nicht gern mit andern Vorwörtern, wie 2 Cor. 8, 10, vor dem Jahre her. Auch nach der Partikel seit ist es, außer dem zusammen gesetzten seither, überflüssig, seit sechs Jahren her; weil ersteres schon den Begriff des her mit in sich schließet.

Anm. 1. Aus dem Gebrauche dieser Partikel, wenn sie eine Zeit bezeichnet, erhellet zugleich, daß sie ein wirkliches Vorwort ist, ungeachtet sie in den Sprachlehren gemeiniglich nicht mit darunter gerechnet wird. Eben um deßwillen wird sie auch mit den Zeitwörtern, denen sie beygesellet wird, beständig zusammen gezogen, welches, einige wenige Nebenwörter ausgenommen, zunächst nur mit Vorwörtern üblich ist. Indessen gehöret sie zu den trennbaren Partikeln, welche in der Conjugation hinter das Zeitwort treten; ich kam her, nicht ich herkam.

Anm. 2. Außer den Zeitwörtern und den davon abgeleiteten, wie auch einigen wenigen andern Nennwörtern, wird dieses Wort noch mit verschiedenen Partikeln zusammen gesetzet, neue Nebenwörter damit zu bilden. Es stehet alsdann theils vornen, theils hinten. Vornen, wie in herab, heran, herauf, heraus, herbey, herein, herunter, hervor, herüber, herum, herzu u.s.f. in welchen es so wie das einfache eine Bewegung nach der redenden Person zu bedeutet, im Gegensatze der mit hin zusammen gesetzten Partikeln, obgleich beyde sehr häufig mit einander verwechselt werden. Komm zu mir herauf, gehe hinaus,[1109] komm zu uns herüber, sind vollkommen richtig; nicht aber, das Wasser floß den Berg herab, jetzt sind wir den Berg herüber u.a.m. Eben dieses gilt auch, wenn es an manche Partikeln angehänget wird, wie in daher, dorther, bisher, einher, hierher, nebenher, umher, woher u.s.f. in deren einigen es auch eine Zeit mit der oben gedachten Einschränkung bezeichnet. Von außen her, darüber her, darunter her, hinter her, von innen her, von oben her, von unten her, vornen her u.s.f. werden besser getheilt als zusammen gezogen geschrieben. In den gemeinen Mundarten wird dieses Vorwort in den Zusammensetzungen oft sehr verstümmelt; raus, rauf, rab, rein, für heraus, herauf, herab, herein.

Anm. 3. Her behält den Ton auch in der Zusammensetzung mit Zeitwörtern und den davon abgeleiteten Nennwörtern, ingleichen auch alsdann, wenn es andern Partikeln angehänget wird. Wird es aber andern Partikeln vorgesetzet, so wirft es seinen Ton auf diese. In herbringen, nebenher, daher, liegt der Ton auf her; in herab, herauf, herbey u.s.f. aber auf ab, auf und bey.

Anm. 4. Dieses Vor- und Nebenwort lautet im 9ten Jahrh. in der Fränkischen Mundart hera und herra, bey dem Ottfried hera, bey dem Notker hera und hara. Es ist ursprünglich einerley mit dem Nebenworte hier, bey dem Ulphilas her, Angels. und Engl. here, Schwed. haer, welches nunmehr ein Seyn oder eine Ruhe in der Nähe des Redenden, im Gegensatze des da und dar, so wie her eine Bewegung zu ihm, bezeichnet.


Neidelhart gedacht her unnd dar

Wie er solch sach möcht ankheren,


heißt es noch im Theuerdanke Kap. 95, für hier und da. Auch in den zusammen gesetzten hernach, nachher und vorher scheinet es noch für hier zu stehen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1108-1110.
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