I

[1347] I, der neunte Buchstab des Deutschen Alphabetes, welcher seit den ältesten Zeiten das sonderbare Schicksal gehabt hat, daß er das Zeichen zweyer sehr von einander verschiedener Laute seyn müssen, wovon der eine ein Vocal, der andere aber ein Consonant, oder vielmehr ein Mittellaut zwischen einem Vocale und einem Consonanten ist. Wir handeln hier nur von dem I, so fern es das Zeichen eines Vocales ist, und trennen es von dem so genannten Jod, ungeachtet man die mit beyden anfangenden Wörter bisher unter einander zu werfen gewohnt gewesen.

Der Vocal i ist der mittelste unter den Vocalen, so wohl der Stelle, als auch der Öffnung des Mundes nach. Er klinget breiter, als das verwandte, aber ründere ü, und ist nebst dem e und ei das natürliche Zeichen der Kleinheit, so wie o und a, zuweilen auch das u die Größe ausdrucken; daher schon Plato sagte, daß man ihn προς τα λεντα παντα gebrauche. Groß, ehedem stor, klein, fein, Thor, Thür, Hut, Hütchen, Stock, Stecken, Sticken, Made, Motte, Miethe u.s.f. Es ist der Aussprache nach bald gedehnt, bald geschärft. Geschärft ist es in hin, in, wirken, sinnen, Bild, still und tausend andern; gedehnt in mir, dir, wir, in der ersten Sylbe von Lilie, in der dritten von Petersilie, und in den fremden Wörtern Debit, Profit, Titel, Rubrik, Bibel, Biber u.s.f. In ihm, ihn, ihr, ihnen, nimmt es zum Zeichen seiner Dehnung das h an.

Am gewöhnlichsten druckt man das gedehnte i im Deutschen durch ie aus; Knie, hier, befiehlst oder befielst, die, wie, siehe, Kiefer, Thier, fliehen, ziehen, Liebe, vier, sieben u.s.f. In einigen wenigen Fällen wird dieses ie gemeiniglich geschärft ausgesprochen; wohin vierzehn, vierzig, Viertel, dieß und nach einigen auch Schmied, des Schmieds, dem Schmied gehören, welches andere aber lieber Schmid schreiben. Gib, du gibst, ging, hing, fing, werden am richtigsten ohne e geschrieben, weil die Hochdeutsche Mundart hier durchgängig ein geschärftes i hören lässet.

Wenn auf dieses ie in der Verlängerung des Wortes noch ein e folgen sollte, so lässet man das eine auch wohl weg. Von dem einsylbigen Knie lautet der Plural zweysylbig die Knie, für Kniee, und das Zeitwort auch zweysylbig knien, ich knie, du kniest, für knieen, knieest. So auch die Poesien, Melodien, sie schrien, es schrie u.s.f. Der große Haufe pflegt hier gern ein g einzuschieben; sie schriegen für schrien, es hat geschniegen für geschnien oder geschneyet, gespiegen für gespien.

Viele Sprachlehrer geben dieses ie für einen Doppellaut aus, welcher Nahme demselben doch so wenig zukommt, als dem aa, ee, ah, oh und andern ähnlichen, wo zwar das Zeichen doppelt und zusammen gesetzt, der Laut selbst aber einfach ist. Wahr ist es, daß es grobe Mundarten gibt, welche in diesem gedehnten ie, beyde Vocale deutlich hören lassen, Li-ebe, Di-eb, Wi-en; aber wie gehöret das hierher? Eben diese Mundarten sprechen auch wi-er, di-er, mi-er, Li-echt, für wir, dir, mir, Licht, ja sogar Mu-et-ter für Mutter, Vo-a-ter für Vater; sind denn darum das i in mir, dir und wir, das u in Mutter, und das a in Vater, Doppellauter, weil es Mundarten gibt, welche hier statt des einfachen Vocals einen Doppellaut hören lassen? Indessen kann es seyn, daß diese provinzielle[1347] Aussprache, welche auch in andern Sprachen Statt findet, Anlaß gegeben hat, das gedehnte i durch ie auszudrucken, weil man es im Deutschen schon sehr frühe findet, und zwar weit eher, als man daran dachte, die gedehnten Vocale in der Schreibart von den geschärften zu unterscheiden. Schon Kero hat einige Mahl die, ob man gleich auch dafür bey ihm dia, diu findet. Das e schlich ehedem auch andern Selbstlautern nach, nicht als ein Zeichen ihrer Dehnung, sondern weil man in der Aussprache statt Eines, zwey Selbstlaute hören ließ. Die Aussprache änderte sich mit der Zeit, aber die Schreibart blieb, und so ward das e in dem Hochdeutschen ie, in dem Holländischen ae und oe ein bloßes Zeichen eines gedehnten i, a und o. Man schreibt im Französ. Caen, im Holländ. Naerden, im Nieders. Soest, und spricht Caan, Naarden, Soost.

Dieses ie, besonders in dem bereits angezeigten Falle, wenn i-e, aus ie-e zusammen gezogen worden, ausgenommen, stehet der Vocal i im Hochdeutschen nur vor einem Consonanten; denn die Doppellauter ia, io, iu sind nur in harten und rauhen Mundarten anzutreffen. In allen übrigen Fällen, wo das i vor einem Vocale stehet, da schmilzet es mit demselben zusammen und gehet in den Zwischenlaut Jod über; Jahr, jeder, jetzt, nicht I-ahr, ider, itzt, wie wohl einige schreiben und auch sprechen. Nur die fremden Wörter machen hier eine Ausnahme, wo ie oft zweysylbig ist; Histori-e, Asi-en, Ari-e, Chri-e, Schlesi-en, Lili-e, Petersili-e, ungeachtet es im gemeinen Leben auch hier in das Jod übergehet, Lilje, Petersilje, Schlesjen, Asjen.

Es ist die Frage, ob man die fremden Wörter, in welchen ein gedehntes i vorkommt, auch nach Art der ursprünglich Deutschen Wörter mit einem ie schreiben müsse. In solchen Wörtern, welche man mit dem Bürgerrechte begabet, und ihnen auch am Ende ein Deutsches Ansehen gibt, scheinet es sehr billig zu seyn, sie auch in den übrigen Fällen den Regeln der Deutschen Schreibart zu unterwerfen; Mienen, Anieß, Paradies, Bieber, Biebel, Fiebel, Fiedel u.s.f. Indessen schreibt jedermann, Bibel, Fibel, Biber, und viele ziehen auch Aniß, Mine, Paradis u.s.f. vor. Dieß gilt auch von der Endung der Zeitwörter ieren, welche von den meisten lieber iren geschrieben wird. S. -Iren.

Das ie findet sich, wie schon gedacht worden, anstatt des gedehnten i in den ältesten Zeiten, vermuthlich auf Veranlassung der gemeinen Oberdeutschen Mundarten, welche dem i so gern ein e nachklingen lassen. Allein eben so oft findet man auch dafür ein y, ja nur ein bloßes i. Man thue einen Blick in die Schriften der mittlern Zeiten, so wird man sich davon überzeugen können.

In der Ableitung und Beugung der Wörter gehet das i fast in alle übrige Vocale über. Bitten, bath, gebethen; besinnen, besann, besonnen; riechen, roch, Geruch; beginnen, begann, begunte, begonnen; binden, band, gebunden; fließen, floß, geflossen u.s.f.

In einigen rauhern, besonders Oberdeutschen Mundarten, ist es sehr gewöhnlich, statt des gedehnten i oder ie und ii ein breites eu hören zu lassen. Zeuhen, er überzeuhet, Bluntschli ein Zürcher, für ziehen, überziehet; fleußen, fleuhen, leugen, treugen, für fließen, fliehen, lügen, trügen. Einige[1348] Sprachlehrer des vorigen Jahrhundertes, welche das Edle der Schreibart in der Fülle des Mundes und in den ausgeblasenen Backen suchten, bemüheten sich, dieses eu in der zweyten und dritten Person der einfachen Zahl der gegenwärtigen Zeit einzuführen, und sie fanden bald Nachahmer. Es freurt mich, Schettel, verleuret, treugt, verscheubtt, Opitz, scheußt, geußt, Flemming u.s.f. für frieret, verlieret, trügt, verschiebt, schießt, gießt. Der Übelklang ist, wenigstens in einigen, sehr merklich; dennoch schärfte Gottsched diese Form als männlicher und edler von neuem ein, und sie kommt auch, um der Einsylbigkeit und der größern Fülle des Mundes willen, noch bey den Dichtern vor.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1347-1349.
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