Nächste, der, die, das

[389] Der, die, das Nǟchste, der Superlativ des Beywortes nahe, von welchem hier nur ein Paar besondere Arten des Gebrauches zu bemerken sind, in welchen die erste und zweyte Staffel nicht üblich sind.

1) Von der Zeit, als ein Beywort, eine sehr nahe bevor stehende Zeit zu bezeichnen, so wohl mit einigen Hauptwörtern, wohin die im gemeinen Leben üblichen Ausdrücke nächster Tage und nächsten Tages, für nächstens, in den nächst bevor stehenden Tagen, gehören. Als auch mit Auslassung des Hauptwortes. Mit nächstem,[389] nächstens, so bald als möglich. Ich komme mit nächstem. Den nächsten, für sogleich, welches mehrmahls im Theuerdanke angetroffen wird, ist im Hochdeutschen ungewöhnlich, so wie nächster Zeit, für neulich.


Du meintest nächster Zeit, getreu und edler Freund,

Ich scherze gar zu viel mit meinen Castalinnen,

Günth.


S. Nächstens und Nahe.

2) Als ein Hauptwort gebraucht, bedeutet es schon von Alters her eine Person, welche am nächsten und genauesten mit uns verbunden ist. So nennt Ottfried die Blutsfreunde oder Verwandten Nahistano, und im Dithmarsischen heißt ein Blutsfreund noch jetzt Negster. Im Tatian bedeutet Nahasto den Nachbar, weil er uns am nächsten wohnet; in welchem Verstande es auch noch in der Deutschen Bibel vorkommt, z.B. 2 Mos. 11, 2. Jetzt ist es in der Gottesgelehrsamkeit und Sittenlehre in weiterer Bedeutung üblich, wo der Nächste oder unser Nächster ein jeder Mensch außer uns ist, weil doch unter allen zufälligen Dingen andere Menschen der übereinstimmigen Natur wegen uns am nächsten sind. Du sollt kein falsch Zeugniß reden wider deinen Nächsten, 2 Mos. 20, 15. Wer ist denn mein Nächster? Luc. 10, 29.

Der Plural wird in dieser Bedeutung nicht leicht gebraucht, ob er gleich der Sache sehr wohl angemessen wäre, er auch bey den ältern Oberdeutschen Schriftstellern nicht selten ist. Vnde andere Nahiston mine, heißt es schon im 8ten Jahrhunderte. Meine Nächsten haben sich entzogen und meine Freunde haben mein vergessen, Hiob 19, 14; wo Michaelis es gleichfalls im Plural beybehalten hat. Indessen scheinen hier Nachbarn oder Blutsfreunde gemeinet zu seyn.

Im Fäminino müßte es nach der Analogie anderer Beywörter, wenn sie als Hauptwörter stehen, die oder meine Nächste heißen; allein auch diese Form ist ungewöhnlich und man gebraucht der Nächste und mein Nächster lieber von beyden Geschlechtern; sie ist ja auch dein Nächster. Aber die Nächstinn, wie 2 Mos. 11, 2, daß ein jeglicher von seinem Nächsten und eine jegliche von ihrer Nächstinn silberne und güldene Gefäße fordere, ist eben so ungewöhnlich, als die Verwandtinn, Bedientinn u.s.f.

Ulphilas nennet den Nächsten Nehvundja, Kero aber Nahisto, Ottfried Nahista. Im Angels. heißt er Nehsta, im Dän. Näste, im Schwed. Näste, im Bretagnischen Nessa, im Pers. Nazd, Notker gebraucht dafür Gelegene, der Verfasser des Buches der Weisen Ebenmensch, und im Nieders. ist noch jetzt Evenminsk üblich. S. Nahe.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 389-390.
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