Nicht (3)

[482] 3. Nicht, das verneinende Nebenwort, welches gebraucht wird, wenn man im Zusammenhange der Rede, oder mit ganzen Sätzen[482] etwas verneinet, dagegen nein eine einsylbige Verneinung auf eine vorher gegangene Frage oder Bitte ist.

1. Eigentlich, wo es auf die jetzt gedachte Art im Zusammenhange der Rede verneinet. Als ein Nebenwort stehet es zunächst bey Zeitwörtern, eine thätige oder leidende Handlung zu verneinen. Ich sehe nicht. Wir konnten nicht stehen. Aber es verneinet auch Sachen, Eigenschaften und Umstände, und kann daher auch Nennwörtern, Fürwörtern, Nebenwörtern und Vorwörtern zugesellet werden. Nicht Männer, sondern Weiber. Nicht Ein Mann. Nicht lang, nicht kurz, nicht breit, nicht groß, nicht so sehr, nicht so viel, nicht von hinten, nicht aus der Mitte, nicht lange hernach. Gar nicht, ganz und gar nicht, durchaus nicht, schlechterdings nicht, im geringsten oder im mindesten nicht, nicht im geringsten, nicht im mindesten, sind verstärkte Verneinungen. Er ist gar nicht einfältig. Ich will durchaus nicht.

In der einfachen erzählenden und wünschenden Ordnung der Wörter stehet nicht so wie ein anderes Nebenwort hinter dem Zeitworte, und in einer zusammen gesetzten Zeit, oder wenn ein Zeitwort das andere regieret, zwischen beyden Zeitwörtern. Ich glaubte es nicht. Man läugnete es nicht. Ich zweifele nicht daran. Ich wollte ihn nicht erzürnen. Sie sind noch nicht da. Es kann nicht seyn. Er sollte uns trennen, nicht verbinden. Der Himmel wolle es nicht! In der befehlenden und bittenden Construction stehet die Verneinung hinter dem Imperativ, und wenn derselbe einen Casum regieret, auch hinter diesem. Lache nicht. Thun sie es nicht. Glaube deinem Freunde nicht. In der fragenden und verbindenden Wortfügung nimmt es die Stelle ein, welche einem jeden andern Nebenworte gebühret. Kommt er nicht? Warum gehst du nicht hinein? Wenn es jetzt nicht geschiehet, so geschiehet es nie.

Wenn ein Zeitwort das andere regieret, so entstehet oft eine Zweydeutigkeit, indem die Verneinung so wohl auf das erste, als auf das andere Zeitwort gezogen werden kann. Erlaube ihm nicht zu spielen, kann bedeuten: erlaube ihm, nicht zu spielen, und, erlaube ihm nicht, zu spielen. Durch das Unterscheidungszeichen kann man zwar vorbeugen, es ist aber doch besser, man drucke sich anders aus.

Da das nicht nicht bloß Handlungen, sondern auch Zustände, Eigenschaften und Umstände verneinet, und es sich oft zuträgt, daß außer der Verneinung noch andere Nebenwörter da sind, so kommt viel darauf an, daß das nicht gerade zu demjenigen Redetheile gesetzt werde, welchen man verneinen will, weil sonst der Verstand verändert wird. Ich sehe ihn oft nicht, und ich sehe ihn nicht oft, sind sehr verschieden.


Aus Ruhmsucht ward ihm nicht des Würgens Arbeit sauer,

Karschinn.


Die Verfasserinn hätte sagen sollen, ward ihm – nicht sauer.


Wenn jemand viel nicht ißt, wenn jemand viel nicht weiß,

Dusch,


ist ganz etwas andres, als nicht viel ißt und nicht viel weiß. Aichinger führet noch folgendes Beyspiel an, welches einen vierfachen Sinn leidet, je nachdem die Verneinung gestellet wird: Ich kann es nicht gar wohl thun, vix mihi licet id facere; ich kann es gar nicht wohl thun, admodum difficile mihi est factu; ich kann es gar wohl nicht thun, proclive mihi est, id non facere; und, ich kann es wohl gar nicht thun, utique mihi licet, id non facere. So auch, ich möchte es nicht gar gern haben, und andere R.A. mehr. Dagegen in manchen Fällen die Stelle gleichgültig ist. Er ist so einfältig nicht, und, er ist nicht so einfältig. Mehr nicht und nicht mehr.

[483] Die Inversion weiset dieser Verneinung oft eine andere Stelle an, als ihr ordentlicher Weise zukommt.


Hier trinkt nicht mächtig Unrecht des Schwachen Blut und Schweiß,

Dusch,


für, hier trinkt mächtig Unrecht nicht u.s.f. Auch nicht die Armuth selbst sollte mich abhalten, redlich zu handeln, ebend. Nicht der Reichthum ist es, was ich bedauere, für, der Reichthum ist es nicht u.s.f. Nicht das Gold, sondern die Tugend adelt. Nicht Wünsche halten sie auf, nähmlich die Jahre, Zachar. Nicht jede Handlung der Seele ist unmittelbar eine Folge der Besinnung, Herd. Nur mit einem Imperativ thut diese Inversion eine widrige Wirkung.


Nicht frage zwar zu sehr, was der und jener thut,

Opitz.


Im Oberdeutschen pflegt man es, wenn zwey Zeitwörter zusammen gehören, um des Nachdruckes willen, gern unmittelbar vor dem letzten zu setzten. Die fürgedauerte Hoffnung ist in die Erfüllung nicht gegangen.

Wenn in zwey oder mehr auf einander folgenden Sätzen das nicht wiederhohlet werden sollte, so kann man das zweyte und die folgenden Mahle auch noch setzten. Ich will dich nicht verlassen, noch versäumen, für und nicht versäumen. Es hat nicht geregnet noch geschneyet. In welchen Fällen doch statt des ersten nicht richtiger weder gesetzt wird, S. Noch.

Oft beziehet sich die Verneinung auf ein vorher gegangenes oder ausgelassenes Wort. Bald sieht mans, bald aber auch nicht. Er komme nun, oder nicht. Gehe hin, wo nicht, (wo du nicht gehest,) so werde ich gehen. Nicht doch, bleiben sie hier! Nicht so meine Kinder! Nicht so böse, mein lieber Peter, Weiße. Ich gab es, nicht als wenn es meine Schuldigkeit gewesen wäre, sondern u.s.f. Er that es, nicht zwar aus Edelmuth, sondern aus Eigennutz. Nicht wahr (für, ists nicht wahr?) sie haben es gehöret?

Nach dem Zeitworte fürchten, nach dem Muster der Lateiner, noch ein nicht einzuschieben, ist nicht nur wider die Analogie der Deutschen Sprache, sondern kann auch in manchen Fällen einen unangenehmen Doppelsinn machen, S. Fürchten 2 2). Nach dem Nebenworte mehr kann es zuweilen durch den Nachdruck entschuldiget werden, wenn der Nachsatz einige Länge hat. Alte Leute sagen oft mit einem Worte mehr, als die Jugend in einem Jahre nicht fassen kann, Gell. Bey einem kurzen Nachsatze würde es widrig klingen. Das ist mehr, als ich nicht verlange; besser, als ich verlange.

In den gemeinen Sprecharten, besonders Oberdeutschlandes, ist es sehr gewöhnlich, die Verneinung um des Nachdruckes willen zu verdoppeln, nach dem Muster des Griech. ου μƞ, und Franz. ne pas; nichts nicht, keiner nicht, niemand nicht, für das einfache nichts, keiner und niemand. In der anständigen Schreibart klingt solches überaus widrig; indessen höret und lieset man es doch oft. Schon Ottfried und Notker gebrauchen nieht ne, und bey dem Opitz ist diese doppelte Verneinung sehr häufig. Habt ihr nichts eignes nicht? Opitz. Kein Ort gefiel mir besser nicht, ebend. Es ist in ihm kein Geist nicht mehr, ebend. Selbst Gellert sagt an einem Orte: Keine andere Gefälligkeit habe ich ihm nicht erzeigt, für eine. S. Kein.

Dahin gehören aber zwey Fälle nicht, wo die doppelte Verneinung nicht nur völlig untadelhaft ist, sondern auch nach dem Vorgange der Lateiner bejahet. 1) Wenn die Verneinung in den Partikeln un-, miß-, ab- u.s.f. steckt. Ich sehe ihn nicht ungern. Es ist mir nicht mißlungen. Sie ist ihm nicht abgeneigt. Welche Ausdrücke zwar wirklich bejahen, aber doch schwächer und geringer, als wenn man sagte, ich sehe ihn gern, es ist mir[484] gelungen, sie ist ihm geneigt. 2) Wenn die Verneinungen in zwey Sätzen oder Commatibus auf einander folgen. Es ist niemand, der ihm nicht alles Gutes wünschte, d.i. jedermann wünscht ihm alles Gutes. Mir wird nichts in der Welt zu schwer seyn, das ich nicht für sie wagen wollte, Gell. Nur das als läßt sich auf diese Art nicht ohne Mißklang ersetzen. Er wird sich ohne dieß nicht zur Ehe entschließen, bis er nicht eine hinlängliche Versorgung hat, Gell. Besser: er wird sich nicht eher – als bis er eine u.s.f.

Sehr oft aber behalten zwey solche verneinende Sätze ihre eigentliche verneinende Bedeutung. Ich hätte es nicht gewußt, wenn man mir es nicht gesagt hätte. Ich hätte nichts davon gewußt u.s.f. Es hätte niemand etwas davon gewußt, wenn er es nicht selbst gesagt hätte.

Oft wird dieses Wort in Verbindung mit andern Partikeln gebraucht, ohne eben seine eigentliche verneinende Bedeutung merklich zu verändern. Es ist nicht anders, es verhält sich so. Es kann nun einmahl nicht anders seyn, nicht geändert werden. Nicht anders als, gerade so. Er that nicht anders, als ob er noch Recht hätte. Ersparen sie mir ein Bekenntniß, welches mir nicht anders als schwer ankommen wird, nothwendig schwer ankommen wird. Wo nicht, wenn nicht, daß nicht, damit nicht, machen Arten von Verbindungswörtern. Thue es, wo nicht, so werde ich böse, d.i. wo oder wenn du es nicht thust. Welche denn auch getrennet werden können. Wenn er nicht kommen sollte. Daß (besser damit) es uns künftig an nichts fehle. Besonders das nicht allein – sondern auch, oder nicht nur – sondern auch. Nicht allein er, sondern auch wir. Wo gleichfalls oft eine Trennung Statt findet, besonders wenn das allein auf ein Nenn- oder Fürwort gehet, nicht er allein, sondern auch wir; und statt des sondern auch auch zuweilen andere Partikeln gebraucht werden können. Stax ist nicht allein blödsinnig, er ist auch noch boßhaft.

2. In manchen Arten von Fragen scheinet das nicht eine bejahende Bedeutung zu haben, oder vielmehr bloß zur Einkleidung der Frage zu dienen. Ists nicht wahr? Warum nicht gar? eine ironische Art der Frage. Besonders, wenn eine Verwunderung, oder ein Ausruf in eine Frage eingekleidet ist. Wie ruhig würde ich jetzt nicht einschlafen, wenn u.s.f. Wie schlau ein alter Kaufmann nicht ist! Less. Welche unselige Vertraulichkeit herrscht nicht unter den Lastern! Gell. Wie reitzend wird die Freundschaft nicht, wenn sie sich zugleich auf Natur und Tugend gründet! ebend. Ach, was für ein vortrefflicher Mann er nicht ist! Ach, wie matt bin ich nicht! Wie gut werden sie nicht mit ihm auskommen! Gell.


Wie spielt die schöne Blase nicht

So bunt am goldnen Sonnenlicht!

Weiße.


Wo sich das nicht zuweilen durch doch ersetzen lässet, zuweilen aber auch völlig wegbleiben kann, und in der anständigen Schreibart oft wegbleiben muß. Ach, wie matt bin ich!

Anm. Diese Verneinung lautet bey dem Ulphilas nithan, bey dem Notker nieht, bey dem Willeram uieth, in der Schweiz niit, in den gemeinen Mundarten Ober- und Nieder-Deutschlandes nit, oder nich, im Nieders. nig, nich, im Angels. nice, nocht, in Boxhorns Glossen niga, im Engl. not, bey den Krainerischen Wenden nekar. Sie scheinet von der alten noch im gemeinen Leben für nein üblichen Verneinung ne, und icht, oder wicht, Wicht, etwas, zusammen gesetzet zu seyn. Das einfache ni kommt für nicht noch beständig im Isidor, bey dem Kero und bey dem Ottfried vor. Kero gebraucht statt desselben noch eine andere Zusammensetzung nalles, wo die letzte Hälfte unser all zu seyn scheinet. Nalles einin, ist bey ihm nicht allein.[485]

In Zusammensetzungen ist diese Verneinung nur in einigen Fällen üblich. 1) Im gemeinen Leben, wo man es hinten an Imperative anzuhängen pflegt, Personen zu bezeichnen, welche das gewöhnlicher Weise nicht sind, was das Zeitwort besaget. Er ist ein Taugenicht, oder Taugenichts, er taugt nichts, ein Willnicht, der niemahls will, ein Gebenicht, der nicht gern gibt u.s.f. wo man denn wohl gar ganze R.A. auf diese Art zusammen ziehet; ein Thunichtgut. 2) In der wissenschaftlichen Schreibart, wo man dieses Wort den Infinitiven vorzusetzen pflegt, wenn sie als Hauptwörter stehen und den Gegensatz des Zeitwortes, oder vielmehr nur die Unterlassung der in dem Zeitworte liegenden Handlung bezeichnen sollen, weil solche Infinitive nicht mit un- zusammen gesetzet werden können. Das Wollen und Nichtwollen. Im Falle der Nichtzahlung. Das Nichtthun, Nichtwissen u.s.f. S. einige dieser Wörter im folgenden an ihrem Orte.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 482-486.
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