Ragen

[917] Ragen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort haben erfordert, und nur noch mit den Nebenwörtern heraus und hervor[917] gebraucht wird, ohne doch Zusammensetzungen mit denselben zu machen. Aus etwas heraus ragen, oder nur heraus ragen schlechthin, aus demselben heraus stehen, außer der Fläche sichtbar seyn. So auch hervor ragen. Eine hervor ragende Ecke. Die Balkenköpfe ragen einen halben Fuß hervor. Der Flügelmann raget vor dem ganzen Regimente vor oder hervor. Luther gebraucht es auf eine ungewöhnliche Art auch ohne Nebenwort: Esra ragete über alles Volk, Nehem. 8, 5. So auch die Herausragung und Hervorragung. Im Oberdeutschen scheint es auch figürlich herstammen, herkommen, zu bezeichnen. Wenigstens sagt Opitz, wenn er von der Verklärung der Leiber spricht:


Der Leib

Soll führen solches Licht, als aus dem Himmel ragt.


Nach einer andern Figur bedeutete es im Oberdeutschen auch hart und steif seyn, Lat. rigere, in welcher Bedeutung geragen bey dem Kaisersberg, und bey andern das Nebenwort rag, für starr, steif, rigidus, vorkommt. S. Frischens Wörterb. und im folgenden Rehe, das Beywort.

Anm. Die Niederdeutschen und verwandten Sprecharten kennen dieses Wort allem Ansehen nach nicht, welches im Oberdeutschen einheimisch zu seyn scheinet, daher es auch im Hochdeutschen nur von einem so eingeschränkten Gebrauche ist. Indessen werden doch dessen Verwandte überall angetroffen. Die nächsten sind unser Kragstein, das Zeitwort reichen, Ottfrieds irrechen, aufstehen machen, das folgende Rahe, und andere mehr. S. die beyden ersten.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 917-918.
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