Schweigen

[1731] Schweigen, ein Zeitwort, welches in dreyfacher Gestalt üblich ist. I. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben und irregulärer Abwandelung; Imperf. ich schwieg; Particip geschwiegen; Imperat. schweig oder schweige. Keine Stimme von sich hören lassen, und in engerer Bedeutung, nicht reden. Als er das gesagt hatte, schwieg er. Ich habe lange genug geschwiegen. Stille schweigen, eigentlich ein Pleonasmus für schweigen. Stockstille, baumstille, mäuschenstille schweigen, Blumen der niedrigen emphatischen Sprechart. Von etwas schweigen, nichts davon sagen.


Allein sie schwieg doch bald von ihren Fehlern still,

Gell.


[1731] Zu etwas schweigen, nichts dazu sagen; im Oberdeutschen auch mit Weglassung des Vorwortes. Müssen die Leute deinem großen Schwätzen schweigen? Hiob 11, 3. Welche Wortfügung im Hochdeutschen ungewöhnlich ist. Vor einem schweigen, in seiner Gegenwart, ingleichen aus Furcht, aus Ehrerbiethung vor ihm; wo man im Oberdeutschen gleichfalls das Vorwort zu verbeißen pflegt, einem schweigen. In engerer Bedeutung, Fertigkeit besitzen, ein Geheimniß, eine geheime Sache nicht durch Worte bekannt zu machen. Er kann nicht schweigen. Kannst du schweigen? Figürlich, aufhören wirksam zu seyn. Im Kriege müssen die Gesetze schweigen. Den Wind und das Meer schweigen heißen, Marc. 4, 29. S. auch das Schweigen.

II. Als ein Activum, gleichfalls mit der obigen irregulären Conjugation, für verschweigen; eine im Hochdeutschen ungewöhnliche Form, welche aber doch im Oberdeutschen gangbar ist. Das kann ich nicht schweigen. Ich will die Zier der Majestät nicht schweigen, Opitz, Ps. 145.


Wir wollen mehr und mehr

Gott dankbar seyn, und seinen Ruhm und Ehr

In Ewigkeit nicht schweigen,

Opitz. Ps. 115.


III. Als ein Factitivum, mit regulärer Abwandelung, Imperfect. schweigete, Mittelw. geschweiget, Imperat. schweige; zum Schweigen bringen, schweigen machen, es geschehe nun auf welche Art es wolle, durch einen Befehl, durch Gründe, durch Befriedigung des Verlangens. Diese Bedeutung, in welcher auch geschweigen vorkommt, ist schon sehr alt. Schon Notker gebraucht kesueigen und sueigen als reguläre Zeitwörter in derselben: er habet sie gesueiget.


Winters grimme

Tuot si (die Stimme) swigen uberal,

Graf Werner von Honberg.


Mit Gaben schweigt man die Kinder.


Das Mittel, dich zu schweigen,

Wird seyn ein blankes Helm, ein schönes Roß zu zeigen,

Opitz.


Die Gottlosen müssen in der Hölle geschweiget werden, Ps. 31, 18, zum Stillschweigen gebracht werden. Wer leben will, und gute Tage sehen, der schweige seine Zunge, 1 Petr. 3, 10. Mit den Worten schweigt er den man, Theuerd. Kap. 21, brachte er ihn zum Stillschweigen. Sein Gewissen schweigen. In der anständigen Sprechart der Hochdeutschen ist dieses ganze Factitivum veraltet, allein im gemeinen Leben mancher Gegenden, besonders Meißens, ist es noch völlig gangbar. Eben daselbst hat man auch die Intensiva schwigten, beschwigten, beschwigtigen. Die Schreyer auf einige Tage schwigtigen, Klopst. So auch das Schweigen.

Anm. Das Neutrum lautet bey dem Kero suigeen, bey dem Ottfried suigan, im Nieders. swigen, im Angelsächs. swighan. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Begriff des Schweigens eine Figur des Weichens ist, und daß jenes vermittelst des Zischwortes von diesem oder doch dessen ähnlichen Stammworte gebildet worden, zumahl da auch das letztere mit dem Zischlaute nicht selten ist. Im Schwed. ist sviga weichen, und Ottfried gebraucht suichan für verlassen. Bey dem Hornegk kommt dagen für schweigen vor, welches, so wie das Schwedische tiga, schweigen, seine Verwandtschaft mit tacere nicht verläugnen kann, so wie vermittelst der gewöhnlichen Verwechselung des t und s auch das Griechische σιγαν dahin gehöret.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1731-1732.
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