Singen

[101] Singen, verb. irregul. ich singe, du singest oder singst, er singet oder singt; Imperf. ich sang, Conj. sänge; Mittelw. gesungen;[101] Imper. singe. Es ist eigentlich ein Neutrum, welches das Hülfswort haben erfordert, und einen gedehnten hell tönenden Laut vorbringen, bedeutet, welchen Laut dieses Zeitwort genau nachahmet. So wird es im gemeinen Leben noch häufig von gewissen Dingen und Werkzeugen gebraucht, welche diesen Laut hervor bringen, da man denn sagt, daß sie singen. Weil man das Pfeifen der Kanonenkugeln in der Luft ehedem auch singen nannte, so führete daher eine Art Kanonen auch den Nahmen der Singerinn, welche um eben deswillen auch die Nachtigall genannt wurde. Das Ißländ. syngia wird auf ähnliche Art von dem Schwirren des Schwertes in der Luft gebraucht. Dahin gehöret auch der Fehler der Aussprache, wenn man die Sylben mit einem gedehnten hell tönenden Laute ausspricht, da es denn ganze Provinzen und Völkerschaften gibt, welche im Reden singen.

In engerer und gewöhnlicher Bedeutung ist singen, dem Ohre angenehme Beugungen der Stimme, abwechselnde klingende Töne vermittelst der Stimme hervor bringen. So gebraucht man es von gewissen Vögeln, welche solche abwechselnde wohl klingende Töne hervor zu bringen im Stande sind, wo man dafür auch schlagen sagt; daher die Sang- oder Gesangvögel eine eigene Classe ausmachen. Noch mehr von der menschlichen Stimme; sowohl als ein Neutrum, als auch active, vermittelst des Singens ausdrucken. Singen lernen. Schön, schlecht, schwach, stark singen. Nach Noten singen. Zur Laute, zum Claviere, in die Laute, in das Clavier singen. In der Oper, im Concerte singen. Durch die Nase singen, wenn der Ton mit der Kehle an den Gaumen des Mundes angedrückt wird. Einem singen, in der höhern Schreibart, ihm zu Ehren, zu seinem Ruhme singen. So auch active. Ein Lied, einen Psalmen, eine Arie singen. Die Messe singen. Den Alt, den Discant, den Baß singen. Figürlich. 1. Einen singen, ihn besingen, in der höhern Schreibart. Dich sang der Jungfraun Chor, das Kränze für dich wand. Cron. 2. Sein Vergnügen singen, auch nur in der dichterischen Schreibart, sein Vergnügen durch Singen an den Tag legen. Die Vögel in der Luft und der Hirt auf dem Felde singen ihr Entzücken, Geßn. 3. Dichten, Verse machen, gleichfalls nur in der poetischen Schreibart, in welcher diese Bedeutung aber schon bey den Schwäbischen Dichtern vorkommt; ohne Zweifel, weil die ältesten Dichter ihre Gedichte gleich hersangen.

Die im gemeinen Leben übliche Redensart, da hilft kein Singen noch Sagen, d.i. kein Verbieten, ist schon alt, und wurde von den Schwäbischen Dichtern sehr häufig für singen und dichten gebraucht.


Swas ich singe und swas ich sage

Sone wil si doch niht troesten mich vil seuden man,

Heinrich von Morunge.


Ein lieb ich mir vil nahe trage

Des ich ze guote nie vergas,

Des Ere singe ich und sage,

Reinm. der Alte.


O we grosser leide,

Mih froit niht der anger noch die heide

Noch singen noch sagen,

Ulrich von Winterstetten.


Kein Singen und kein Sagen

Vermag den Tod zu jagen,

Opitz.


So auch das Singen. S. auch Sang und Gesang.

Anm. Schon bey dem Kero singan, sinkan, bey dem Ottfried singan, im Niederd. gleichfalls singen, im Angels. singan, im Engl. to sing, im Schwed. sjunga. Unser Zunge, Ton, tönen, das Lat. canere, und in Zusammensetzungen cinere, sind genau damit verwandt. Ehedem bedeutete es auch lesen, hersagen, wie des Ulphilas sigguan, (sprich singuan) das Angels. singan, das Schwed. sjunga, und selbst singan bey dem Ottfried; entweder so[102] fern das Lesen des großen Haufens wirklich eine Art des Singens ist, oder auch als ein Verwandter von sagen. S. dasselbe.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 101-103.
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