Stange, die

[292] Die Stange, plur. die -n, Diminut. Stänglein, im gemeinen Leben der Hochdeutschen Stängelchen. 1. Im eigentlichsten Verstande, ein jeder in die Länge ausgedehnter Körper ohne beträchtliche Breite und Dicke, in welchem weitesten Verstande es doch nur in einigen einzelnen Fällen üblich ist, wo dergleichen Körper mit keinem andern eigenen Nahmen versehen sind, der ihre Bestimmung näher ausdruckt. So werden die beyden langen Theile eines Hirschgeweihes, welche unten die Rose, oben die Krone, und dazwischen die Enden tragen, die Stangen genannt. Ein Hirsch hat gemeiniglich zwey, selten drey oder vier solcher Stangen. An einem Pferdegebisse sind die Stangen zwey auf besondere Art gekrümmte Stücke Eisen, welche mit dem einen Ende an dem Hauptgestelle, mit dem andern aber an dem Zügel befestiget sind, und das Mundstück, das Kettchen und die Kinnkette zwischen sich haben. S. Stangenzaum. Bey den Handwerkern und Künstlern führen viele entweder gerade oder gekrümmte Körper, auch wenn sie noch so klein sind, den Nahmen der Stangen oder Stänglein. Von der Art ist die Stange in einem Büchsenschlosse, welche mit einer Schraube auf dem Schloßbleche befestiget ist, einen stark hervorragenden Zapfen hat, und die Mittel- und Hinterrast träget. S. Stangenfeder. An den Scheren heißt der lange gerade Theil zwischen dem Ringe und dem Schilde die Stange, und so in vielen andern Fällen mehr. 2. Im engsten und gewöhnlichsten Verstande, ist die Stange ein solcher Körper von beträchtlicher aber doch unbestimmter Länge, ein langer glatter Körper ohne beträchtliche Breite und Dicke, der größer und stärker ist, als ein Stock oder Stecken, aber doch kleiner und schwächer als ein Baum. Die Stange an einem Spieße, welche doch lieber der Schaft genannt wird. Die Hopfenstange, Bohnenstange, Segelstange u.s.f. Eine Stange etwas daran zu tragen. Eisen in Stangen, Stangeneisen. Gold, Silber in Stangen. Jemanden die Stange halten, figürlich, ihm beystehen, Hülfe leisten, ihn vertheidigen; eine noch von den alten Kampf- und Ritterspielen übrig gebliebene Redensart, da der Grießwärtel (Kreiswärter) die Grießstange unterschießen mußte, wenn die Kämpfer zu hitzig wurden, oder auch über den, der zu Boden gefallen war, die Stange hielt, um ihn dadurch vor aller weitern Beleidigung zu schützen. Bey der Stange halten oder bleiben, standhaft ausharren, nicht fliehen, jemanden nicht verlassen; eine vermuthlich auch daher entlehnte Redensart. Ehedem sagte man auch, der Stange begehren, d.i. Hülfe begehren. Im Forstwesen werden junge gerade aufgeschossene Bäume Stangen genannt. Auch schwache Bäume, welche vier Zoll im Durchmesser dick und 15 bis 20 Ellen lang sind, führen im Holzhandel den Nahmen der Staugen. Zuweilen werden auch sehr starke und lange Körper, welche sonst gewöhnlicher Bäume heißen, Stangen genannt; von welcher Art z.B. die Vogelstange ist, dagegen oft auch eigentliche Stangen den Nahmen der Bäume führen, z.B. der Hebebaum. Auf den Schiffen ist die Stänge oder Stenge der obere verlängerte Theil des Mastbaumes. Figürlich heißt bey den Jägern der Schwanz des Fuchses und des Wolfes sowohl die Stange als die Standarte.

Anm. Schon bey dem Ottfried und Willeram Stanga, im Nieders. Stange, im Angels. Stynga, im Ital. Stanga, im Schwed. Stång, im Wallisischen Ystang. Die beträchtliche Ausdehnung in die Länge ist vermuthlich der Stammbegriff, so daß dieses Wort ein naher Verwandter von dem Niederdeutschen Staken ist, welches sich nur durch den Mangel des Nasenlautes unterscheidet. S. Stock, Stecken, Staken. Im Niedersächsischen hat man noch die Wörter Schecht, Prange, Rick, Wiem u.s.f. welche alle eine Stange, obgleich gemeiniglich in besondern Fällen bezeichnen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 292.
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