Vielmehr

[1204] Vielméhr, eine Partikel, welche aus viel und mehr zusammen gezogen ist, und mit vḯel mehr nicht verwechselt werden muß, ob sie gleich in dem weiterm Verstande dieser Redensart gebraucht wird. Sie ist 1. ein Nebenwort. Es ist vielmehr Einfalt bey ihm, als Betrug, wo doch das einfache mehr üblicher ist, außer wenn durch eine Inversion das Nebenwort zum folgenden Bindeworte wird: es ist nicht sowohl Betrug, als vielmehr Einfalt. 2. Ein Bindewort, einen Satz zu begleiten, welcher eine Art der Steigerung bezeichnet. Ich habe dabey nichts versehen, ich habe vielmehr alles mögliche gethan, oder, vielmehr habe ich alles mögliche gethan. Das dient nicht Gnade zu erwerben, sondern vielmehr Zorn und Ungnade, Judith 8. 10. Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib tödten – fürchtet euch aber vielmehr vor dem u.s.f. Matth. 10, 28. Wo es allemahl eine vorher gegangene Verneinung erfordert. Ferner im Gegensatze des viel weniger. So denn ihr – könnet euren Kindern gute Gaben geben, wie vielmehr wird euer Vater im Himmel, u.s.f. Matth. 7, 11. Unter seinen Heiligen ist keiner ohne Tadel, wie vielmehr ein Mensch, Hiob 15, 16; wo es doch eigentlich wie vielweniger heißen sollte. Ingleichen mit einer versteckten Verbesserung des vorher gesagten. Ein gelehrter oder vielmehr großer Mann. Versteinertes oder vielmehr nur incrustiertes Holz.

Anm. Das getheilte viel mehr in seiner eigentlichen Bedeutung, ich habe viel mehr gethan, als du, hat auf jeder Sylbe seinen Ton; das zusammen gezogene und figürliche vielmehr aber hat ihn nur auf der letzten Sylbe, daher es billig als Ein Wort geschrieben wird. In dem alten Lege Ludovici et Lothar. von 840 kommt für dieses vielmehr nur das einfache mera vor; der fast gleichzeitige Ottfried aber gebraucht für wie vielmehr, wio harto mihiles.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1204.
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