Wachsen

[1323] Wachsen, verb. irregul. neutr. Präs. ich wachse, du wächsest, er wächset; Imperf. ich wuchs, Particip. gewachsen. Es bekommt das Hülfswort seyn, und bedeutet: 1. durch Ansetzung neuer Theile von innen größer werden; eigentlich von Thieren und Pflanzen, in weiterm Verstande aber auch von dem Entstehen oder der Erzeugung der Mineralien. Thiere, Pflanzen wachsen; die Haare, den Bart, die Nägel wachsen lassen. Krumm, gerade wachsen. Um einen halben Kopf gewachsen seyn. Noch im Wachsen seyn. In die Höhe, in die Breite, in die Dicke, in die Länge wachsen. Wenn die Art der Ausdehnung nicht beygefüget wird, so verstehet man wachsen allemahl von der Ausdehnung in die Länge. Der Baum ist zwanzig Ellen hoch gewachsen. Der Baum wächset in das Holz, wenn er mehr in die Dicke, als in die Länge, wächset. Eine Pflanze wächset in das Kraut, wenn sie viele Blätter treibet. Wohl gewachsen, vortheilhaft gewachsen seyn, einen guten Wuchs haben. Das wächset mir in die Hand, wenn ich es selbst erzeuget habe. Dahin auch einige figürliche Arten des Ausdruckes. Gras wachsen hören, überklug seyn. Das ist auf seinem Miste nicht gewachsen, in den niedrigen Sprecharten, das hat er nicht erfunden, hat er nicht von sich selbst. Die Bissen wachsen mir vor Wehmuth in dem Munde, Günth. Einem zu Kopfe wachsen, eigentlich ihm an Liebeshöhe gleich kommen, am häufigsten figürlich, ihm an Einsicht, Stärke, Muth u.s.f. gleich kommen. Daher ferner, einem gewachsen seyn, ihm an Vermögen, Stärke, Muth, Einsicht u.s.f. gleich kommen; einer Sache gewachsen seyn, die nöthigen Fähigkeiten zu derselben haben, S. Gewachsen. Es ist ihm an das Herz gewachsen, er liebt es sehr. 2. In weiterer Bedeutung, erzeuget werden, fortkommen, von Pflanzen und Gewächsen. Am Rhein wächset guter Wein. Das Getreide wächset nicht überall. Manches Kraut wächset auf Bergen, in Ebenen, in Sümpfen, im Wasser u.s.f. 3. Figürlich. (1) An Umfang der Theile zunehmen, größer werden. Das Wasser ist sehr gewachsen, wenn es sich vermehret hat. Der Mond wächset, ist im Wachsen, wenn er zunimmt, d.i. wenn seine helle Scheibe dem Gesichte nach größer wird. Das Buch wächst mir unter den Händen. Sein Vermögen wächst mit jedem Tage. (2) An innerer Stärke zunehmen. Ihm wächst der Muth. Das Verlangen, die Begierde, die Leidenschaft wächst mit den Jahren. Die Krankheit wächst. Je mehr wir die Unzulänglichkeit oder das Nichts unserer Kräfte einsehen, desto mehr wird unsere Demuth wachsen, Gell. (3) In einer Sache zunehmen, von Personen, da denn die Sache die Präposition an bekommt. An Tugend, an Einsicht, am Verstande an Bosheit wachsen.

So auch das Wachsen. S. auch Wachsthum und Wuchs.[1323]

Anm. Schon bey dem Ottfried, Willeram u.s.f. uuahsan, bey dem Ulphilas wahsjan, im Angels. weaxan, im Niederdeutschen wassen, im Schwed. växa, im Isländ. waxa. Das Griech. άυξάνειν, άυξειν, kommt sowohl in dem Laute, als in der Bedeutung, damit überein, so wie das Lat. augeri, auxi. Erwäget man, daß die Endsylbe sen eine intensive oder reduplicative Form andeutet, so wird es wahrscheinlich, daß die Wurzelsylbe wach, mit weg in bewegen gleichbedeutend ist, so daß der Begriff der Bewegung zu dem Begriffe des Wachsens Anlaß gegeben. Im Niederdeutschen hat man für wachsen auch das Verbum groyen, welches mit dem Engl. to grow überein kommt.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1323-1324.
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