Wieder

[1530] Wieder, ein Adverbium, oder vielmehr ein Umstandswort, welches vornehmlich eine dreyfache Bedeutung hat. 1. Der Wiederhohlung einer Handlung oder eines Zustandes, oder vielmehr, daß ein Prädicat aufs neue Statt finde, also schon vorher müsse Statt gefunden haben. Es regnet schon wieder, setzt voraus, daß es schon vorher geregnet habe. Wieder zu sich selbst kommen. Er hat mir versprochen, lange nicht wieder von der Liebe zu reden. Etwas wieder vor die[1530] Hand nehmen. Jemanden wieder zu Gnaden annehmen. Etwas wieder in den vorigen Stand setzen. Um wieder auf den vorigen Gegenstand zu kommen. Es kann in dieser Bedeutung nur mit Verbis und den davon abgeleiteten Substantiven verbunden werden, denn ob es gleich scheinet, daß es auch Adverbia bestimmen könnte, wieder hart werden, wieder aus einander gehen, so beziehet es sich doch in allen diesen Fällen zunächst auf das Verbum, und da hier mehrere Bestimmungswörter sind, so tritt wieder, als das schwächste, den übrigen vor. 2. Der Rückkehr oder Versetzung in den vorigen Zustand. Etwas wieder erstatten. Ich soll mein Geld noch wieder haben. Ich will es schon wieder gut machen. So auch wiederfinden, wiedergeben, etwas wieder herstellen, u.s.f. Diese Bedeutung fließt oft mit der vorigen zusammen, ist aber oft noch davon unterschieden. So ist etwas wiederbringen, nicht, es noch Ein Mahl bringen, sondern, es an seinen vorigen Ort bringen; etwas wiedersuchen, nicht es noch Ein Mahl suchen, sondern es suchen, damit es an seinen Besitzer zurück komme. 3. Der Vergeltung der vorher gegangenen ähnlichen Handlung eines andern, die Wiederhohlung der Handlung eines andern, in der Absicht der Vergeltung. In dem ersten Falle geschahe die Wiederhohlung von einer und eben derselben, hier von einer andern Person. Es schallet wieder, wenn der Schall des einen Dinges von dem andern wiederhohlet wird. Daher denn der Begriff des zurück, oder der Rückkehr, bald deutlicher, bald dunkler damit verbunden ist. Etwas wiederschicken, nicht, es noch Ein Mahl schicken, sondern, es an den, der es uns geschickt hatte, zurück schicken. So auch wiederfordern, wiedergeben, u.s.f.

Anm. 1. Dieses Wort ist vorzüglich um deß Willen merkwürdig, weil sich die vornehmsten und wichtigsten Regeln der Zusammensetzung der Wörter bey demselben anbringen, und durch dasselbe erläutern lassen. Einer der vornehmsten Fälle, in welchem zwey Wörter zu einem einzigen verbunden werden, ist immer der, wenn die Bedeutung elliptisch ist, und noch Eines oder mehrere Worte erfordert, wenn sie einen klaren Begriff geben soll. In der ersten Bedeutung des Wortes wieder ist das der Fall nicht: es regnet schon wieder, der Kranke geht schon wieder aus u.s.f. bedürfen zu einem klaren Begriffe keiner weitern Bestimmung: wohl aber in den beyden folgenden Bedeutungen, wo man sich den Begriff des vorigen Zustandes oder Ortes, oder der vorher gegangenen ähnlichen Handlung eines andern, wenigstens dunkel denken muß, wenn man einigen Begriff mit demselben verbinden will: wiederkehren, zurück an den vorigen Ort; wiederbellen, ein vorher gegangenes Bellen durch Bellen erwiedern. Daher kommt es in den beyden letzten Bedeutungen am häufigsten, und fast nur allein in Zusammensetzungen vor.

Eine andere Regel ist, daß wenn zwey sonst getrennte Wörter gemeinschaftliche Biegungszeichen und Artikel bekommen, sie in ein und eben dasselbe Wort übergehen. Sich einer Sache wieder erinnern, etwas wieder erlangen, wieder genesen, sind keine Composita, weil hier wieder nichts mehr ist, als ein jedes anderes Adverbium, und auch die Bedeutung nicht elliptisch ist; allein die Wiedererinnerung, Wiedererlangung, Wiedereroberung, Wiedergenesung, sind allerdings Composita, weil hier gemeinschaftliche Artikel und Biegungszeichen sind, welche nicht Statt finden können, wenn nicht der Begriff beyder Wörter als ein Ganzes gedacht wird. Andere ähnliche Bemerkungen werden im Folgenden bey den einzelnen Wörtern dieser Art vorkommen. Der Hauptton ruhet in diesen Zusammensetzungen, wie in allen übrigen Fällen, auf der ersten Hälfte, wiederkommen, das einzige wiederhohlen ausgenommen.[1531]

Anm. 2. Sowohl dieses Adverbium, als die vorige Präposition wider, lauten von den frühesten Zeiten an widari, withere, und bey dem Ulphilas vithra. Die Endsylbe er ist die Ableitungssylbe, daher es hier nur auf die Sylbe wied ankömmt, deren erste und ursprüngliche Bedeutung sich bey einem so hohen Alterthume schwerlich wird angeben lassen. Indessen scheinet der Begriff der Wiederhohlung, der Wiederkehr einer der ältesten, und die erste Sylbe in den Latein. iterum (wiederum,) iterare, item, itidem, damit nahe verwandt zu seyn. Dieses id oder it, für das Latein. re- findet sich sowohl in der alten Alemannischen Mundart, als im Angelsächsischen und Schwedischen. Bey dem Willeram ist Itlon, Wiedervergeltung, retributio, itporan werdan, wiedergebohren werden, im Angelsächs. edgyldan, wiedervergelten, im Schwed. idisla, wiederkäuen u.s.f. Von diesem wieder von neuem, zurück, ist der Begriff der Präposition wider eine bloße Figur.

Anm. 3. Ob nun gleich beyde Wörter im Grunde Eines Stammes sind, so ist es doch in der neuern Hochdeutschen Mundart seit dem 16ten Jahrh. gewöhnlich, selbige durch die Orthographie zu unterscheiden, und die Präposition wider, ohne e, das Adverbium aber mit dem e, wieder zu schreiben. Es ist der Mühe werth, die Ursache aufzusuchen, durch welche man dazu bewogen worden; und diese liegt ohne Zweifel in der Klarheit und Deutlichkeit des Ausdruckes. Wider ist eine Präposition, wieder aber ein Adverbium; beyde sind schon als Redetheile verschieden. Die Bedeutung jener ist zwar eine Figur von dieser, aber eine so weit entfernte und dunkele Figur, daß man sie ohne Schaden für eine eigene Bedeutung ansehen kann. Und dann können beyde, wenn sie auf einerley Art geschrieben werden, wirklich Zweydeutigkeit verursachen, oder doch wenigstens den Leser auf einige Augenblicke ungewiß machen, welcher Redetheil gemeinet sey. Dieser Unbequemlichkeit konnte durch ein leichtes, in der Sprache selbst an die Hand gegebenes Mittel, durch das e gehoben, und dadurch die leichte Verständlichkeit, die erste Absicht der Sprache, befördert werden. Aus ähnlichen Ursachen unterschied man auch für und vor, dann und denn, und hundert andere, nicht bloß durch die Schreibart, sondern selbst durch die Aussprache; oder vielmehr, neuere Hochdeutsche Mundart, welche sich aus der ältern Oberdeutschen und der Niederdeutschen bildete, nahm aus beyden verschiedene Formen auf, wenn sie selbige zur Klarheit nöthig fand, aus der Oberdeutschen für und dann, und aus der Niederdeutschen vor und denn. Auf ähnliche Art schrieb sie die Präposition nach der alten Art ohne e, wider, das Adverbium aber nach der neuern Art, wieder.

Man hat dagegen eingewandt: 1. Die Alten schrieben nicht so, sondern ohne Unterschied wider. Sehr wohl; aber wer hat je behauptet, daß alte und veraltete Formen, sie betreffen nun, was sie wollen, zur Richtschnur der neuen dienen können? In ausgestorbenen Sprachen ist das Alte ein Gesetz, aber nicht in lebendigen, wo es, im Falle eines Widerspruches, gerade das verwerfliche ist. Was würde geschehen, wenn wir unsere heutige Sprache nach der alten ummodeln wollten? Der Einwurf beweiset also viel zu viel, folglich eigentlich nichts. 2. Die Etymologie setzet sich dawider, und diese ist doch eine Richtschnur der Orthographie. Allerdings; aber nur die nähere Abstammung, welche in der Biegung, Ableitung und Zusammensetzung der Wörter bestehet, aber nicht die entferntere, welche dem größten Theile der Schreibenden dunkel und unbekannt ist. Wir haben tausend Wörter in der Sprache, welche sich nicht allein in der Schreibart, sondern selbst in der Aussprache und andern Umständen, von ihren Quellen entfernet haben. Der seltsame Einfall, die Wörter einer Sprache nach der entfernten Etymologie umzubilden, hat zu allen Zeiten tausend Thorheiten und Ungereimtheiten ausgehecket. Man[1532] sehe darüber eine Abhandlung in meinem Magazine. 3. Die Unterscheidung der verschiedenen Bedeutungen eines Wortes durch die Orthographie, ist eine Grille, welche in tausend Fällen nicht einmahl anwendbar ist. Sehr richtig, wenn dieser Unterschied willkührlich von einzelnen Personen gemacht wird. Aber hier kommt es bloß auf die Beybehaltung eines alten, nützlichen Unterschiedes an, der seit dem 16ten Jahrh. beynahe allgemein ist, der also von einzelnen Personen eben so wenig aufgehoben werden kann und darf, als sie befugt sind, neue einseitige Unterschiede einzuführen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1530-1533.
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