Das Seculum

[206] Das Seculum oder Säculum, ein Wort von ganz verschiedner Bedeutung, je nachdem es in der Sprache des canonischen Rechts (s. d. A.) oder in der Sprache des bürgerlichen Lebens gebraucht wird. Im erstern Falle wird es der Kirche und den geistlichen Sachen entgegen gesetzt, und man versteht darunter die Welt [206] oder das bürgerliche Leben. So wenig das Wort selbst, in diesem Sinne, in der Deutschen Sprache das Bürgerrecht erhalten hat, so verdient diese Bedeutung desselben doch hier bemerkt zu werden, da sie zu Erklärung des davon abstammenden Wortes Secularisation (s. d. Art.) dient. In dem zweiten und gewöhnlichen Sinne heißt Seculum ein Zeitraum von hundert Jahren, ein Jahrhundert. – Man behauptet gewöhnlich, daß bei den ältern Nationen theils eine geringere, theils eine größere Anzahl von Jahren zu einem Jahrhundert gerechnet worden, und, z. B. bei den alten Deutschen, ein Seculum ein Zeitraum von 30, hingegen bei den Römern ein Zeitraum von 110 Jahren gewesen sei. So wenig man sich nun hier auf eine genaue Untersuchung dieser Frage einlassen kann; so scheint doch so viel richtig zu sein, daß die Behauptung in Ansehung des dreißigjährigen Seculums der Deutschen sich auf eine falsch verstandne Stelle eines Römischen Schriftstellers gründet, das angebliche hundert und zehnjährige Seculum der Römer hingegen ebenfalls aus der unrichtigen Meinung sich herschreibe, als wenn die Römer allezeit grade mit Ablauf eines Jahrhunderts ihre Secularspiele gefeiert hätten, und solches allezeit nach 110 Jahren geschehen sei. Allein diese Secularspiele, die man zwar allezeit nach Ablauf eines neuen Jahrhunderts, von Erbauung der Stadt Rom an gerechnet, hielt, wurden gar nicht zu gewissen, bestimmten Jahren gefeiert; mithin lassen sich auch aus denselben die Anzahl der Jahre, die die Römer zu einem Seculum gerechnet, gar nicht beweisen. Dagegen ergiebt sich aus mehreren Stellen einiger ältern Römischen Schriftsteller, daß die Römer nur hundert Jahre zu einem Jahrhundert gerechnet.

So wenig nun jetzt die zu einem Jahrhundert erforderliche Anzahl der Jahre selbst einem Zweifel unterworfen ist; so hat doch hingegen die Bestimmung des Anfanges und des Endes eines Seculums, nach der christlichen Zeitrechnung, am Ende des 17ten und 18ten Jahrhunderts viele Streitigkeiten verursacht, indem sich bei Beantwortung der Frage, ob der Schluß eines Jahrhunderts mit dem [207] Jahre 99 oder erst mit dem folgenden Jahre (mithin der Schluß des 18ten Jahrhunderts mit dem Jahre 1799 oder erst mit dem Jahre 1800) zu machen sei, zwei Parteien bildeten. So gern man zugestehen kann, daß diese Frage, ihrem Werthe nach, zu den Kleinigkeiten gehört, in so fern nicht die genaue Bestimmung des Schlußjahres des abgelaufnen und des Anfangsjahres des neuen Jahrhunderts bisweilen für den oder jenen ein besonderes reelles Interesse hat (wovon sich wohl Beispiele auffinden ließen); so kann sie doch hier füglich nicht übergangen werden. – Es kommt bei Entscheidung dieser Frage hauptsächlich auf die Bestimmung der jedesmahligen Jahrzahl an. Man versteht nemlich unter der Jahrzahl entweder das wievielste Jahr nach Christi Geburt bereits verflossen, oder das wievielste nach derselben eben im Laufe sei. Ist jenes, so ist das Jahr 99 allerdings jedesmahl das letzte des Jahrhunderts; indem nach Ablaufe dieses Jahres jedesmahl wieder ein Jahrhundert, von Christi Geburt an gerechnet, verflossen ist: nimmt man hingegen an, daß die Jahrzahl das Jahr anzeige, welches eben im Gange ist; so ist das Jahr, dessen Zahl das volle Hundert enthält, auch das letzte des Jahrhunderts (z. B. das 1900 das das letzte des 19ten Jahrhunderts, mithin 1901 das erste des 20sten Jahrhunderts), weil wir erst nach Ablauf desselben volle 1900 Jahre zurückgelegt haben. Ungeachtet diese letztere Meinung die gewöhnliche ist, und wenigstens die bekannt gewordnen Secularfeiern des Jahres 1801 einstimmig für sich hat; so ist es doch, nach allem Vorstehenden, sehr sonderbar, wenn man durch das gewöhnliche, vom Gelde hergenommene, Beispiel die Lächerlichkeit der erstern Meinung dadurch beweisen will, daß, so wie niemand hundert Thaler voll zählen könne, wenn er deren erst 99 habe, eben so auch nicht eher ein neues Jahrhundert angefangen werden könne, als bis das 100ste Jahr des vorherigen (also z. B. bei dem 18ten Jahrhundert das Jahr 1800) abgelaufen sei. Denn die Anhänger der erstern Meinung läugnen gar nicht, daß z. B. 1800 Jahre zum 18ten Jahrhundert etc. gehören, sondern behaupten bloß, daß, als man 1700, 1800 etc. zu schreiben angefangen, schon völlige 1700, 1800 etc. Jahre nach [208] Christi Geburt zurückgelegt worden, mithin das Jahr 1699, 1799 etc. schon wirklich das 1700ste, 1800ste etc. gewesen sein müsse. Ob aber dem wirklich so sei, läßt sich nicht entscheiden und wird sich nie mit Gewißheit entscheiden lassen, so wie überhaupt die Richtigkeit unsrer christlichen Zeitrechnung gar nicht außer Zweifel ist, da sie erst im 6ten Jahrhunderte nach Christi Geburt durch einen Geistlichen in Rom, Dionysius den Kleinen (ein Beiname, den er seiner kleinen Statur wegen führte) in Gebrauch kam, und, theils von seiner Seite, theils von Seiten seiner Vorgänger, in der Zeitrechnung leicht ein Versehen vorgefallen sein kann. – Wer übrigens die bei Gelegenheit des Streites über den Schluß des 17ten und den Anfang 18ten Jahrh. häufig geprägten Medaillen kennen lernen will, findet solche in den histor. Gedächtniß-Münzen des gegenw. Se culi (Nürnb. 1700 Fol.) und in Lochners Samml. merkwürd. Medaillen, 1stes Jahr (Nürnb. 1744. 4.) Die Streitfrage selbst aber ist (überhaupt) in den im Bünauschen Catalog B. II. S. 156 angegebenen Schriften und in J. C. Rüdemanns kurzen Gedanken von dem Ende des gegenwärtigen und vom Anfange des zukünftigen Seculi. Coppenhag. 1699. 8. (insbesondere in Ansehung des 18. Jahrh.) im allg. lit. Anzeiger 1798 S. 99. 439. 463. 1136. – im genealogisch-historisch-statist. Taschenbuche f. d. J. 1800 (Hof 1800. 8.) und in (Prof. Carl Friedr. Hindenburgs) Beantwortung der Frage, ob das 19te Jahrhundert mit dem 1sten Januar 1800 anfange (Leipzig 1800. 8.) weitläuftiger abgehandelt.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 206-209.
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