Die Bajadere

[111] Die Bajadere. Bajaderen heißen in Ostindien junge Mädchen von zehn bis siebzehn Jahren, die tanzen, singen und kleine Schauspiele aufführen lernen. Sie stehen unter der Aufsicht einer Matrone, die in allen weiblichen Künsten und namentlich in der Kunst zu gefallen erfahren ist. Diese wählt sich aus den niedrigsten Volksclassen die schönsten Mädchen, in einem Alter von sieben bis acht Jahren, aus, läßt sie zur Erhaltung ihrer Bildung inoculiren, und führt sie dann zu den Kenntnissen und körperlichen Fertigkeiten ihres nachherigen Standes an, dessen Zweck und Bemühung auf nichts anderes gerichtet ist, als den Reichen und Vornehmen des Landes Unterhaltung und sinnliches Vergnügen zu verschaffen. Die Bajaderen sind nach und nach so zum Gegenstand des Luxus geworden, daß sie bei den geringsten Festen erscheinen, um die Gesellschaft durch ihre Künste zu vergnügen. Hat einer von den Anwesenden Lust, die Talente einer von diesen Bajaderen näher kennen zu lernen, so kostet es ihm gewöhnlich nur einen Wink. Für ein Mädchen der besten Art erhält die Matrone, der sie angehört, für die Unterhaltung eines Abends hundert Rupien oder Gulden, eben so viel für eine Nacht, außer dem Geschenk das das Mädchen bekommt; doch [111] giebt es auch solche Tänzerinnen von geringerer Gattung. Nach dem siebzehnten Jahre wenn die ersten Reitze verblüht sind, pflegen die Bajaderen sich in eine Pagode (Götzentempel) unter den Schutz der Braminen zu begeben: doch nicht, um, wie in Europa, aus Buhlerinnen alte Betschwestern zu werden; denn selbst beim Dienst im Tempel setzen sie ihre vorige Lebensart fort; und was sie durch dieselbe gewinnen, gehört den Braminen, die ihnen einen Aufenthalt und Unterhalt geben. Uebrigens wird dieses Gewerbe in Indien für nichts weniger als unanständig gehalten.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 111-112.
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