Die Päpstin Johanna

[346] Die Päpstin Johanna soll zwischen Leo X. (gest. 855) und Bendict III. (gest. 858) unter dem Namen Johann VIII. auf dem päpstlichen Stuhle gesessen haben. Man hat jedoch Grund, die Geschichte dieser Päpstin als ein aus einer Menge nach und nach zusammengetragener kleiner Erzählungen gebildetes Mährchen zu betrachten. Die angebliche Päpstin soll aus dem Mainzischen gebürtig gewesen sein, sich als Mannsperson gekleidet und betragen, und sich mit ihrem Liebhaber, einem Mönche, nach Athen begeben haben. Von da, wo sie große Fortschritte in den Wisschaften gemacht, so wie sie überhaupt einen offnen Kopf gehabt, sei sie in ihrer Maske nach Rom gegangen, und habe daselbst durch ihren Geist, besonders durch ihre Uebungen im Disputiren, so allgemeine Bewunderung erregt, daß sie nach dem Tode Leo des zehnten mit der päpstlichen Würde bekleidet worden sei. Sie habe alle Handlungen und Geschäfte eines Papstes verrichtet, sei aber i. J. 857, nachdem sie von einem ihrer Cardinalcapellane schwanger worden, während einer feierlichen Prozession nach der Laterankirche, auf öffentlicher Straße entbunden worden und eben daselbst unter dem Gebähren gestorben. – Da diese Päpstin zwei Jahr und etliche Monathe regiert haben soll, so verwundert sich Bayle mit Recht, daß sie während dieser Zeit, nach dem Stillschweigen der gleichzeitigen Schriftsteller zu urtheilen, weder auf einen einzigen Brief geantwortet, noch einen erhalten, noch die geringste Sache gethan habe, obschon sie doch so viel Geist und Kenntnisse besessen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 346.
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