Helena

[439] Helena (Mythol. u. Gesch.): diese berühmte griechische Schönheit war, der Fabel nach, die Tochter des Jupiter und der Leda, welche zwei Eier geboren hatte, aus deren Einem Kastor und Pollux, und aus dem Andern Clytemnästra und Helena entsprangen; doch geben mehrere Dichter ihr eine andere, namentlich auch die Venus, zur Mutter. Schon im 10. Jahre wurde sie vom Theseus aus dem Tempel der Proserpina entführt, oder vielmehr ihren Brüdern vorenthalten, welche sie nachher befreiten. Jetzt blieb sie in Sparta, und ihre Schönheit bezauberte alle griechische Prinzen, unter welchen ein Ulysses, Diomed, Peneleus, Ajax, Polyrenus, Philoctet, Menelaus etc. waren. Um jedem Streit vorzubeugen, ließ Tyndareus – welcher als Gemahl der Leda [439] wenigstens für den Vater der Helena galt – alle jene Freier schwören, daß keiner an dem, welchen seine Tochter zum Gemahl erkiesen würde, noch an Helenen selbst Rache ausüben wollte. Sie erkohr den Menelaus, Agamemnons Bruder, dem sie das Königreich Sparta zum Brautschatz mitbrachte. Einst als ihr Gemahl nach Creta abgereist war, kam Paris, der trojanische Prinz, an Menelaus Hof, und während seines Aufenthalts von Helenens Reizen ganz hingerissen, entführte er sie endlich, und ging mit ihr nach Troja. Hier mißbilligte fast jedermann den schändlichen Raub, obgleich Priamus und Hecuba, des Paris Eltern, so wie ihre übrigen Söhne, denselben zu billigen schienen, indem sie sich gegen die Zurückgabe der Helena, welche die Griechen forderten, schlechterdings erklärten: diese ward also des Paris Gemahlin, und die Folge dieses Raubes – der Trojanische Krieg (s. d. Art. Th. VI. S. 236 fgg.). Nach Eroberung und Vernichtung Trojas kehrte Helena, nach achtjährigem Umherirren, wieder mit ihrem vorigen Gemahl Menelaus nach Sparta zurück, wurde aber, nach dessen Tode, von ihren Stiefsöhnen, Nicostratus und Megapenthes, vertrieben, worauf sie nach Rhodus floh. Hier nahm sie zwar Polyxo, des vor Troja gebliebenen Tlepolemus Gemahlin auf; allein da sie sie als die Ursache des unglücklichen Kriegs, der ihr den Gemahl geraubt hatte, betrachtete, so rächte sie sich, als eben Helena in einem Flusse badete, indem sie ihr verkleidete Frauenzimmer nachschickte, die sie ergriffen, an einen Baum henkten und ermordeten. Juno versetzte sie, fügt die Mythologie hinzu, an den Himmel, wo ihr Gestirn den Schiffern gefährlich war. – Doch wird ihr Tod noch auf verschiedene andere Art erzählt. Kein Wunder, daß eine Dame, die in der alten griechischen Geschichte eine so wichtige Rolle spielt, den Dichtern zu so vielfachen Erzählungen und – Erdichtungen Anlaß gegeben hat! Eben so verschieden als die Erzählungen, die öfters von der oben angegebenen abweichen, und wo z. B. geradezu geleugnet wird, daß sie mit Paris nach Troja gekommen sei, und diesem jemals Umarmungen gestattet habe – sind auch die [440] Meinungen über den eigentlichen Charakter dieses merkwürdigen Weibes. Nach mehreren soll sie wider ihren Willen vom Paris entführt worden sein, auch selbst, trotz der Schonheit des Paris, immer noch ihren ersten Gemahl, mit dem Gefühl inniger Reue, geliebt haben; und so sehr einige sie als eine übel berüchtigte, buhlerische Person angesehen, so sehr haben andere sie als ganz sittsam und tugendhaft gepriesen. Sehr viel interessantes findet man darüber in des berühmten Archäologen Böttiger Vasengemälden (im 3. Hefte).

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 439-441.
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