Wahrsager

[474] Wahrsager werden bekanntlich solche Personen genannt, welche zukünftige Dinge vermittelst abergläubiger Mittel voraussagen wollen. Daß es zu jeder Zeit Menschen gegeben habe, welche die Unwissenheit, die Leichtgläubigkeit und den Aberglauben ihrer schwächeren Mitmenschen benutzt und diese bald auf die lächerlichste, bald auch auf empörende Art zu täuschen gewußt, ist sattsam bekannt. So gab es bei den ältesten heidnischen Völkern, ohne der Orakel (s. dies. Art.), welche von trügerischen Priestern geleitet wurden, zu gedenken, dergleichen Wahrsager, welche aus dem Eingeweide des geschlachteten Opferviehes, ferner aus dem Flug der Vögel, aus ihrem Gesange (s. d. Art. Auspicien i. d. N.), aus dem Wiehern der Pferde, aus dem Gestirn (s. Astrologie) etc. zukünftige Dinge voraus zu sehen, vorgaben. Dahin gehörten auch diejenigen, welche aus einem Stabe oder Holze (s. den Art. Rhabdomantie) oder aus dem Aufschlagen eines Buchs von irgend einem Dichter, wo man das erste, was einem in die Augen fiel, als göttliche Antwort auf seine Fragen oder seine Wünsche annahm (Rhapsodomantie); ferner aus Träumen, aus den Lineamenten der Hand (s. d. Art. Chiromantie)[474] wahrsagten. Eben so waren auch bei unsern alten Vorfahren, den Deutschen, besonders die Frauenzimmer, sehr mit Erforschung künftiger Dinge beschaftiget – man lernt beim Cäsar und Strabo besonders zwei Gattungen von dergleichen Wahrsagungen kennen, nemlich aus dem Wirbeln des Wassers, dem Rinnen und Rauschen der Flüsse und dann aus dem Blute der Gefangenen. – Dahin gehören auch die Allrnnen, Truhten etc. (s. dies. Art.).

Die Wahrsagekunst selbst nun theilten die Alten hauptsächlich nach den vier Elementen, in die Pyromantie (die Wahrsagekunst aus dem Feuer und aus den daraus entstehenden Wirkungen, aus dem Blitz etc.), in die Aeromantie (aus den Lufterscheinungen, den Stürmen, wunderbaren Regen, ferner aus dem Fluge und dem Geschrei der Vögel), in die Hydromantie (Wahrsagung aus dem, was in und durch das Wasser geschah), endlich in die Geomantie ein, wo aus dem, was auf und in der Erde vorging, aus Erdbeben, aus großen in der Erde entstandenen Rissen etc. künftige Dinge geweißaget wurden. Es versteht sich aber, daß außer diesen Wahrsagereien noch so viele andre aus den Händen, den Gesichtszügen, den Träumen des Menschen hergenommene Merkmale reichhaltigen Stoff für die Erforschung künftiger Ereignisse hergeben mußten. – Bei den alten Deutschen, welche vorzüglich den Wahrsagereien sehr ergeben waren, gab es ebenfalls vielerlei Arten davon: besonders wichtig war ihnen das Weissagen durch Looszeichen, welche sie, selbst nachdem sie schon zum Christenthum übergegangen waren, noch beibehielten; aus dem Flug und Geschrei der Vögel – findet man doch selbst heut zu Tage noch oft bei dem gemeinen Mann das Krähen der Hüner, das Krächzen der Raben, das Schreien der Eulen, das Hinwegfliegen der Störche etc. als sehr bedeutungsvolle Vorzeichen von Unglück, von Sterben, von Feuer etc. gefürchtet: – ferner aus dem Wiehern und Schreien der Pferde; durch angestellten Zweikampf; aus dem Blute der Opfer Thiere und Menschen: aus dem Feuer, aus dem Wasser; ferner aus den Zeiten (dem Neuen- oder Vollmond, verschiedenen glücklichen oder [475] unglücklichen Tagen etc.) nicht minder aus den Träumen; endlich auch aus Zauber-Spiegeln, welche bei ihnen ebenfalls sehr viel galten, und woran auch heut zu Tage der Aberglaube in manchen Gegenden, besonders an einen sogenannten Erdspiegel, mit großer Festigkeit hängt etc. etc.

Was der vernünftigere Theil über alle diese thörichten Bemühungen, künftige Dinge auszuforschen, denken und sagen soll, darüber bedarf es wol keiner weitern Ausführung. Indessen ist nicht zu läugnen, daß auch die alten Philosophen großentheils gewisse Arten von Wahrsagungen gebilliget und zugestanden haben (Cicero, de divinatione, hat diesem Gegenstande ein ganzes Buch gewidmet); obgleich die Meinungen über das Entstehen derselben höchst verschieden waren. Aber auf der andern Seite kann man wol auch mit Gewißheit voraussetzen, daß eben jene Philosophie der Volksmeinung sehr viel nachgeben, daß sie den gemeinen Mann aus Politik bei jenem Glauben lassen mußten, der noch obendrein meistens durch öffentliche Gesetze gestattet und gebilliget wurde. Freilich ist man nun in der Folge der Zeit, besonders von Seiten der Gesetzgebung von dieser, der Aufklärung allerdings sehr entgegenarbeitenden, Maxime zurückgekommen, und man hat es mit Recht dem Bestreben, richtigere Begriffe unter dem Volke zu verbreiten, angemessener gefunden, durch nachdrücklich Gesetze allen den Wahrsagereien und mit ihnen allen den Betrügereien, die dadurch getrieben werden, vorzubeugen. So ist, um nur der Chursächsischen Gesetze hierüber zu gedenken, durch die Constitut. v. 1572 und Polizei-Ordnung v. 1661 für »diejenigen, so sich unterstehen, aus der Teufelskunst wahrzusagen, oder mit dem Teufel durch Christallen oder in andre Wege Gespräche zu halten und sich von ihm beschehener oder zukünftiger Dinge Bericht und Erkundigung zu erholen,« die Strafe des Schwerdts gesetzt; ferner für »die, welche sich außerdem des Christallensehens, Wahrsagens, Planetenlesens etc. anmaaßen,« Gefängniß, Landesverweisung, Staupbesenschlag; ja selbst auch für diejenigen, welche sich bei solchen Wahrsagern Raths erholen, Geldbuße, Landes-Verweisung etc. bestimmt.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 8. Leipzig 1811, S. 474-476.
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