Localisation, physiologische

[604] Localisation, physiologische, (Gehirnlocalisation) heißt die Verteilung von Gehirnfunctionen (nebst deren psychischer Innenseite) an verschiedene Gehirnpartien oder, besser, an bestimmte Coordinationen von Gehirnstellen. Über die Berechtigung der Annahme einer Gehirnlocalisation bezw. des Umfanges und der Art derselben besteht noch Streit.

GALL begründet durch seine Phrenologie (s. d.) die Lehre von der Gehirnlocalisation, er spricht schon von einem Sprachcentrum (s. d.), wie später[604] BROCA (1861). FLOURENS dagegen meint, alle Hirnpartien seien gleichwertig, das ganze Gehirn sei an jeder Seelenfunction beteiligt. FRITSCH und HITZIG zeigen (1870), daß die Reizung bestimmter Punkte an der Oberfläche des Großhirns bestimmte Bewegungen nach sich ziehe. Nach H. MUNK ist jedes Sinnesorgan in einem Teile der Hinrinde vertreten (Seh- und Hörsphäre etc.); die Intelligenz aber hat »überall in der Großhirnrinde ihren Sitz« (Üb. d. Functionen der Großhirnrinde 1881, S. 73). Dagegen GOLTZ (Pflügers Arch. f. Physiol. XX, XXVI, XLII), auch WUNDT: »Berechtigt ist man nur zu schließen, daß die Localisation keine absolut unveränderliche sei, sondern daß im Laufe der Zeit andere Teile des Gehirns die Fähigkeit gewinnen können, für die Leistungen der hinweggefallenen einzutreten« (»Gesetz der Stellvertretung«). Dies beweist, »daß nicht zusammengesetzte Fähigkeiten, wie das, 'Sprachvermögen', als solche localisiert sein werden, sondern daß derartige Tätigkeiten immer aus einem verwickelten Zusammenwirken einfacher Vorgänge entspringen, die nun erst an bestimmte centrale Elemente gebunden werden« (Essays 4, S. 109; Philos. Stud. VI; Grdz. d. physiol. Psychol. I, C. 5; Vorles.3, 30. Vorl.; Gr. d. Psychol.5, S. 244 ff.). HÖFFDING glaubt nur an die Localisation von elementaren Processen (Psychol.2, S. 55). Einen vermittelnden Standpunkt nimmt auch HELLPACH ein (Grenzwissensch. d. Psychol. S. 70 ff.). FLECHSIG hingegen nimmt viele Gehirnprovinzen und drei Associationscentren (s. d.) an (Gehirn u. Seele2, 1896). Vgl. LEIDEN und JASTROWITZ, Beiträge zur Lehre von d. Localisat. im Gehirn 1888; B. HOLLÄNDER, Die Localisation d. psych. Tätigkeiten im Gehirn 1900; J. SOURY, Les fonctions du cerveau 1890.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 604-605.
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