Augustinus, Aurelius

[33] Augustinus, Aurelius, geb. 354 zu Thagaste (Numidien) als Sohn des Patricius und der Christin Monica.

Er wurde von seiner Mutter fromm erzogen und kam dann nach Madaura in die Rhetorenschule. Bald ergab er sich einem ausschweifenden Leben, da er ein sinnlich-leidenschaftliches Temperament hatte, das erst durch die Beschäftigung mit der Philosophie (Ciceros »Hortensius«) einer anderen Geistesart wich. nicht ohne daß aber der leidenschaftliche Untergrund noch oft zur Geltung kommt. Er war erst Lehrer der Rhetorik in Karthago, Rom (383) und Mailand (384), stand eine Zeitlang unter dem Einfluß des (später von ihm bekämpften) Manichäismus, dann des Skeptizismus und des Neuplatonismus. Durch die Predigten des Bischofs Ambrosius dem Christentum zugeführt (387), wurde er zum Priester geweiht (391) und endlich (395) Bischof von Hippo Rhegius (Nordafrika), wo er 430 starb. Seine Biographie schrieb sein Freund Possidius. Zu seinen philosophisch bedeutsamen Werken gehören: De pulchro et apto (verloren). Contra academicos (Gegen die Skeptiker). De beata vita. De ordine (Vom Bösen und Guten). Soliloquia (Selbstgespräche). Do immortalitate animae. De quantitate animae. De duabus animis (Gegen die Manichäer). De libero arbitrio. De vera religione. De trinitate. De civitate dei[33] (22 Bücher). Retractationes (Übersicht über die Schriften). Confessiones (Bekenntnisse, z.B. bei Reclam erschienen erschienen; enthalten auch Philosophisches, z.B. über die Zeit, Außenwelt). Gesamtausgabe der Werke: 1506, 1679-1700, 1835-1840.

A. ist der größte unter den Kirchenvätern, seine Wirkung – nicht bloß in der Theologie, sondern auch in der Geschichte der Philosophie – war eine bedeutende. Seine Weltanschauung ist streng christlich, ist aber doch nicht in allen Punkten von der Kirche rezipiert worden. In manchem verrät sich besonders der Einfluß Platos, auch der Neuplatonismus macht sich geltend, Eine volle Harmonie der Gedanken hat A. nicht immer erreicht.

Was die Erkenntnis anbelangt, so ist der Glaube der Kern alles Wissens, der Weg zur Erkenntnis. Ohne Glauben können wir nicht einmal annehmen, daß es eine Außenwelt gibt (Confess. VI, 7). Der Skeptizismus ist unhaltbar. In der inneren Erfahrung unseres eigenen Lebens und Denkens besteht eine unmittelbare, allem Zweifel entrückte Gewißheit. In unserem Innern wohnt die Wahrheit; Selbsterkenntnis ist die feste Grundlage alles Denkens. Wer zweifelt, existiert, lebt und denkt und kennt damit Wahrheit: »Quando quidem, etiam si dubitat, vivit, si dubitat, cogitat« (De trinit. X, 14), Wenn ich zweifle oder irre, so muß doch ich, der Zweifelnde, sein (vgl. Campanella, Descartes). Es gibt also einen festen Maßstab der Wahrheit. Diese selbst ist unwandelbar, von unserem Denken unabhängig, zeitlos, ewig. Gott selbst ist die Wahrheit an sich, die Einheit aller Wahrheiten, die wir in ihm, dem höchsten Lichte, erkennen. Die ewigen Wahrheiten in ihm sind die »rationes rerum«, die Ideen, die Urbilder der Dinges »Ideae principales formae quaedam vel rationes rerum stabiles atque incommutabiles, quae ipsae formatae non sunt..., quae in divina intelligentia continentur« (De divin. qu. 46).

Gott ist das höchste Wesen, das Allerrealste (»ens realissimum«), das höchste Gut, die höchste Liebe und Schönheit, über die Kategorien erhaben. Er ist der Grund aller Dinge, welche dadurch wurden, daß er sie (vorzeitlich) erkannte. Gott ist überweltlich und zugleich in der Welt wirksam, die Dinge sind in ihm (»omnia igitur sunt in ipso«). Er ist dreieinig (Macht, Weisheit, Liebe), und diese Dreiheit hat ihren Abglanz in allen Dingen, besonders in unserer Seele (Sein, Wissen, Liebe u. dgl.). Gott hat (aus Liebe) die Welt aus Nichts geschaffen, d.h. sie ist nicht durch Emanation, noch durch Gestaltung einer ewigen Materie entstanden. Die Erhaltung der Welt ist eine »creatio continua«, eine ewige Schöpfung, mit der zugleich erst die Zeit geschaffen ward. Als Werk des höchsten Gutes ist die Welt selbst gut (Optimismus). Das Böse ist nichts Positives, sondern nur eine »Beraubung« (privatio) des Guten, entstanden durch einen Abfall seitens des Willens; es kann der Ordnung und Schönheit des Universums keinen Abbruch tun.

Die Seele des Menschen ist eine immaterielle, vom Leibe trennbare Substanz (»substantia immaterialis«), welche im ganzen Körper ihren Sitz hat, da sie nicht räumlich ist. Sie ist unkörperlich, einfach, einheitlich (»in singulis tota operatur«), unauflösbar, gestaltet den organischen Leib zum solchen, ist der[34] Vernunft teilhaftig. Die Grundfunktionen der Seele sind Gedächtnis, Verstand und Wille, welch letzterer in allen Bewußtseinszuständen (auch im Denken) ist (»voluntas est quippe in omnibus«, Voluntarismus). Schon der Wahrnehmung geht ein Streben voran (»appetitus videndi«). Auch der Glaube ist ein Willensakt. Der Wille ist ein Vermögen, sich selbst zu bestimmen, er ist der Kern des Menschen. Die Seele ist unsterblich, weil sie die ewigen Wahrheiten zu erkennen vermag und von der ewigen Vernunft nicht trennbar ist; ihre Kraft ist unbegrenzt (»infinita animae vis«). – In bezug auf die Willensfreiheit schwankt A. einigermaßen. Die absolute Willensfreiheit (»posse non peccare«) besaß nur Adam vor dem Sündenfalle. Jetzt hat der Mensch nur das Vermögen der Selbstentscheidung, die psychologisch-ethische Freiheit. Der gute Wille ist wohl unser Wille, aber letzten Endes von Gott abhängig, dessen Gnade uns grundlos zum Guten bestimmt hat, während andere von Anfang an zum Bösen und damit zur Verdammnis prädestiniert sind (gegen Pelagius). In Adam hat schon die ganze Menschheit gesündigt (»Erbsünde«).

Einen ethischen Dualismus bekundet die Lehre vom »Gottesstaat«, dem Reiche der Guten, und dem weltlichen Staat; ersterer ist prädestiniert, ewig zu blühen, letzterer ist dem Teufel verfallen. Die Geschichte ist nur eine Entwicklung dieser zwei Reiche, welche in (drei oder genauer) sechs Stufen erfolgt (Kindheit, Knabenalter usw.); die letzte Periode beginnt mit Christus. Von der Zeit des Naturzustandes erfolgt der Übergang zum Zustand des Gesetzes und dann zu dem der Gnade. – Endziel des Lebens ist die Anschauung und Liebe Gottes, die im Jenseits vollendet wird, höchstes Gut ist »frui Deo«. Das Sittengesetz ist göttlich, ewig, es ist »scripta in cordibus hominum«. Die Tugend ist der Wille zum rechten Leben (»qua recte vivitur«), die Liebe zu allem je nach dessen Werte (»ordo amoris«).

SCHRIFTEN: Migne, Patrol., Bd. 32-47. – Vgl. BINDEMANN, Der heilige August., 1844-1869. – A. DORNER, August., 1873. – H. REUTER, Angustin. Studien, 1887.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 33-35.
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