Deussen, Paul

[126] Deussen, Paul, geb. 1845 in Oberdreis, Prof. in Kiel.

D. ist Anhänger Schopenhauers, dessen Lehren er im Sinne des Christentums, Platons und der indischen Philosophie auffaßt. Nach D. besteht die ganze räumlich ausgebreitete Welt nie und nirgends außer im Bewußtsein. Die Objekte sind Vorstellungen, zu denen auch die Sinnesorgane und das Gehirn gehurt. Die Außenwelt ist dem Bewußtsein immanent, sie hat »transzendentale Idealität«, aber zugleich »empirische Realität«. Das empirische Bewußtsein ist die Art, wie das Bewußtsein erscheint, das transzendentale Bewußtsein ist das Bewußtsein an sich. Dieses erzeugt Raum, Zeit und Kausalität, die materielle Erscheinungswelt; es ist der Träger der empirischen Realität, das Subjekt des Erkennens, ewig unerkennbar, raum- und zeitlos, eins. Empirisch erscheint das Bewußtsein als Gehirn, die Empfindung als Affektion der Nervenenden. Für das empirische Bewußtsein ist nur die Empfindung, für das transzendentale die in ihm von jeher fertig vorhandene Ausspannung der Körperwelt das Gegebene; vom empirischen Bewußtsein ist also die Welt unabhängig. Das Ding an sich ist raum- und zeitloser, daher für uns transzendenter Inhalt; die Vielheit der Ideen ist eine Hilfskonstruktion für die Philosophie. In uns manifestiert sich das Ding an sich als unbewußter Wille. Dieser ist die »Triebkraft des eigenen Lebens wie der ganzen übrigen Natur«. Aber wir erkennen ihn nur, sofern er erscheint: als Leib und als Wollen (d.h. auseinandergezogen in die subjektiven Anschauungsformen von Raum und Zeit). Das An sich der Körper und Kräfte ist überall der Wille, der zunächst als »erkenntnisloser Drang, als blinder Trieb« auftritt. Unser Leib ist der räumlich angeschaute Wille. In den Organismen arbeitet der Wille zweckmäßig als Einheit des Lebewesens. Die Unsterblichkeit, des Willens ist dessen Unabhängigkeit von der Zeit, »Unzerstörbarkeit ohne Fortdauer«. Betreffs der Willensfreiheit und anderer Fragen lehrt D. ganz im Sinne Schopenhauers.

Die Sittlichkeit besteht im Altruismus, in den Tugenden der Gerechtigkeit, Liebe und Askese. Aller Egoismus muß überwunden werden. Das höchste Ziel ist die Verneinung des Willens zum Leben, welcher mythisch als »Abfall« von Gott zu denken ist, mit dem das Leid verbunden ist. Durch Erkenntnis des Sündigen, Schlechten, Unseligen dieses Abfalls wird die Erlösung angebahnt.[126]

Das Prinzip der Verneinung, das nicht als persönlich gedacht werden darf, ist Gott. Gott ist eine »überweltliche Kraft, ein weltwendendes Prinzip«, mit dem wir im Grunde identisch sind. Gott ist das »Prinzip der Welterlösung«, das sich in uns kundgibt als jene Kraft, welche die Wendung des Willens zur Verneinung des individuellen Seins bewirkt. DM Höchste ist der »Friede Gottes«.

SCHRIFTEN: Elemente der Metaphysik, 1877; 4. A. 1907, Der kategorische Imperativ, 1891; 3. A. 1903. – Das System der Vedanta, 1883; 2. A. 1905. – Sechzig Upanishads des Veda, 1897. – D. Geheimlehre des Veda, 3. A. 1909. – Allgemeine Geschichte d. Philosophie, 1894 ff., 2. A. 1906 f. (Indische Philosophie).

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 126-127.
Lizenz:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika