Telesius, Bernardinus

[741] Telesius (Telesio), Bernardinus, geb. 1508 in Cosenza, studierte in Padua Philosophie, Mathematik und Physik, lebte in Cosenza, ging dann nach Neapel, wo er die naturwissenschaftliche Academia Telesiana oder Cosentina begründete, die bald einging, aber viele Nachahmungen fand. T. starb 1588 in Cosenza.

T., der von Parmenides, der Stoa u. a. beeinflußt, ist ein Gegner des Aristotelismus und der Begründer einer, vielfach an antike Lehren erinnernden dynamischen Naturphilosophie. Diese soll auf Erfahrung beruhen, in welcher sich alles Schließen (»intelligere ratione«) zu bewähren hat, denn alle Erkenntnis beruht schließlich auf der Wahrnehmung. Als Prinzipien der Dinge bestimmt T. zwei unkörperliche Kräfte: Wärme und Kälte, und die Materie (»Tria omnino principia rerum omnium ponenda sunt, agentes videlicet naturae duae calor (videl. solis) et frigus (terrae); tum corporea moles una«). Die Wärme geht vom Himmel aus, die Kälte von der Erde; erstere ist das Prinzip der Bewegung, Verdünnung, Ausdehnung, Belebung, letztere der Grund der Starrheit und Ruhe (»calor natura sua mobilis, etiam assidue molem quamcunque subit, laxat, extenuat, maximeque mobilem facit; contra vero frigus natura sua immobile, perpetuo id unum agere videtur, ut molem quam subit, constringat, denset et gravitatem eidem indat«). Je mehr Wärme in einem Dinge, desto beweglicher ist es, wie die Gestirne. Wärme und Kälte kämpfen stets miteinander, wodurch auch Himmel und Erde und die einzelnen Dinge entstanden sind (»e terra et solis calore immutata fiunt omnia«). Die Materie (»corporea moles«) ist die passive, träge widerstehende Substanz, welche durch Wärme und Kälte ausgedehnt und zusammengezogen, verdünnt und verdichtet wird, aber in allem Wechsel ihre Quantität konstant behält (»Cum nulla prorsus agendi seseque generandi facultate materia sit praedita..., moles eius adeoque et mundi magnitudo nec augeri nec minui usquam potest«). Der (leere) Raum ist unkörperlich, wirkungslos, bloße Aufnahmsfähigkeit (der »receptor« der Dinge). Die Zeit ist das Maß der Bewegung. Die Kräfte der Dinge haben ein Streben (»appetitus«), in den Dingen selbst steckt Empfindung (»sensus«; Paupsychismus).

In den Organismen befindet sich ein durch die Wärme aus dem Samen gezogener »Lebensgeist« (»spiritus a semine eductus«, »Spiritus animalis«), der in den Nerven (insbesondere im Gehirn) seinen Sitz hat und im ganzen Körper tätig ist. Der Mensch besitzt außerdem eine vom Leibe unabhängige, von. Gott hinzugefügte (»forma superaddita«), unsterbliche Seele (»substantiam, penitus divinam et ab ipso immissam creatore«). Die Empfindung (Sinneswahrnehmung) beruht auf der Einwirkung der Dinge auf den »Geigt«, der seine Affektionen verspürt (»sensus... est rerum actionum et aëria impulsionum[741] atque propriarum spiritus passionum, immutationum ac motuum perceptio«). Dem Geiste kommt auch die Erinnerung und das anschauliche Denken zu, an welches der Intellekt (die Tätigkeit der Seele) gebunden ist. – Das Endziel des Geistes ist die Selbsterhaltung; der Trieb nach ihr kommt allen Dingen zu (vgl. die Stoiker, Hobbes, Spinoza u. a.). Was der Selbsterhaltung förderlich ist, erregt Lust, was ihr entgegen ist, Schmerz (vgl. Spinoza). Im maßvollen, die Affekte beherrschenden Handeln, in der Selbsterhaltung und Selbstvervollkommnung besteht die Tugend (»Est enim virtutis munus, ut affectus et etiam quae iuxta eos eduntur operationes, prout ad spiritus conservationem et perfectionem intendendae remittendaeve sunt, et intendat et remittat«). Alle Tugenden (Weisheit, Tapferkeit, Güte usw.) sind nur Seiten einer und derselben Tugend.

Von Telesius sind beeinflußt Campanella, F. Bacon, Hobbes, Spinoza u. a.

Schriften: De rerum natura iuxta propria principia (zwei Bücher, 1565), 1586, 1588 (Hauptwerk). – Abhandlungen, 1590. – Auszüge aus dem Hauptwerk bei Rixner u. Siber, Leben und Lehrmein, berühmter Physiker, H. III. – Vgl. FIORENTINO, B. T. (italienisch), 1872 – 74. – L. FERRI, La filos. della natura e le dottrine di B. T., 1873. – K. HEILAND, Erkenntnistheorie u. Ethik des B. T., 1891.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 741-742.
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