Uphues, Goswin K.

[776] Uphues, Goswin K., geb. 1841 in Brochherbeck, Prof. in Halle a. S.

U. ist auf dem Wege erkenntnis-pychologischer Untersuchungen zum Standpunkt eines (von Eckhart, Nicolaus Cusanus, Spinoza, Plato, Augustinus, Kant u.a. beeinflußten) objektiven Idealismus vorgedrungen, der einer mystischen Weltanschauung nicht fern steht. Die Wahrnehmung unterscheidet U. von der Empfindung; während letztere subjektiv ist, ist jene die Vergegenwärtigung des Objekts, des Bewußtseinstranszendenten in Empfindungen, also »Gegenstandsbewußtsein«. Später aber verlegt U. dieses, das Bewußtsein der Transzendenz (des »Jenseits des Bewußtseins«) erst in das Urteil. Die Objekte werden durch die Vorstellungen abgebildet, wie sie unvorgestellt sind, sie treten in der Hülle von Vorstellungen auf, sind aber von ihnen verschieden. Das »Gegenstandsbewußtsein«, welches vom »Zustandsbewußtsein« zu unterscheiden ist, besteht in einer »Vergegenwärtigung« des Transzendenten im Bewußtseinsinhalte, und zwar durch Wortvorstellungen im Urteil und in dem mit diesem verbundenen Wissen um Gegenstände. Im »Meinen von etwas«, »Dafürhalten« des Urteils liegt das eigentliche Gegenstandsbewußtsein. Inwiefern aber das Transzendente adäquat erkannt wird, bleibt dahingestellt.

Gegenüber dem Psychologismus betont U. den Unterschied des Erkannten und Gedachten vom Erkennen und Denken als Bewußtseinstatsachen. Gegenstand der Logik ist das Denken, das seinen Zweck im Erkennen hat und ihm als Mittel dient, so daß die Logik in erster Linie Erkenntnislehre ist. Die Logik darf weder sensualistisch-psychologistisch, noch formalistisch sein, sondern[776] muß metaphysisch begründet werden. Die Philosophie ist die »Wissenschaft vom Wesen der Dinge und vom System der Wahrheit«. Die Wahrheit, bzw. das System der Wahrheiten, ist der Gegenstand der Erkenntnis. Im Erkennen haben wir nicht ein bloßes Bild der Wahrheit, sondern die Wahrheit selbst, diese ist in ihm gegenwärtig. Das Ziel des Erkennens ist das Wesen der Dinge. Die Wahrheit ist ein metaphysischer Begriff. Sie ist ewig und allgemeingültig, unabhängig von uns, die wir sie in Besitz nehmen; sie gilt zeitlos. »Was wahr ist, ist nur wahr, weil es für alle Zeit und darum für die Ewigkeit gilt. Nur darum gilt es auch für alle Denkenden. Wirklich ist etwas nur, weil es an diesem Ewigkeitscharakter der Wahrheit teilnimmt.« Auch die vergängliche Tatsache hat eine ewige Bedeutung, aus der sich ihr Hervortreten in der Zeit erklärt. Das Gelten steht höher als das Existieren und bedingt dieses (vgl. Plato, Lotze u.a.). Die Wahrheit gilt, auch wenn wir sie nicht erkennen, sie ist ewig, überzeitlich. Im Urteil reichen wir in Gedanken in die überzeitliche, ewige Welt, die für alle Denkenden in gleicher Weise gilt, hinein und stehen mit ihr im Zusammenhange. Diese Welt ist das Reich oder System der Wahrheit, eine Ideenwelt. Die Wahrheit ist ein Ganzes, ein System, so daß man eigentlich nicht von einer einzelnen Wahrheit sprechen kann. Der objektive Grund des Wahrheitssystems ist das göttliche Bewußtsein, das alle Wahrheiten überzeitlich umfaßt, die von ihm abhängig sind. »Mit dem überzeitlichen Bewußtsein ist alle Wahrheit von Ewigkeit verbunden, sie befindet sich in seinem Besitz, ist in ihm vorhanden.« Wir erkennen die Wahrheit nur durch »Erleuchtung« (Inspiration), d.h. durch »Teilnahme an dem überzeitlichen Bewußtsein«. Das Wesentliche der Dinge erfassen wir durch Geistesblick, durch Intuition, die vielfach eine Eingebung ist. Der »Blick des Geistes« erzeugt die gedanklichen Einzelgebilde als Zutaten zum Gegebenen, indem er sie zugleich findet und entdeckt. Die Wahrheit und Falschheit unserer einzelnen Urteile bestimmt sich nach dem »Gesetz der Übereinstimmung« (Zusammengehörigkeit). Die Kategorien sind das Erzeugnis einer begrifflichen Verarbeitung des Sinnesmaterials, welche weit über dieses hinausgeht. Raum und Zeit sind Formal-, Substanz und Kausalität Realkategorien. Die Wirklichkeit beruht letzten Endes »auf dem wirklichen Akte der Selbstentsagung und Selbstentäußerung Gottes«. Die Außendinge sind an sich »Gedanken Gottes«, die wir nachdenken. Die Dinge können wir nur nach ihrer Erscheinung in unserem Bewußtsein näher bestimmen. Die Natur ist eine Stufenleiter zum Geist, der ihr Endziel ist; es herrscht in ihr Zielstrebigkeit, Entwicklung zum Vollkommenen, welches sich durchsetzt. Die Religion ist das Bewußtsein von der Verbindung mit Gott und Verkehr mit Gott, in dem alles Sein und alle Wahrheit ihren Grund hat und von dem wir Inspirationen empfangen können.

Schriften: Die Reform des menschlichen Erkennens, 1874. – Kritik des Erkennens, 1876. – Die Definition des Satzes nach den Platonischen Dialogen Kratylus, Theaetet, Sophistes, 1880. – Das Wesen des Denkens nach Platon, 1880. – Grundlehren der Logik nach K. Shutes Discourse of Truth, 1883. – Wahrnehmung und Empfindung, 1888. – Über die Erinnerung, 1889. – Psychologie des Erkennens, 1893.[777]Sokrates u. Pestalozzi, 1896. – Pädagogik als Bildungswissenschaft, 1899. – Einführ. in d. moderne Logik I.: Grundzüge der Erkenntnistheorie, 1901. – Über die Idee einer Philos. d. Christentums, 1901. – Religiöse Vorträge, 1903. – Zur Krisis in der Logik, 1903. – Vom Lernen, 1903. – Vom Bewußtsein, 1904. – Sokrates u. Platon, 1904. – Kant u. seine Vorgänger, 1906. – Der geschichtl. Sokrates, 1908. – Erkenntniskrit. Logik, 1909. – Geschichte der Philosophie als Erkenntniskritik, 1909. – Das Bewußtsein der Transzendenz, Vierteljahreschr. f. wissensch. Philos. 21. Bd., u.a. – Vgl. die Arbeiten von H. SCHWARZ, M. PALÁGYI u.a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 776-778.
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