V

[162] Ich wurde am 29. Januar 1859 zum Gesandten in Petersburg ernannt, verließ Frankfurt aber erst am 4. März und verweilte bis zum 23. desselben Monats in Berlin. Während dieser Zeit hatte ich Gelegenheit, von der Verwendung der österreichischen geheimen Fonds, der ich bis dahin nur in der Presse begegnet war, einen praktischen Eindruck zu gewinnen. Der Bankier Levinstein, welcher seit Jahrzehnten bei meinen Vorgesetzten und in deren vertraulichen Aufträgen in Wien und Paris mit den Leitern der auswärtigen Politik und mit dem Kaiser Napoleon in Person verkehrt hatte, richtete am Morgen des Tages, auf den meine Abreise festgesetzt war, das nachstehende Schreiben an mich:

»Ew. Excellenz erlaube ich mir noch hiemit ganz ergebenst gutes Glück zu Ihrer Reise und Ihrer Mission zu wünschen, hoffend, daß wir Sie bald wieder hier begrüßen werden, da Sie im Vaterlande wohl nützlicher zu wirken vermögen als in der Ferne.

Unsre Zeit bedarf der Männer, bedarf Thatkraft, das wird man hier vielleicht etwas zu spät einsehen. Aber die Ereignisse in unsrer Zeit gehen rasch, und ich fürchte, daß für die Dauer doch der Friede kaum zu erhalten sein wird, wie man auch für einige Monate kitten wird.

Ich habe heut eine kleine Operation gemacht, die, wie ich hoffe, gute Früchte tragen soll, ich werde später die Ehre haben, sie Ihnen mitzuteilen. –

In Wien ist man sehr unbehaglich wegen Ihrer Petersburger Mission, weil man Sie für einen principiellen Gegner hält.

Sehr gut wäre es, dort ausgesöhnt zu sein, weil doch früher oder später jene Mächte sich mit uns gut verstehen werden.[162]

Wollen Ew. Exzellenz nur in einigen beliebigen Zeilen an mich sagen, daß Sie persönlich nicht gegen Oesterreich eingenommen sind, so würde das von unberechenbarem Nutzen sein. – Herr von Manteuffel sagt immer, ich sei zähe in der Ausführung einer Idee und ruhe nicht, bis ich zum Ziele gekommen – doch fügte er hinzu, ich wäre weder ehr- noch geldgeizig. Bis jetzt, Gott sei Dank, ist es mein Stolz, daß noch Niemand aus einer Verbindung mit mir irgend einen Nachtheil gehabt.

Für die Dauer Ihrer Abwesenheit biete ich Ihnen meine Dienste zur Besorgung Ihrer Angelegenheiten, sei es hier oder sonst wo, mit Vergnügen an. Uneigennütziger und redlicher sollen Sie gewiß anderswo nicht bedient werden.


Mit aufrichtiger Hochachtung bin ich

Ew. Exzellenz

B. 23./3. 59

ganz ergebenster

Levinstein.«


Ich ließ den Brief unbeantwortet und erhielt im Laufe des Tages, vor meiner Abfahrt zum Bahnhofe, im Hotel Royal, wo ich logirte, den Besuch des Herrn Levinstein. Nachdem er sich durch Vorzeigung eines eigenhändigen Einführungsschreibens des Grafen Buol legitimirt hatte, machte er mir den Vorschlag zur Betheiligung an einem Finanzgeschäft, welches mir »jährlich 20000 Thaler mit Sicherheit abwerfen« würde. Auf meine Erwiderung, daß ich keine Capitalien anzulegen hätte, erfolgte die Antwort, daß Geldeinschüsse zu dem Geschäft nicht erforderlich seien, sondern daß meine Einlage darin bestehen würde, daß ich mit der preußischen auch die österreichische Politik am russischen Hofe befürwortete, weil die fraglichen Geschäfte nur gelingen könnten, wenn die Beziehungen zwischen Rußland und Oesterreich günstig wären. Mir war daran gelegen, irgendwelches schriftliche Zeugniß über dieses Anerbieten in die Hand zu bekommen, um durch dasselbe dem Regenten den Beweis zu liefern, wie gerechtfertigt mein Mißtrauen gegen die Politik des Grafen Buol war. Ich hielt deshalb dem Levinstein vor, daß ich bei einem so bedenklichen Geschäft doch eine stärkere Sicherheit haben müßte, als seine mündliche Aeußerung, auf Grund der wenigen Zeilen von der Hand des Grafen Buol, die er an sich behalten habe. Er wollte sich nicht dazu verstehen, mir eine schriftliche Zusage zu beschaffen, erhöhte aber sein Anerbieten auf 30000 Thaler jährlich. Nachdem ich mich überzeugt[163] hatte, daß ich schriftliches Beweis-Material nicht erlangen würde, ersuchte ich Levinstein, mich zu verlassen, und schickte mich zum Ausgehen an. Er folgte mir auf der Treppe unter beweglichen Redensarten über das Thema: »Sehen Sie sich vor, es ist nicht angenehm, die ›Kaiserliche Regierung‹ zum Feinde zu haben.« Erst als ich ihn auf die Steilheit der Treppe und auf meine körperliche Ueberlegenheit aufmerksam machte, stieg er vor mir schnell die Treppe hinab und verließ mich.

Dieser Unterhändler war mir persönlich bekannt geworden durch die Vertrauensstellung, welche er seit Jahren im Auswärtigen Ministerium eingenommen, und durch die Aufträge, welcher er von dort für mich zur Zeit Manteuffels erhielt. Er pflegte seine Beziehungen in den unteren Stellen durch übermäßige Trinkgelder.

Als ich Minister geworden war und das Verhältniß des Auswärtigen Amts zu Levinstein abgebrochen hatte, wurden wiederholt Versuche gemacht, dasselbe wieder in Gang zu bringen, namentlich von dem Consul Bamberg in Paris, der mehrmals zu mir kam und mir Vorwürfe darüber machte, daß ich einen »so ausgezeichneten Mann«, der eine solche Stellung an den europäischen Höfen habe, wie Levinstein, so schlecht behandeln könnte.

Ich fand auch sonst Anlaß, Gewohnheiten, die in dem Auswärtigen Ministerium eingerissen waren, abzustellen. Der langjährige Portier des Dienstgebäudes, ein alter Trunkenbold, konnte als Beamter nicht ohne Weiteres entlassen werden. Ich brachte ihn dahin, den Abschied zu nehmen, durch die Drohung, ihn dafür zur Untersuchung zu ziehen, daß er mich »für Geld zeige«, indem er gegen Trinkgeld Jedermann zu mir lasse. Seinen Protest brachte ich mit der Bemerkung zum Schweigen: »Haben Sie mir, als ich Gesandter war, nicht jederzeit Herrn von Manteuffel für einen Thaler, und, wenn das Verbot besonders streng war, für zwei Thaler gezeigt?« Von meiner eigenen Dienerschaft wurde mir gelegentlich gemeldet, welche unverhältnißmäßigen Trinkgelder Levinstein an sie verschwendete. Thätige Agenten und Geldempfänger auf diesem Gebiete waren einige von Manteuffel und Schleinitz übernommene Canzleidiener, unter ihnen ein für seine subalterne Amtsstellung hervorragender Maurer. Graf Bernstorff hatte während seiner kurzen Amtszeit der Corruption im Auswärtigen Amte kein Ende machen können, war auch wohl geschäftlich und gräflich zu stark präoccupirt, um diesen Dingen nahe zu treten. Ich habe meine Begegnung mit Levinstein, meine Meinung über ihn, seine Beziehungen zu dem Auswärtigen Ministerium später dem Regenten mit[164] allen Details zur Kenntniß gebracht, sobald ich die Möglichkeit hatte, dies mündlich zu thun, was erst Monate später der Fall war. Von einer schriftlichen Berichterstattung versprach ich mir keinen Erfolg, da die Protektion Levinsteins durch Herrn von Schleinitz nicht blos zum Regenten hinauf, sondern an die Umgebung der Frau Prinzessin1 hinan reichte, welche bei ihren Darstellungen der Sachlage keinen Beruf fühlte, die Unterlagen objectiv zu prüfen, sondern geneigt war, die Anwaltschaft für meine Gegner zu übernehmen.

1

Vgl. was in dem Proceß gegen den Hofrath Manché, Oktober 1891, in Betreff der Palastdame zur Sprache gekommen ist.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 165.
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