II

[284] Die Abstufungen, welche in den dänischen Fragen erreichbar erschienen und deren jede für die Herzogthümer einen Fortschritt zum Besseren im Vergleich mit dem vorhandenen Zustande bedeutete, gipfelten m.E. in der Erwerbung der Herzogthümer für Preußen, wie ich sofort nach dem Tode (der am 15. November 1863 erfolgte) Friedrich's VII. im Ministerrath ausgesprochen habe. Ich erinnerte den König daran, daß jeder seiner nächsten Vorfahren außer seinem Bruder für den Staat einen Zuwachs gewonnen habe, Friedrich Wilhelm III. die Rheinprovinz, Friedrich Wilhelm II. Polen, Friedrich II. Schlesien, Friedrich Wilhelm I. Altvorpommern, der Große Kurfürst Hinterpommern und Magdeburg, Minden[284] u.s.w., und ermunterte ihn, ein Gleiches zu thun. In dem Protokolle fehlte diese meine Aeußerung. Der Geh. Rath Costenoble, der die Protokolle zu führen hatte, sagte, von mir zur Rede gestellt, der König hätte gemeint, es würde mir so lieber sein, wenn meine Auslassungen nicht protokollarisch festgelegt würden; ich bestand aber auf der Einschaltung, die auch erfolgte. Der Kronprinz hatte, während ich sprach, die Hände zum Himmel erhoben, als wenn er an meinen gesunden Sinnen zweifelte; meine Collegen verhielten sich schweigend.

S.M. schien geglaubt zu haben, daß ich unter bachischen Eindrücken eines Frühstücks gesprochen hätte und froh sein würde, nichts weiter davon zu hören.

Wäre das höchste Ziel nicht zu erreichen gewesen, so konnten wir trotz aller augustenburgischen Verzichtleistungen auf die Einsetzung dieser Dynastie und die Herstellung eines neuen Mittelstaates eingehn, wenn die preußischen und deutschnationalen Interessen sichergestellt würden, welche durch das Wesentliche der Februarbedingungen, Militärconvention, Kiel als Bundeshafen und den Nord-Ostsee-Canal, gedeckt waren.

Wäre auch das nach der europäischen Situation und nach dem Willen des Königs nicht zu erreichen gewesen ohne Isolirung Preußens von allen Großmächten einschließlich Oesterreichs, so stand zur Frage, auf welchem Wege für die Herzogthümer, sei es in Form der Personalunion oder in einer andern, ein vorläufiger Abschluß erreichbar bliebe, der immerhin eine Verbesserung der Lage der Herzogthümer hätte sein müssen. Ich habe von Anfang an die Annexion unverrückt im Auge behalten, ohne die andern Abstufungen aus dem Gesichtsfeld zu verlieren. Als die Situation, welche ich absolut glaubte vermeiden zu müssen, betrachtete ich diejenige, welche in der öffentlichen Meinung von unsern Gegnern als Programm aufgestellt war, d.h. den Kampf und Krieg Preußens für die Errichtung eines neuen Großherzogthums, durchzufechten an der Spitze der Zeitungen, der Vereine, der Freischaaren und der Bundesstaaten außer Oesterreich, und ohne die Sicherheit, daß die Bundesregierungen die Sache auf jede Gefahr hin durchführen würden. Dabei hatte die in dieser Richtung entwickelte öffentliche Meinung, auch der Präsident Ludwig von Gerlach, ein kindliches Vertrauen zu dem Beistande, welchen England dem isolirten Preußen leisten würde. Viel leichter als die englische wäre die französische Genossenschaft zu erlangen gewesen, wenn wir den Preis hätten zahlen wollen, den sie uns voraussichtlich gekostet[285] haben würde. Ich habe nie in der Ueberzeugung geschwankt, daß Preußen, gestützt nur auf die Waffen und Genossen von 1848, öffentliche Meinung, Landtage, Vereine, Freischaaren und die kleinen Contingente in ihrer damaligen Verfassung, sich auf ein hoffnungsloses Beginnen eingelassen und unter den großen Mächten nur Feinde gefunden hätte, auch in England. Ich hätte den Minister als Schwindler und Landesverräther betrachtet, der in die falsche Politik von 1848, 49, 50 zurückgefallen wäre, die uns ein neues Olmütz bereiten mußte. Sobald aber Oesterreich mit uns war, schwand die Wahrscheinlichkeit einer Coalition der andern Mächte gegen uns.

Wenn, auch durch Landtagsbeschlüsse, Zeitungen und Schützenfeste die deutsche Einheit nicht hergestellt werden konnte, so übte doch der Liberalismus einen Druck auf die Fürsten, welcher sie zu Conzessionen für das Reich geneigter machte. Die Stimmung der Höfe schwankte zwischen dem Wunsche, dem Andringen der Liberalen gegenüber die fürstliche Stellung in particularistischer und autokratischer Sonderpolitik zu befestigen, und der Sorge vor Friedenstörungen durch äußere oder innere Gewalt. An ihrer deutschen Gesinnung ließ keine deutsche Regierung einen Zweifel, doch über die Art, wie die deutsche Zukunft gestaltet werden sollte, stimmten weder die Regierungen noch die Parteien überein. Es ist nicht wahrscheinlich, daß der Kaiser Wilhelm als Regent und später als König auf dem Wege, den er zuerst unter dem Einflusse seiner Gemahlin mit der neuen Aera betreten hatte, je dahin gebracht worden wäre, das zur Erreichung der Einheit Nothwendige zu thun, indem er dem Bunde absagte und die preußische Armee für die deutsche Sache einsetzte. Auf der andern Seite aber ist es auch nicht wahrscheinlich, daß er ohne seine vorhergehenden Versuche und Bestrebungen in liberaler Richtung, ohne die Verbindlichkeiten, in die er dadurch gerathen war, in die Wege zum dänischen und damit zum böhmischen Kriege hätte geleitet werden können. Vielleicht wäre es nicht einmal gelungen, ihn von dem Frankfurter Fürstencongreß 1863 fern zu halten, wenn die liberalen Antecedenzien nicht ein gewisses Popularitätsbedürfniß in liberaler Richtung auch bei dem Herrn zurückgelassen hätten, welches ihm vor Olmütz fremd gewesen, seitdem aber die natürliche psychologische Folge des Verlangens gewesen war, für die seinem preußischen Ehrgefühl auf dem Gebiete der deutschen Politik geschlagene Wunde auf demselben Gebiete Heilung und Genugthuung zu suchen. Die holstein'sche Frage, der dänische Krieg, Düppel und Alsen, der[286] Bruch mit Oesterreich und die Entscheidung der deutschen Frage auf dem Schlachtfelde: in dieses ganze Wagesystem wäre er ohne die schwierige Stellung, in welche ihn die neue Aera gebracht hatte, vielleicht nicht eingegangen.

Es kostete freilich 1864 viel Mühe, die Fäden zu lösen, durch welche der König unter Mitwirkung des liberalistischen Einflusses seiner Gemahlin mit jenem Lager in Verbindung stand. Ohne die verwickelten Rechtsfragen der Erbfolge untersucht zu haben, blieb er dabei: »Ich habe kein Recht auf Holstein«. Meine Vorhaltung, daß der Herzog von Augustenburg kein Recht habe, auf den herzoglichen und den Schauenburgischen Antheil nie gehabt und auf den Königlichen Theil zweimal 1728 und 1852 entsagt habe, daß Dänemark am Bundestage in der Regel mit Preußen gestimmt habe, der Herzog von Schleswig-Holstein aus Furcht vor preußischem Uebergewicht es mit Oesterreich halten werde, machte keinen Eindruck. Wenn auch die Erwerbung dieser von zwei Meeren umspülten Provinzen und meine geschichtliche Erinnerung in der Conseilsitzung vom December 1863 auf das dynastische Gefühl des Herrn nicht ohne Wirkung war, so war auf der andern Seite die Vergegenwärtigung der Mißbilligung wirksam, welche der König, wenn er den Augustenburger aufgab, bei seiner Gemahlin, bei dem kronprinzlichen Paare, bei verschiedenen Dynastien und bei denen zu erwarten hatte, welche damals in seiner Auffassung die öffentliche Meinung Deutschlands bildeten.

Die öffentliche Meinung war in den gebildeten Mittelständen Deutschlands ohne Zweifel augustenburgisch, in derselben Urtheilslosigkeit, welche sich früher den Polonismus und später die künstliche Begeisterung für die battenbergische Bulgarei als deutsches Nationalinteresse unterschieben ließ. Die Mache der Presse war in diesen beiden etwas analogen Lagen betrübend erfolgreich und die öffentliche Dummheit für ihre Wirkung so empfänglich wie immer. Die Neigung zur Kritik der Regierung war 1864 auf der Höhe des Satzes: Nein, er gefällt mir nicht, der neue Bürgermeister. Ich weiß nicht, ob es heut noch Jemanden gibt, der es für vernünftig hielte, wenn nach Befreiung der Herzogthümer aus ihnen ein neues Großherzogthum hergestellt worden wäre mit Stimmberechtigung am Bundestage und dem sich von selbst ergebenden Berufe, sich vor Preußen zu fürchten und es mit seinen Gegnern zu halten; damals aber wurde die Erwerbung der Herzogthümer für Preußen als eine Ruchlosigkeit von allen denen betrachtet, welche seit 1848 sich als die Vertreter der nationalen Gedanken[287] ausgespielt hatten. Mein Respect vor der sogenannten öffentlichen Meinung, das heißt, vor dem Lärm der Redner und der Zeitungen, war niemals groß gewesen, wurde aber in Betreff der auswärtigen Politik in den beiden oben verglichenen Fällen noch erheblich herabgedrückt. Wie stark die Anschauungsweise des Königs bis dahin von dem landläufigen Liberalismus durch den Einfluß der Gemahlin und der Bethmann-Hollweg'schen Streberfraktion imprägnirt war, beweist die Zähigkeit, mit welcher er an dem Widerspruch festhielt, in welchem das österreichisch-Frankfurter-Augustenburger Programm mit dem preußischen Streben nach nationaler Einheit stand. Logisch begründet konnte diese Politik dem König gegenüber unmöglich werden; er hatte sie, ohne eine chemische Analyse ihres Inhalts vorzunehmen, als Zubehör des Altliberalismus vom Standpunkt der früheren Thronfolgerkritik und der Ratgeber der Königin im Sinne von Goltz, Pourtales u.s.w. [adoptiert]. Ich greife in der Zeit vor, indem ich hier das letzte Lebenszeichen der Wochenblattspartei einschalte, das Schreiben des Herrn von Bethmann-Hollweg an den König vom 15. Juni 1866, dessen Hauptsätze lauten:

»Was Ew. M. stets gefürchtet und vermieden, was alle Einsichtigen voraussahen, daß ein ernstliches Zerwürfniß mit Oesterreich von Frankreich benutzt werden würde, um sich auf Kosten Deutschlands zu vergrößern (wo?), liegt jetzt in L. Napoleons ausgesprochenem Programm aller Welt vor Augen. – Die ganzen Rheinlande für die Herzogthümer wäre für ihn kein schlechter Tausch, denn mit den früher beanspruchten petites rectifications des frontières wird er sich gewiß nicht begnügen. Und Er ist der allmächtige Gebieter in Europa! – Gegen den Urheber dieser unsrer Politik hege ich keine feindliche Gesinnung. Ich erinnere mich gerne, daß ich 1848 Hand in Hand mit ihm ging, um den König zu stärken. Im März 1862 rieth ich Ew. M., einen Steuermann von conservativen Antezedentien zu wählen, der Ehrgeiz, Kühnheit und Geschick genug besitze, um das Staatsschiff aus den Klippen, in die es gerathen, herauszuführen, und ich würde Herrn von Bismarck genannt haben, hätte ich geglaubt, daß er mit jenen Eigenschaften die Besonnenheit und Folgerichtigkeit des Denkens und Handelns verbände, deren Mangel der Jugend kaum verziehen wird, bei einem Manne aber für den Staat, den er führt, lebensgefährlich ist. In der That war des Grafen Bismarck Thun von Anfang an voller Widersprüche. Von jeher ein entschiedener Vertreter der russisch-französischen Allianz, knüpfte er an die im preußischen Interesse[288] Rußland zu leistende Hilfe gegen den polnischen Aufstand politische Projecte1, die ihm beide Staaten entfremden mußten. Als ihm 1863 mit dem Tode des Königs von Dänemark eine Aufgabe in den Schooß fiel, so glücklich, wie sie nur je einem Staatsmanne zu Theil geworden, verschmähte er es, Preußen an die Spitze der einmüthigen Erhebung Deutschlands (in Resolutionen) zu stellen, dessen Einigung unter Preußens Führung sein Ziel war, verband sich vielmehr mit Oesterreich, dem principiellen Gegner dieses Planes, um später sich mit ihm unversöhnlich zu verfeinden. Den Prinzen von Augustenburg, dem Ew. Majestät wohlwollten und von dem damals Alles zu erhalten war, mißhandelte er2, um ihn bald darauf durch den Grafen Bernstorff auf der Londoner Conferenz für den Berechtigten erklären zu lassen. Dann verpflichtet er Preußen im Wiener Frieden, nur im Einverständniß mit Oesterreich definitiv über die befreiten Herzogthümer zu disponiren3, und läßt in denselben Einrichtungen treffen, welche die beabsichtigte ›Annexion‹ deutlich verkündigen. –

Viele betrachten diese und ähnliche Maßregeln, die, weil in sich widersprechend, in das Gegentheil des Bezweckten umschlugen, als Fehler der Unbesonnenheit. Andern erscheinen sie als Schritt eines Mannes, der auf Abenteuer ausgeht, Alles durcheinanderwirft und es darauf ankommen läßt, was ihm zur Beute wird, oder eines Spielers, der nach jedem Verlust höher pointirt und endlich va banque macht.

Dies Alles ist schlimm, aber noch viel schlimmer in meinen Augen, daß Graf Bismarck sich in dieser Handlungsweise mit der Gesinnung und den Zielen seines Königs in Widerspruch setzte und sein größtes Geschick darin bewies, daß er ihn Schritt für Schritt dem entgegengesetzten Ziele näher führte, bis die Umkehr unmöglich schien, während es nach meinem Dafürhalten die erste Pflicht eines Ministers ist, seinen Fürsten treu zu berathen, ihm die Mittel zur Ausführung seiner Absichten darzureichen und vor Allem sein Bild vor der Welt rein zu erhalten. Sr. Majestät gerader, gerechter und ritterlicher Sinn ist weltbekannt und hat Allerhöchstdemselben das allgemeine Vertrauen, die allgemeine Verehrung zugewendet. Graf Bismarck aber hat es dahin gebracht, daß Ew. Majestät edelste Worte dem Lande gegenüber, weil nicht geglaubt, wirkungslos verhallen und jede Verständigung mit andern Mächten[289] unmöglich geworden, weil die erste Vorbedingung derselben, das Vertrauen, durch eine ränkevolle Politik zerstört worden ist. Noch ist kein Schuß gefallen, noch ist Verständigung unter einer Bedingung möglich. Nicht die Kriegsrüstungen sind einzustellen, vielmehr, wenn es möglich ist, zu verdoppeln, um Gegnern, die unsre Vernichtung wollen, siegreich entgegen zu treten oder mit vollen Ehren aus dem verwickelten Handel herauszukommen. Aber jede Verständigung ist unmöglich, so lange der Mann an Ew. Majestät Seite steht, Ihr entschiedenes Vertrauen besitzt, der dieses Ew. Majestät bei allen andern Mächten geraubt hat.«

1

Vergl. Buch II, Kapitel 4.

2

Vergl. den Brief des Prinzen vom 11. December 1863, S. 398.

3

Warum nicht: Verpflichtete er Oesterreich, nur im Einverständniß mit Preußen usw.?

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 290.
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