III

[212] Die Eigenschaft einer Großmacht konnten wir uns vor 1866 nur cum grano salis beimessen, und wir hielten nach dem Krimkriege für nöthig, uns um eine äußerliche Anerkennung derselben durch Antichambriren im Pariser Congresse zu bewerben. Wir bekannten, daß wir eines Attestes andrer Mächte bedurften, um uns als Großmacht zu fühlen. Dem Maßstabe der Gortschakow'schen Redensart bezüglich Italiens »une grande puissance ne se reconnaît pas, elle se révèle« fühlten wir uns nicht gewachsen. Die révélation, daß Preußen eine Großmacht sei, war vorher zu Zeiten in Europa anerkannt gewesen (vgl. Buch II, Kapitel 5), aber sie erlitt durch lange Jahre kleinmüthiger Politik eine Abschwächung, die schließlich in der kläglichen Rolle, welche Manteuffel in Paris übernahm, ihren Ausdruck fand. Seine verspätete Zulassung konnte die Wahrheit nicht entkräften, daß eine Großmacht zu ihrer Anerkennung vor allen Dingen der Ueberzeugung und des Muthes, eine solche zu sein, bedarf. Ich habe es als einen bedauerlichen Mangel an Selbstbewußtsein angesehen, daß wir nach allen uns widerfahrenen Geringschätzungen von Seiten Oesterreichs und der Westmächte überhaupt das Bedürfniß empfanden, auf dem Congresse zugelassen zu werden und seinen Beschlüssen unsre Unterschrift hinzuzufügen. Unsre Stellung 1870 in den Londoner Besprechungen über das Schwarze Meer würde die Richtigkeit dieser Ansicht bezeugt haben, wenn Preußen sich nicht in den Pariser Congreß in würdeloser Weise eingedrängt hätte. Als Manteuffel aus Paris zurückkehrte und am 20. und 21. April in Frankfurt mein Gast war, habe ich mir erlaubt, ihm mein Bedauern darüber auszusprechen, daß er nicht das victa Catoni zur Richtschnur genommen und uns die richtige unabhängige Stellung für die Eventualität der nach Lage der Dinge vorauszusehenden russisch-französischen gegenseitigen Annäherung angebahnt habe. Daß der Kaiser Napoleon damals die[212] russische Freundschaft schon in Aussicht nahm, daß für maßgebende Kreise in England der Friedensschluß verfrüht erschien, konnte in dem Auswärtigen Amte in Berlin nicht zweifelhaft sein. Wie würdig und unabhängig wäre unsre Stellung gewesen, wenn wir uns nicht in den Pariser Congreß in einer demüthigenden Weise eingedrängt, sondern bei mangelnder rechtzeitiger Einladung unsre Betheiligung versagt hätten. Bei angemessener Zurückhaltung würden wir in der neuen Gruppirung umworben worden sein, und schon äußerlich wäre unsere Stellung eine würdigere gewesen, wenn wir unsre Einschätzung als europäische Großmacht nicht von diplomatischen Gegnern abhängig gemacht, sondern lediglich auf unser Selbstbewußtsein basirt hätten, indem wir uns des Anspruchs auf Betheiligung an europäischen Abmachungen enthielten, welche für Preußen kein Interesse hatten, als höchstens nach Analogie der Reichenbacher Convention das der Eitelkeit des Prestige und des Mitredens in Dingen, die unsre Interessen nicht berührten.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 212-213.
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