IV

[310] Inzwischen hatte ich in den Conferenzen mit Karolyi und mit Benedetti, dem es, Dank dem Ungeschick unsrer militärischen Polizei im Rücken des Heeres, gelungen war, in der Nacht vom 11. zum 12. nach Zwittau zu gelangen und dort plötzlich vor meinem Bette zu erscheinen, die Bedingungen ermittelt, unter denen der Friede erreichbar war. Benedetti erklärte für die Grundlinie der Napoleonischen Politik, daß eine Vergrößerung Preußens um höchstens 4 Millionen Seelen in Norddeutschland, unter Festhaltung der Mainlinie als Südgrenze, keine französische Einmischung nach sich ziehen werde. Er hoffte wohl, einen süddeutschen Bund als französische Filiale auszubilden. Oesterreich trat aus dem Deutschen Bunde aus und war bereit, alle Einrichtungen, welche der König in Norddeutschland treffen werde, vorbehaltlich der Integrität Sachsens, anzuerkennen. Diese Bedingungen enthielten Alles, dessen wir bedurften, freie Bewegung in Deutschland.

Ich war nach allen vorstehenden Erwägungen fest entschlossen, die Annahme des von Oesterreich gebotenen Friedens zur Cabinetsfrage zu machen. Die Lage war eine schwierige; allen Generalen war die Abneigung gemeinsam, den bisherigen Siegeslauf abzubrechen, und der König war militärischen Einflüssen im Laufe jener Tage öfter und bereitwilliger zugänglich als den meinigen; ich war der Einzige im Hauptquartier, dem eine politische Verantwortlichkeit als Minister oblag und der sich nothwendig der Situation gegenüber eine Meinung bilden und einen Entschluß fassen mußte, ohne sich für den Ausfall auf irgend eine andre Autorität in Gestalt collegialischen Beschlusses oder höherer Befehle berufen zu können. Ich konnte die Gestaltung der Zukunft und das von ihr[310] abhängige Urtheil der Welt ebenso wenig voraussehen wir irgend ein Andrer, aber ich war der einzige Anwesende, der gesetzlich verpflichtet war, eine Meinung zu haben, zu äußern und zu vertreten. Ich hatte sie mir in sorgsamer Ueberlegung der Zukunft unsrer Stellung in Deutschland und unsrer Beziehungen zu Oesterreich gebildet, war bereit, sie zu verantworten und bei dem Könige zu vertreten. Es war mir bekannt, daß man mich im Generalstabe den »Questenberg im Lager« nannte, und die Identificirung mit dem Wallenstein'schen Hofkriegsrath war mir nicht schmeichelhaft.

Am 23. Juli fand unter dem Vorsitze des Königs ein Kriegsrath Statt, in dem beschlossen werden sollte, ob unter den gebotenen Bedingungen Friede zu machen oder der Krieg fortzusetzen sei. Eine schmerzhafte Krankheit, an der ich litt, machte es nothwendig, die Berathung in meinem Zimmer zu halten. Ich war dabei der einzige Civilist in Uniform. Ich trug meine Ueberzeugung dahin vor, daß auf die österreichischen Bedingungen der Friede geschlossen werden müsse, blieb aber damit allein; der König trat der militärischen Mehrheit bei. Meine Nerven widerstanden den mich Tag und Nacht ergreifenden Eindrücken nicht, ich stand schweigend auf, ging in mein anstoßendes Schlafzimmer und wurde dort von einem heftigen Weinkrampf befallen. Während desselben hörte ich, wie im Nebenzimmer der Kriegsrath aufbrach. Ich machte mich nun an die Arbeit, die Gründe zu Papier zu bringen, die m.E. für den Friedensschluß sprachen, und bat den König, wenn er diesen meinen verantwortlichen Rath nicht annehmen wolle, mich meiner Aemter als Minister bei Weiterführung des Krieges zu entheben. Mit diesem Schriftstücke (zum Theil abgedruckt in Sybel V 294) begab ich mich am folgenden Tage zum mündlichen Vortrag. Im Vorzimmer fand ich zwei Obersten mit Berichten über das Umsichgreifen der Cholera unter ihren Leuten, von denen kaum die Hälfte dienstfähig war1. Die erschreckenden Zahlen befestigten meinen Entschluß, aus dem Eingehen auf die österreichischen Bedingungen die Cabinetsfrage zu machen. Ich befürchtete neben politischen Sorgen, daß bei Verlegung der Operationen nach Ungarn die mir bekannte Beschaffenheit dieses Landes die Krankheit schnell übermächtig machen würde. Das Klima, besonders im August, ist gefährlich, der Wassermangel groß, die ländlichen Ortschaften mit Feldmarken von mehreren Quadratmeilen weit verstreut, dazu Reichthum an Pflaumen und Melonen. Mir schwebte als warnendes Beispiel unser Feldzug von 1792 in der[311] Champagne vor, wo wir nicht durch die Franzosen, sondern durch Ruhr zum Rückzug gezwungen wurden.

Ich entwickelte dem Könige an der Hand meines Schriftstücks die politischen und militärischen Gründe, welche gegen die Fortsetzung des Krieges sprachen.

Oesterreich schwer zu verwunden, dauernde Bitterkeit und Revanchebedürfniß mehr als nöthig zu hinterlassen, müßten wir vermeiden, vielmehr uns die Möglichkeit, uns mit dem heutigen Gegner wieder zu befreunden, wahren und jedenfalls den österreichischen Staat als einen guten Stein im europäischen Schachbrett und die Erneuerung guter Beziehungen mit demselben als einen für uns offen zu haltenden Schachzug ansehen. Wenn Oesterreich schwer geschädigt wäre, so würde es der Bundesgenosse Frankreichs und jedes Gegners werden; es würde selbst seine antirussischen Interessen der Revanche gegen Preußen opfern.

Auf der andern Seite könnte ich mir keine für uns annehmbare Zukunft der Länder, welche die österreichische Monarchie bildeten, denken, falls letztere durch ungarische und slavische Aufstände zerstört oder in dauernde Abhängigkeit versetzt werden sollte. Was sollte an die Stelle Europas gesetzt werden, welche der österreichische Staat von Tyrol bis zur Bukowina bisher ausfüllt? Neue Bildungen auf dieser Fläche könnten nur dauernd revolutionärer Natur sein. Deutsch-Oesterreich könnten wir weder ganz noch theilweise brauchen, eine Stärkung des preußischen Staates durch Erwerbung von Provinzen wie Oesterreichisch-Schlesien und Stücken von Böhmen nicht gewinnen, eine Verschmelzung des deutschen Oesterreichs mit Preußen würde nicht erfolgen, Wien als ein Zubehör von Berlin aus nicht zu regieren sein.

Wenn der Krieg fortgesetzt würde, so wäre der wahrscheinliche Kampfplatz Ungarn. Die österreichische Armee, die, wenn wir bei Preßburg über die Donau gegangen, Wien nicht würde halten können, würde schwerlich nach Süden ausweichen, wo sie zwischen die preußische und die italienische Armee geriethe und durch ihre Annäherung an Italien die gesunkene und durch Louis Napoleon eingeschränkte Kampflust der Italiener neu beleben würde; sondern sie würde nach Osten ausweichen und die Vertheidigung in Ungarn fortsetzen, wenn auch nur in der Hoffnung auf die in Aussicht stehende Einmischung Frankreichs und die durch Frankreich vorbereitete Desinteressierung Italiens. Uebrigens hielte ich auch unter dem rein militärischen Gesichtspunkte nach meiner Kenntniß des ungarischen Landes die Fortsetzung des Krieges dort für[312] undankbar, die dort zu erreichenden Erfolge für nicht im Verhältniß stehend zu den bisher gewonnenen Siegen, also unser Prestige vermindernd – ganz abgesehen davon, daß die Verlängerung des Krieges der französischen Einmischung die Wege ebnen würde. Wir müßten rasch abschließen, ehe Frankreich Zeit zur Entwicklung weiterer diplomatischer Action auf Oesterreich gewönne.

Gegen alles dies erhob der König keine Einwendung; aber die vorliegenden Bedingungen erklärte er für ungenügend, jedoch ohne seine Forderungen bestimmt zu formuliren. Nur so viel war klar, daß seine Ansprüche seit dem 4. Juli gewachsen waren. Der Hauptschuldige könne doch nicht ungestraft ausgehen, die Verführten könnten wir dann leichter davonkommen lassen, sagte er, und bestand auf den schon erwähnten Gebietsabtretungen von Oesterreich. Ich erwiderte: Wir hätten nicht eines Richteramts zu walten, sondern deutsche Politik zu treiben; Oesterreichs Rivalitätskampf gegen uns sei nicht strafbarer als der unsrige gegen Oesterreich; unsre Aufgabe sei Herstellung oder Anbahnung deutschnationaler Einheit unter Leitung des Königs von Preußen.

Auf die deutschen Staaten übergehend, sprach er von verschiedenen Erwerbungen durch Beschneidung der Länder aller Gegner. Ich wandte ein, daß wir nicht vergeltende Gerechtigkeit zu üben, sondern Politik zu treiben hätten, daß ich vermeiden wolle, in dem künftigen deutschen Bundesverhältniß verstümmelte Besitze zu sehen, in denen bei Dynastie und Bevölkerung der Wunsch nach Wiedererlangung des früheren Besitzes mit fremder Hülfe nach menschlicher Schwäche leicht lebendig werden könnte; es würden das unzuverlässige Bundesgenossen werden. Dasselbe würde der Fall sein, wenn man zur Entschädigung Sachsens etwa Würzburg oder Nürnberg von Bayern verlangen wollte, ein Plan, der außerdem mit der dynastischen Vorliebe Sr. M. für Ansbach in Conkurrenz treten würde. Ebenso hatte ich Pläne zu bekämpfen, welche auf eine Vergrößerung des Großherzogthums Baden hinausliefen, Annexion der bayrischen Pfalz und eine Ausdehnung in der unteren Maingegend. Das Aschaffenburger Gebiet Bayerns wurde dabei als geeignet angesehen, um Hessen-Darmstadt für den durch die Maingrenze gebotenen Verlust von Oberhessen zu entschädigen. Später in Berlin stand von diesen Plänen nur noch zur Verhandlung die Abtretung des auf dem rechten Mainufer gelegnen bayrischen Gebiets einschließlich der Stadt Bayreuth an Preußen, wobei die Frage zur Erörterung kam, ob die Grenze auf dem nördlichen rothen oder südlichen weißen Main gehen sollte. Vorwiegend[313] schien mir bei Sr. Majestät die von militärischer Seite gepflegte Abneigung gegen die Unterbrechung des Siegeslaufes der Armee. Der Widerstand, welchen ich den Absichten Sr. Majestät in Betreff der Ausnutzung der militärischen Erfolge und seiner Neigung, den Siegeslauf fortzusetzen, meiner Ueberzeugung gemäß leisten mußte, führte eine so lebhafte Erregung des Königs herbei, daß eine Verlängerung der Erörterung unmöglich war und ich mit dem Eindruck, meine Auffassung sei abgelehnt, das Zimmer verließ mit dem Gedanken, den König zu bitten, daß er mir erlauben möge, in meiner Eigenschaft als Offizier in mein Regiment einzutreten. In mein Zimmer zurückgekehrt, war ich in der Stimmung, daß mir der Gedanke nahe trat, ob es nicht besser sei, aus dem offenstehenden, vier Stock hohen Fenster zu fallen und sah mich nicht um, als ich die Thür öffnen hörte, obwohl ich vermuthete, daß der Eintretende der Kronprinz sei, an dessen Zimmer ich auf dem Corridor vorübergegangen war. Ich fühlte seine Hand auf meiner Schulter, während er sagte: »Sie wissen, daß ich gegen den Krieg gewesen bin, Sie haben ihn für nothwendig gehalten und tragen die Verantwortlichkeit für denselben. Wenn Sie nun überzeugt sind, daß der Zweck erreicht ist und jetzt Friede geschlossen werden muß, so bin ich bereit, Ihnen beizustehen und Ihre Meinung bei meinem Vater zu vertreten.« Er begab sich dann zum König, kam nach einer kleinen halben Stunde zurück in derselben ruhigen und freundlichen Stimmung, aber mit den Worten: »Es hat sehr schwer gehalten, aber mein Vater hat zugestimmt.« Diese Zustimmung hatte ihren Ausdruck gefunden in einem mit Bleistift an den Rand einer meiner letzten Eingaben geschriebenen Marginale ungefähr des Inhalts: »Nachdem mein Ministerpräsident mich vor dem Feinde im Stiche läßt und ich hier außer Stande bin, ihn zu ersetzen, habe ich die Frage mit meinem Sohne erörtert, und da sich derselbe der Auffassung des Ministerpräsidenten angeschlossen hat, sehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen, nach so glänzenden Siegen der Armee einen so schmackvollen Frieden anzunehmen.« – Ich glaube mich nicht im Wortlaut zu irren, obschon mir das Actenstück gegenwärtig nicht zugänglich ist; der Sinn war jedenfalls der angegebene und mir damals trotz der Schärfe der Ausdrücke eine erfreuliche Lösung der für mich unerträglichen Spannung. Ich nahm die Königliche Zustimmung zu dem von mir als politisch nothwendig Erkannten gern entgegen, ohne mir an der unverbindlichen Form derselben zu stoßen. Im Geiste des Königs waren eben die militärischen Eindrücke damals die vorherrschenden,[314] und das Bedürfniß, die bis dahin so glänzende Siegeslaufbahn fortzusetzen, war vielleicht stärker als die politischen und diplomatischen Erwägungen.

Von dem erwähnten Marginale des Königs, welches mir der Kronprinz überbrachte, blieb mir als einziges Residuum die Erinnerung an die heftige Gemüthsbewegung, in die ich meinen alten Herrn hatte versetzen müssen, um zu erlangen, was ich im Interesse des Vaterlandes für geboten hielt, wenn ich verantwortlich bleiben sollte. Noch heut haben diese und analoge Vorgänge bei mir keinen andern Eindruck hinterlassen als die schmerzliche Erinnerung, daß ich einen Herrn, den ich persönlich liebte wie diesen, so hatte verstimmen müssen.

1

Während des Feldzuges sind 6427 Mann der Seuche erlegen.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 315.
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