VI

[332] Das nächste Geschäft war die Regelung unsres Verhältnisses zu den verschiedenen deutschen Staaten, mit denen wir im Kriege gewesen waren. Wir hätten die Annexionen für Preußen entbehren können und Ersatz dafür in der Bundesverfassung suchen. Se. Majestät aber hatte keinen Glauben an praktische Effecte von Verfassungsparagraphen, keinen bessern Glauben wie an den alten Bundestag und bestand auf der territorialen Vergrößerung Preußens, um die Kluft zwischen den Ost- und Westprovinzen auszufüllen und Preußen ein haltbar abgerundetes Gebiet auch für den Fall des früheren oder späteren Mißlingens der nationalen Neubildung zu schaffen. Bei Hannover und Kurhessen handelte es sich also um Herstellung einer unter allen Eventualitäten wirksamen Verbindung zwischen den beiden Theilen der Monarchie. Die Schwierigkeiten der Zoll-Verbindung zwischen unsern beiden Gebiethsteilen und die Haltung Hannovers im letzten Kriege hatten das Bedürfniß eines unbeschränkt in eigner Hand befindlichen territorialen Zusammenhanges im Norden von neuem anschaulich gemacht. Wir durften der Möglichkeit, bei künftigen österreichischen oder andern Kriegen ein oder zwei feindliche Corps von guten Truppen im Rücken zu haben, nicht von Neuem ausgesetzt werden. Die Besorgniß, daß die Dinge sich einmal so gestalten könnten, wurde verschärft durch die überschwängliche Auffassung, welche der König Georg V. von seiner und seiner Dynastie Mission hatte. Man ist nicht jeden Tag in der Lage, einer gefährlichen Lage der Art abzuhelfen, und der Staatsmann, den die Ereignisse in die Lage bringen und der sie nicht benutzt, nimmt eine große Verantwortlichkeit auf sich, da die völkerrechtliche Politik und das Recht der deutschen Nation, ungetheilt als solche zu leben und zu athmen, nicht nach privatrechtlichen Grundsätzen beurtheilt werden kann.[332] Der König von Hannover schickte durch einen Adjutanten nach Nikolsburg einen Brief an den König, den ich Se. Majestät nicht anzunehmen bat, weil wir nicht gemüthliche, sondern politische Gesichtspunkte im Auge zu halten hätten und die Selbstständigkeit Hannovers mit der völkerrechtlichen Befugniß, seine Truppen nach dem jedesmaligen Ermessen des Souveräns gegen oder für Preußen in's Feld führen zu können, mit der Durchführung deutscher Einheit unvereinbar war. Die Haltbarkeit der Verträge allein ohne die Bürgschaft einer hinreichenden Hausmacht des leitenden Fürsten hat niemals hingereicht, der deutschen Nation Frieden und Einheit im Reiche zu sichern.

Es gelang mir, den König von dem Gedanken abzubringen, mit Hannover und Hessen auf der Basis der Zerstückelung dieser Länder und des Bündnisses mit den früheren Herrschern als Theilfürsten eines Restes zu verhandeln. Wenn der Kurfüst Fulda und Hanau und Georg V. Kalenberg mit Lüneburg und der Aussicht auf die Erbfolge in Braunschweig behalten hätten, so würden weder die Hannoveraner und Hessen noch die beiden Fürsten zufriedne Theilnehmer des Norddeutschen Bundes geworden sein. Dieser Plan würde uns unzufriedene und behufs Wiedererwerb des Verlorenen zur Rheinbündelei geneigte Bundesgenossen gegeben haben.

Auch eine so unbedingte Hingebung für Oesterreich, wie sie Nassau bewiesen hatte in der unmittelbaren Nähe von Coblenz, war eine gefährliche Erscheinung, besonders in der Eventualität französisch-österreichischer Bündnisse, wie sie sich während des Krimkriegs und der polnischen Wirren von 1863 in bedrohliche Aussicht gestellt hatten. Die Abneigung Sr. Majestät gegen Nassau war ein väterliches Erbtheil. Friedrich Wilhelm III. pflegte durch das Herzogthum zu reisen, ohne den Herzog zu sehn. Das Contingent des Herzogs hatte sich in der Rheinbundzeit in Preußen besonders unangenehm gemacht, und der König Wilhelm I. wurde gegen Concessionen an den Herzog durch den leidenschaftlichen Widerspruch der Deputationen früherer nassauischer Unterthanen eingenommen; die stehende Rede derselben war: »Schütze Se uns vor dem Fürste und sei' Jagdknechte«.

Es blieben Friedensverträge zu schließen mit Sachsen und den süddeutschen Staaten. Herr von Varnbüler bewies dieselbe Lebhaftigkeit des Temperaments wie bei den Vorbereitungen zum Kriege und war der erste, mit dem der Abschluß gelang. Es handelte sich unter Anderm darum, ob wir, da Württemberg das preußische[333] Hohenzollern in Besitz genommen hatte, jetzt, wie der König wollte, den Spieß umkehren und eine Vergrößerung Hohenzollerns auf Kosten Württembergs fordern wollten. Ich konnte darin weder für Preußen noch für die nationale Zukunft einen Nutzen sehen und hielt überhaupt das Vergeltungsprincip nicht für eine vernünftige Basis unsrer Politik, die auch da, wo unser Gefühl verletzt war, nicht von der eignen Verstimmung, sondern von der objectiven Erwägung geleitet werden sollte. Gerade weil Varnbüler uns gegenüber einige diplomatische Sünden auf dem Conto hatte, war er für mich ein nützlicher Unterhändler, und indem ich mich dazu verstand, die Vergangenheit zu vergessen, gewann ich durch den Vorgang Württembergs im Abschluß des Bündnisses (13. August) den Weg zu den Andern.

Ich weiß nicht, ob Roggenbach bei den Friedensschlüssen im Auftrage des Großherzogs handelte, indem er mir vorstellte, daß Bayern durch seine Größe ein Hinderniß der deutschen Einigung sei, sich leichter in eine künftige Neugestaltung Deutschlands einfügen werde, wenn es kleiner gemacht wäre, und daß es sich deshalb empfehle, ein besseres Gleichgewicht in Süddeutschland dadurch herzustellen, daß Baden vergrößert und durch Angliederung der Pfalz in unmittelbare Grenznachbarschaft mit Preußen gebracht würde, wobei auch weitere Verschiebungen in Anlehnung an preußische Wünsche, die dynastischen Stammlande Ansbach-Bayreuth wiederzugewinnen, und mit Einbeziehung Württembergs in Aussicht genommen waren. Ich ließ mich auf diese Anregung nicht ein, sondern lehnte sie a limine ab. Auch wenn ich sie ausschließlich unter dem Gesichtspunkte der Nützlichkeit hätte auffassen wollen, so verrieth sie einen Mangel an Augenmaß für die Zukunft und eine Verdunklung des politischen Blickes durch badische Hauspolitik. Die Schwierigkeit, Bayern gegen seinen Willen in eine ihm nicht zusagende Reichsverfassung hinein zu zwingen, wäre dieselbe geblieben, auch wenn man die Pfalz an Baden gegeben hätte; und ob die Pfälzer ihre bayerische Angehörigkeit bereitwillig gegen die badische vertauscht haben würden, ist fraglich. Als vorübergehend davon die Rede war, Hessen für sein Gebiet nördlich des Mains mit bayerischem Lande in der Richtung von Aschaffenburg zu entschädigen, gingen mir aus dem letzteren Gebiete Proteste zu, die, obschon aus streng katholischer Bevölkerung kommend, darin gipfelten, wenn die Unterzeichner nicht Bayern bleiben könnten, so wollten sie lieber Preußen werden, aber von Bayern zu Hessen gemacht zu werden, sei ihnen unannehmbar.[334] Sie schienen von der Erwägung des Ranges der Landesherren beherrscht und von der Stimmenordnung am Bundestage, wo Bayern vor Hessen rangirt. In derselben Richtung ist mir aus meiner Frankfurter Zeit die Aeußerung eines preußischen Reservisten zu einem kleinstaatlichen erinnerlich: »Sei du ganz stille, du hast ja nicht einmal einen König.« Ich hielt Aenderungen der Staatsgrenzen in Süddeutschland für keinen Fortschritt zur Einigung des Ganzen.

Eine Verkleinerung Bayerns im Norden wäre dem damaligen Wunsche des Königs entgegengekommen, Ansbach und Bayreuth in der alten Ausdehnung wiederzugewinnen. Mit meinen politischen Auffassungen stimmte auch dieser Plan, so sehr er meinem verehrten und geliebten Herrn am Herzen lag, ebenso wenig wie der badische, und ich habe demselben erfolgreich Widerstand geleistet. Im Herbst 1866 war eine Voraussicht über die zukünftige Haltung Oesterreichs noch nicht möglich. Die Eifersucht Frankreichs uns gegenüber war gegeben, und Niemandem war besser als mir die Enttäuschung Napoleons über unsre böhmischen Erfolge bekannt. Er hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, daß Oesterreich uns schlagen und wir in die Lage kommen würden, seine Vermittlung zu erkaufen. Wenn nun Frankreichs Bemühungen, diesen Irrthum und seine Folgen wieder gut zu machen, bei der durch unsren Sieg nothwendig hervorgerufenen Verstimmung in Wien Erfolg hatten, so wäre manchen deutschen Höfen die Frage nahe getreten, ob sie im Anschluß an Oesterreich, gewissermaßen in einem zweiten schlesischen Kriege, den Kampf gegen uns von Neuem aufnehmen wollten oder nicht. Daß Bayern und Sachsen dieser Versuchung unterliegen würden, war möglich; daß ein im Roggenbach'schen Sinne verstümmeltes Bayern seine Revanche gegen uns im Anschlusse an Oesterreich gesucht haben würde, war wahrscheinlich.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 332-335.
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