V

[329] Im Jahre 1866 konnte der König über die Frage, ob er aus eigner Kraft den parlamentarischen Widerstand brechen und einer Wiederkehr desselben vorbeugen sollte, nicht so schnell mit sich in's Reine kommen, so gewichtige Gründe auch dagegen sprachen. Mit der Suspendirung und Revidirung der Verfassung, mit der Demüthigung der Landtagsopposition wäre allen mit den Erfolgen[329] von 1866 Unzufriedenen in Deutschland, und Oesterreich einbegriffen, eine wirksame Waffe gegen Preußen für die vorauszusehenden künftigen Kämpfe gegeben worden. Man hätte sich darauf gefaßt machen müssen, einstweilen in Preußen gegen Parlament und Presse ein Regierungssystem durchzuführen, welches von dem ganzen übrigen Deutschland bekämpft würde. Maßregeln, die bei uns gegen die Presse zu ergreifen sein würden, würden in Dessau keine Gültigkeit haben, und Oesterreich und Süddeutschland würden ihre Revanche einstweilen dadurch nehmen, daß sie die von Preußen verlassene Führung auf liberalem und nationalem Gebiete übernähmen. Die nationale Partei in Preußen selbst würde mit den Gegnern der Regierung sympathisiren; wir könnten dann innerhalb der verbesserten preußischen Grenzen staatsrechtlich eine Stärkung des Königthums gewinnen, aber doch in Gegenwart stark dissentirender einheimischer Elemente, denen sich die Opposition in den neuen Provinzen anschließen würde. Wir hätten dann einen preußischen Eroberungskrieg geführt, aber der nationalen Politik Preußens würden die Sehnen durchschnitten sein. In dem Bestreben, der deutschen Nation die Möglichkeit einer ihrer geschichtlichen Bedeutung entsprechenden Existenz durch Einheit zu verschaffen, lag das gewichtigste Argument zur Rechtfertigung des geführten deutschen »Bruderkrieges«; die Erneuerung eines solchen wurde unabwendbar, wenn der Kampf zwischen den deutschen Stämmen lediglich im Interesse der Stärkung des preußischen Sonderstaats festgesetzt wurde.

Ich halte den Absolutismus für keine Form einer in Deutschland auf die Dauer haltbaren oder erfolgreichen Regierung. Die preußische Verfassung ist, wenn man von einigen, aus der belgischen übersetzten Phrasenartikeln absieht, in ihrem Hauptprincip vernünftig; sie hat drei Factoren, den König und zwei Kammern, deren jeder durch sein Votum willkürliche Aenderungen des gesetzlichen status quo hindern kann. Darin liegt eine gerechte Vertheilung der gesetzgebenden Gewalt. Wenn man letztere von der öffentlichen Kritik der Presse und der parlamentarischen Behandlung emancipirt, so wird die Gefahr erhöht, daß sie auf Abwege geriethe. Absolutismus der Krone ist ebenso wenig haltbar wie Absolutismus der parlamentarischen Majoritäten, das Erforderniß der Verständigung beider für jede Aenderung des gesetzlichen status quo ist ein gerechtes, und wir hatten nicht nöthig, an der preußischen Verfassung Erhebliches zu bessern. Es läßt sich mit derselben regieren, und die Bahn deutscher Politik wäre verschüttet[330] worden, wenn wir 1866 daran änderten. Vor dem Siege würde ich nie von »Indemnität« gesprochen haben; jetzt, nach dem Siege, war der König in der Lage, sie großmüthig zu gewähren und Frieden zu schließen, nicht mit seinem Volke – der war nie unterbrochen worden, wie der Verlauf des Krieges gezeigt –, sondern mit dem Theile der Opposition, welche irre geworden war an der Regierung, mehr aus nationalen als aus parteipolitischen Gründen.

Dies waren ungefähr die Gedanken und Argumente, mit denen ich während der viele Stunden langen Fahrt von Prag nach Berlin (4. August) die Schwierigkeiten zu bekämpfen suchte, welche die eignen Ansichten, noch mehr aber andre Einflüsse, namentlich auch der der conservativen Deputation, in dem Könige hinterlassen hatten. Es kam dazu eine staatsrechtliche Auffassung Sr. Majestät, die ihm ein Verlangen nach Indemnität als ein Eingeständnis begangenen Unrechts erscheinen ließ1. Ich suchte vergeblich diesen sprachlichen und rechtlichen Irrthum zu entkräften, indem ich geltend machte, daß in Gewährung der Indemnität nichts weiter liege als die Anerkennung der Thatsache, daß die Regierung und ihr königlicher Chef rebus sic stantibus richtig gehandelt habe; die Forderung der Indemnität sei ein Verlangen nach dieser Anerkennung. In jedem constitutionellen Leben, in dem Spielraum, den es den Regierungen gestattete, liege es, daß der Regierung nicht für jede Situation eine Zwangsroute in der Verfassung angewiesen sein könne. Der König blieb bei seiner Abneigung gegen Indemnität, während es mir nothwendig schien, den parlamentarischen Gegnern, von denen doch höchstens Diejenigen, welche später die freisinnige Partei bildeten, böswillig waren, die Andern aber nur verrannt, sei es politisch, sei es sprachlich, eine goldene Brücke zu bauen, um den innern Frieden Preußens herzustellen und von dieser festen preußischen Basis aus die deutsche Politik des Königs fortzusetzen. Die viele Stunden lange und für mich sehr angreifende Unterredung, weil sie meinerseits stets in vorsichtigen Formen geführt werden mußte, fand im Eisenbahncoupé zu Dreien Statt, mit dem Könige und dem Kronprinzen. Der Letztere aber unterstützte mich nicht, obschon er in dem leichtbeweglichen Ausdruck seines Mienenspiels mich wenigstens durch Kundgebung seines vollen Einverständnisses seinem Herrn Vater gegenüber stärkte.

Durch eine Correspondenz, welche ich von Prag aus mit den[331] übrigen Ministern geführt hatte, war dort der Entwurf der Thronrede zu Stande gekommen und von Sr. Majestät genehmigt worden mit Ausnahme des auf die Indemnität bezüglichen Satzes. Schließlich gab der König mit Widerstreben auch dazu seine Einwilligung, so daß der Landtag am 5. August mit einer Thronrede eröffnet werden konnte, welche ankündigte, daß die Landesvertretung in Bezug auf die ohne Staatshaushaltsgesetz geführte Verwaltung um nachträgliche Verwilligung angegangen werden solle. In verbis simus faciles!

1

Die Angabe in der »Deutschen Revue« vom Februar 1891 S. 133: »Für Bismarcks Zustimmung war es jedenfalls entscheidend, daß er die versöhnlichen Anschauungen seines Monarchen genau kannte«, ist irrthümlich.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 332.
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