Vorrede zur zweiten Auflage der beiden ersten Bände.

Schon seit mehreren Jahren sind die beiden ersten Bände der »Geschichte der Kriegskunst« vergriffen, ohne daß ich, mit der Ausarbeitung des dritten Bandes beschäftigt, die Zeit gefunden hätte, die neue Auflage zu besorgen. Manche schöne neue Einzelforschung war in der Zwischenzeit erschienen und mußte geprüft, in den alten Text hineingearbeitet und auch sonst dies und jenes gebessert, ein wichtiges Stück, die älteste römische Kriegsverfassung, völlig umgeschmolzen werden. Aber diese Verbesserungen haben schließlich die wenigste Arbeit gefordert und hätten die neue Auflage nicht so lange aufgehalten; das eigentlich Mühselige und Zeitraubende der neuen Auflage war durch etwas anderes verursacht. In einer Besprechung des ersten Bandes gab der General d. Inf. v. Schlichting, der Verfasser der »Taktischen und strategischen Grundsätze der Gegenwart«, der Hoffnung Ausdruck, daß das vorliegende Werk »dem militärischen Dilettantismus, der bisher in der Geschichtsschreibung herrschte, ein Ende machen« werde. In diesen Worten ist auf das präziseste das ausgedrückt, was ich mir selbst bei meiner Arbeit vorgesetzt und worauf meine Hoffnung gerichtet war. Aber diese Hoffnung ist nicht nur nicht in Erfüllung gegangen, sondern das gerade Gegenteil ist eingetreten. Wohl kaum je in einer früheren Zeit ist auf dem Gebiet der Geschichte des Kriegswesens und der Kriegskunst durch unmethodische und dilettantische Gelehrsamkeit soviel Verkehrtes und Verwirrendes zutage gefördert worden, wie gerade in diesem letzten Jahrzehnt. Es sind nicht bloß Historiker und Archäologen daran beteiligt, sondern auch Militärs, die viel zu schnell und viel zu sicher glauben, mit den in der Praxis, oft nur des Friedensdienstes, gewonnenen Vorstellungen die Verhältnisse früherer Kriegsepochen kritisch bemeistern zu können. So sind nicht nur unrichtige Auslegungen der Quellen, über die man verschiedener Ansicht sein kann und immer sein wird, sondern auch sachlich und physisch unmögliche Konstruktionen ausgebildet und vorgetragen worden und haben die klaren historischen Vorgänge vielfach verdunkelt, und der größere Teil meiner Arbeit in dieser zweiten Auflage der ersten beiden Bände bestand deshalb darin, diese Unmöglichkeiten quellenkritisch und sachlich aufzulösen und zu widerlegen. Das ist, wie man des weiteren ebenfalls sehen wird, keineswegs eine leichte und einfache Arbeit, denn auch dem völlig Sinnlosen läßt sich in der Geschichte bei dem weiten Abstand, in dem wir von den Dingen leben, sehr leicht ein gewisser Anstrich von Wahrscheinlichkeit geben, und es bedarf breiter ausführlicher Darlegungen, um solche Täuschungen zu zerstören und, da man nicht zum Experiment greifen kann, mit Worten klarzumachen, was physisch möglich und was unmöglich ist. Zuweilen bringt eine derartige Diskussion den Vorteil, den Gegenstand selbst zu größerer Klarheit zu erheben, und man fühlt sich belohnt für seine Mühe. Meistens aber erntet man solche Frucht nicht und schließt nur mit der ärgerlichen Empfindung, Zeit und Kraft, die man für Besseres hätte verwenden können, vergeudet zu haben.

Wie viel lieber wäre ich zur Ausarbeitung des vierten Bandes geschritten!

Die Aufnahme, die der erste Band seinerzeit bei der wissenschaftlichen Kritik gefunden hat, tönte vielfach, auch wo sie sonst freundlich gehalten war, in der Befürchtung aus, ob ich nicht doch das Recht der Sachkritik überspannt und von der quellenmäßigen Tradition weiter abgewichen sei, als sich rechtfertigen lasse. Nirgends hat die erneute Durcharbeitung des Stoffes mir gezeigt, daß diese Befürchtung begründet sei. Im Gegensatz, ich darf sagen, daß die sachlichen Veränderungen durchweg der Erkenntnis entsprungen sind, daß ich in der ersten Auflage in der Abweichung von den überlieferten Anschauungen noch nicht weit genug gegangen war. Es ist wirklich so gewesen, daß nicht die Perser, sondern die Griechen die an Zahl Überlegenen waren, daß Alexander nicht mit einer kleinen Schar ausging, das persische Weltreich zu erobern, sondern mit einem Heer etwa doppelt so groß wie einst das des Xerxes, daß in Rom nie nach Vermögens-Klassen ausgehoben worden ist, daß die Barbarenheere, die die Kulturwelt bedrohten, stets ganz klein waren, daß die Römer ihre Siege über Gallier und Germanen wesentlich mit numerischer Überlegenheit erfochten haben, daß die ritterliche Kriegsart bereits vor dem Lehnswesen bestand und nicht erst aus ihm erwachsen ist.

Der Glaube an die entgegengesetzte Tradition in allen diesen Punkten ist fast so fest wie er alt ist, und nicht nur Gründe, sondern auch Zeit braucht's ihn zu überwinden und eine bessere Erkenntnis an seine Stelle zu setzen. Die beste Hilfstruppe in diesem Kriege aber wird die Fortführung des vorliegenden Werkes selber sein.

Der alte Historiker, der nur den ersten Band liest, der Rechtshistoriker, der nur den Ursprung des Lehnswesens mit seinen überlieferten Anschauungen vergleicht, der Kreuzzugshistoriker, der nur liest, wie gering die Zahl der Ritter gewesen und wie wenig Originelles diese große Kriegsepoche hervorgebracht haben soll – ich kann ihnen allen ihre Vorsicht und ihren Zweifel nachempfinden. Aber ich habe die Zuversicht, daß die Zweifel sich lösen und vergehen werden, wenn der alte Historiker auch den zweiten und dritten Band dieses Werkes sich zu eigen macht, wenn der Rechtshistoriker sich den Gegensatz zwischen dem Einzelkrieger und dem taktischen Körper aus dem Zusammenhang des ganzen Werkes klargemacht, der Kreuzzugshistoriker den Unterschied von Rittertum und Kavallerie und die Gegensätzlichkeit der Begriffe Rittertum und Taktik aus dem Vergleich mit den Perioden vorher und nachher sich zur Anschauung gebracht hat.

Wie mir selbst das Werk aus der Gesamtanschauung der Entwicklung der Kriegskunst erwachsen ist, so kann auch nur derjenige den vollen wissenschaftlichen Gewinn aus ihm ziehen, der es nicht bloß als alter, mittlerer oder neuerer Historiker benutzt, sondern es im ganzen nimmt als eine Forschung zur Weltgeschichte.


Berlin-Grunewald, den 12. Juli 1908.

Hans Delbrück

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1.
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