6. Zur 2. Auflage.

[246] Die beiden Kapitel über das kaiserlich römische Heer und seine schließliche Auflösung haben in dieser Auflage wesentliche Ergänzungen auf Grund der mehrfach angeführten Untersuchungen von A. V. DOMASZWESKI erfahren. Der Ansicht jedoch, die dieser verdiente Autor selber über den Niedergang aufgestellt hat, muß ich widersprechen. Domaszewski sieht die Gründe des Untergangs des römischen Reiches nicht in großen sachlichen Notwendigkeiten und Abwandlungen, sondern in den persönlichen Fehlern einiger Kaiser, namentlich des Septimius Severus und seines Hauses. Er schreibt,155 Augustus habe die Bürgerschaft entwaffnet, um der Sicherheit des Princeps willen, und an den Konsequenzen dieses Militärsystems sei der Staat schließlich zugrunde gegangen. Dagegen ist einzuwenden, daß nicht der Princeps die Bürger entwaffnet hat, sondern daß umgekehrt die seit dem zweiten punischen Kriege sich allmählich vollziehende Entwaffnung der Bürgerschaft die Schaffung des Berufsheeres nötig gemacht und hervorgebracht und dieses Berufsheer schließlich den Princeps geschaffen, und nicht bloß um seiner persönlichen Sicherheit willen behielt Augustus das Berufsheer bei, auch nicht, wie Max Weber meint,156 um der Possessoren und Domänenpächter willen, sondern um des Staates willen: denn wie hätte man mit einem Bürgerheer die gewaltsam unterworfenen Provinzen in Gehorsam erhalten und die Grenzen der Kulturwelt gegen die wilden Germanen schützen wollen?[246]

Die verderbliche Konsequenz des Augusteischen Militärsystems sieht Domaszewski im immerwährenden Steigen der Militärlasten, die das Mark des Staates ausgesogen hätten. Wir haben gesehen (oben S. 176), daß das Steigen der Militärlasten vielleicht nicht so hoch war, wie es den Geldsummen nach scheint. Auch wenn wir aber einfach die Soldsteigerung als absolute Steigerung ansehen, so ist sie doch nicht eine Folge des Militärsystems, sondern eine Folge der politischen Struktur des Staates, die die Einsetzung und Existenz des Staatsoberhauptes von der Armee abhängig machte und dadurch der Armee die Gelegenheit und Möglichkeit zu immer weiter getriebenen Erpressungen gab. Der auch von Domaszewski mit Recht herangezogene Vergleich der englischen Armee mit der römischen zeigt das: in England bemerkt man nichts von den verderblichen Folgen des Militärsystems, und zwar deshalb nicht, weil die politische Struktur des englischen Staates eine andere ist. Domaszewski nennt die Golderhöhungen, die Septimius Severus und nach ihm sein Sohn Caracalla (von 500 Denaren auf 750 jährlich) vornahm, »verbrecherisch« und »frevelhaft«. Durch diese Nachgiebigkeit sei die Raubgier der Soldaten, in denen ohnehin jetzt das barbarische Element die Oberhand hatte, schrankenlos entfesselt worden, und das einst so stolze Heer, aus dem jede Zucht entwichen war, der Schrecken des eigenen Landes und der Spott der Feinde geworden.157 Sept. Severus selbst sei ein unfähiger Feldherr gewesen, der nur durch stete Bestechung des Heeres, maßlose Geldspenden und nicht minder maßlose Solderhöhungen sich der Treue der Soldaten versichert habe. Caracalla habe, indem er dem Beispiel seines Vaters folgte, den finanziellen Bankerott des Reiches auf ein Jahrhundert besiegelt.158 Das Principat sei zusammengebrochen, weil das unheilvolle Walten der orientalischen Dynastie seine Grundlagen untergrub.159

Hiergegen ist zu sagen, daß zunächst Septimius Severus, wie Domaszewski selbst feststellt,160 die Herrschaft über seine Söldner wiedergewann und ihrer Begehrlichkeit wieder Schranken setzte. Wenn das dem Severus noch gelang, wie es dem Augustus gelungen war, so liegt also das historische Problem darin, weshalb es später nicht mehr gelungen ist. Es mag sein, daß die Solderhöhung, die Caracalla verfügte, um die Truppen nach der Ermordung seines Bruders an sich zu fesseln und zu versöhnen, die wirtschaftlichen Kräfte des Staates überstieg, aber wenn Domaszewski aus diesem Grunde den Staat nun »rettungslos« zusammenbrechen läßt, so fragt man: weshalb »rettungslos«? Auch frühere Kaiser haben in politischen Krisen, um die Soldaten für sich zu gewinnen, ungeheure Summen[247] unter sie verteilt, so sogar Tiberius nach der Hinrichtung Sejans. An einem solchen vereinzelten Fehler, daß ein Kaiser einmal den Soldaten mehr schenkt oder verspricht als der Staatsschatz leisten kann, geht ein Weltreich noch nicht zugrunde, und die Disziplin in Söldnerheeren hat sich auch nach den schwersten Erschütterungen noch immer wieder herstellen lassen, wenn ein unangefochtener Kriegsherr an der Spitze stand und die Kriegskasse das nötige regelmäßig zu leisten vermochte. Nicht die einzelnen Taten und Fehler der Kaiser der Severischen Dynastie also, sondern daß diese beiden Bedingungen, aus den oben entwickelten Gründen, nicht mehr zu erfüllen waren, darin ist die Kausalität für die Auflösung der römischen Disziplin und damit für den Untergang des römischen Reiches zu suchen.

Eine eigene Ansicht über den Untergang des römischen Reichs hat auch MAX WEBER in seiner »Römischen Agrargeschichte« und im Anschluß daran in einem Aufsatz in der »Wahrheit« (Bd. 6, Nr. 3, Stuttgart 1896) »Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur« aufgestellt. In erster Linie legt Weber Wert darauf, daß der Kreis der römischen Welt durch die Einbeziehung großer Binnenlandflächen – Spanien, Gallien, Illyrien und die Donauländer – sehr erweitert worden sei; dadurch sei der Schwerpunkt der Bevölkerung ins Binnenland gerückt worden und die antike Kultur habe den Versuch gemacht, ihren Schauplatz zu wechseln und aus einer Küstenkultur Binnenkultur zu werden. »Sie verbreitete sich über ein ungeheures Wirtschaftsgebiet, welches selbst in Jahrhunderten unmöglich für den Güterverkehr und die geldwirtschaftliche Bedarfsdeckung auch nur entfernt in dem Maße gewonnen werden konnte, wie dies an der Mittelmeerküste der Fall war.« Der Güterverkehr im Binnenlande sei so schwierig und unbedeutend gewesen, daß man in der fast bewegungslosen Naturalwirtschaft stecken blieb und stecken bleiben mußte.

Was in dieser Antithese von Küstenverkehr und Binnenverkehr, Küstenkultur und Binnenkultur richtig ist, ist einleuchtend, aber ebenso einleuchtend ist auch, daß der Gegensatz auf eine Weise übertrieben ist, die die Wahrheit wieder aufhebt. Die antike Kultur war zwar in erster Linie auf den Seeverkehr basiert, aber keineswegs ausschließlich. Eine Stadt, die in der griechischen Sage und Geschichte eine solche Rolle spielt wie Theben, und in Italien die zweite Stadt nach Rom, Capua, waren Binnenstädte. Umgekehrt aber, die, wohlgemerkt nicht erst unter dem späteren Kaisertum, sondern bereits seit dem dritten Jahrhundert a. C. in das römische Reich eingezogenen sogenannten binnenländischen Gebiete haben immerhin noch soviel Küstenentwicklung, daß, wenn man diese Küstenländer abzieht und umgekehrt Britannien mit seiner reichen Küstenentwicklung hinzuzieht, das Weber übergangen hat, von einer Verlegung des Schwerpunkts der Bevölkerung in das Binnenland gar nicht die Rede sein kann. Am allerwenigsten aber, wenn man in Betracht zieht, daß da diese Länder von schiffbaren Strömen durchzogen sind, die in ihrer Verzweigung durch das Land und von den Alten bis in die kleinsten Rinnen benutzt den Verkehrsvorzügen des Meeres[248] schwerlich viel nachgeben. Überdies sind auch die prachtvollen römischen Heerstraßen, wofür ich schon oben gegen Weber ein Zeugnis angeführt habe, für den Warenverkehr benutzt worden.

Weber sieht weiter in der Ansiedlung von Großgrundbesitzern auf dem Lande, die früher alle in den Städten wohnten, nicht, wie ich es oben aufgefaßt habe, eine Erweiterung und Verstärkung des Wirtschaftslebens, sondern eine Schwächung, weil die Städte dadurch verloren hätten und die neuen Herrensitze, wo die Erträgnisse der Güter nun in loco verzehrt wurden, das Übergehen aus der Geld- in die Naturalwirtschaft bedeuteten. »Auf dies Zusammensinken der Städte wirkt verstärkend hin die staatliche Finanzpolitik. Auch sie wird zunehmend naturalwirtschaftlich, der Fiskus ein ›Oikus‹, der seinen Bedarf so wenig wie möglich am Markte und so viel wie möglich aus eigenen Mitteln deckt, – damit aber die Bildung von Geldvermögen hemmt.«

Dieser Auffassung ist die Frage entgegenzuhalten, weshalb denn der Fiskus zur Naturalwirtschaft überging? Gerade für den Fiskus, die Bureaukratie, hat ja die Geldwirtschaft die unschätzbarsten Vorzüge vor der Naturalwirtschaft. Wo immer wir in der Weltgeschichte Bureaukratie finden, ist sie bemüht, von der naturalwirtschaft loszukommen in die Geldwirtschaft. So wie Feudalismus und Naturalwirtschaft zusammengehen, so gehören Bureaukratie und Geldwirtschaft zusammen. Wo und soweit wir das Gegenteil finden, geschah es ganz gewiß nur notgedrungen: wie also soll die römische Bureaukratie zu der merkwürdigen Vorliebe für die Naturalwirtschaft gekommen sein? Es liegt auf der Hand, daß Weber das Verhältnis von Ursache und Wirkung nicht genügend geprüft hat, daß nicht die Bureaukratie durch Schaffung oder Förderung der Naturalwirtschaft die Geldwirtschaft »gehemmt«, sondern daß umgekehrt die aus irgend welchen anderen Gründen gehemmte Geldwirtschaft die Bureaukratie zum Hinübergleiten in die Naturalwirtschaft genötigt hat. Alle diese Betrachtungen sind so naheliegend und so einleuchtend, daß ich es in der ersten Auflage nicht für nötig gehalten habe, darauf einzugehen und Webers Vorstellung expressis verbis zu widerlegen. Ich muß es jedoch jetzt noch nachholen, da Weber seine Theorie in modifizierter Form wieder aufgenommen hat in dem Artikel »Agrargeschichte« in der dritten Auflage des »Handwörterbuchs der Staatswissenschaften« von Conrad und Gen. und dabei meine oben vorgetragenen Ergebnisse direkt ablehnt und bekämpft.

Weber hält fest an der Antithese der verkehrsreichen Küstenlandschaften und der verkehrsschwachen Binnenlandschaften.

Er meint (S. 180), daß der Verkehr in der Zeit von den Gracchen bis Caracalla wohl absolut, wie selbstverständlich, sehr gewachsen, relativ aber im Verhältnis zur Erweiterung des Kulturkreises nicht so sehr zugenommen habe. »In den Küstengebieten«, schreibt er, »wurde der Unterhalt und die Kleidung der Sklaven in den großen Oikoi ganz oder teilweise auf dem Markt gedeckt. Die Sklaven oder Kolonnen des Possessors[249] im Binnenlande leben selbstredend naturalwirtschaftlich: nur die dünne Herrenschicht hat hier Bedürfnisse, die zum Einkauf Anlaß geben und durch Verkauf von Überschüssen des Gutes gedeckt werden. Dieser Verkehr ist ein dünnes Fadennetz über der naturalwirtschaftlichen Unterlage. Die Massen der großen Hauptstädte andererseits versorgt nicht der Privatverkehr, sondern die staatliche Annona.« Diese Darstellung belegt Weber (Agrargeschichte, S. 224) mit einer Reihe von Zitaten aus den römischen Agrarschriftstellern, aus Cato, Varro, Columella.

Zunächst ist zu bemerken, daß alle diese Zitate falsch sind. Nach Weber sollen sie bezeugen, daß man auf Wege keinen besonderen Wert legte: in Wirklichkeit bezeugen sie das Gegenteil. Cato (de re rust., cap. 1) will, daß ein Gut womöglich am Fuß eines Berges liege, nach Süden, in einer gesunden Gegend, wo Arbeiter zu haben sind, gutes Wasser, eine ansehnliche Stadt in der Nähe sei oder das Meer oder ein schiffbarer Fluß oder eine gute, belebte Straße. Hier ist also der direkte Hinweis auf den Wert der Straßenverbindung, und wenn Weber das Zeugnis dahin abschwächen will, Cato verlange sie mehr im Zusammenhang mit der Möglichkeit, Arbeiter zur Ernte heranzuziehen, so ist darauf zu erwidern, daß auch nicht der leiseste Hinweis auf diesen Zusammenhang im Text steht; es ist ein von Weber frei hinzugefügter Zusatz.

Von Varro sagt uns Weber, er rechne die Rente eines am Meer gelegenen Gutes im Verhältnis zu einem im Binnenlande wie 5:1. In Wirklichkeit sagt Varro (III, cap. 2) von einem bestimmten Gut im Albanischen, welches Geflügel, Fische etc. sehr vorteilhaft zog und nach Rom absetzte, daß es sich noch fünfmal besser rentieren würde, wenn man sich dafür einen Platz am Meer aussuchen dürfte (secundum mare, quo loco vellet, si parasset villam). Da der albanische Acker knapp drei Meilen vor den Toren Roms an der Appischen Straße lag, so ist es klar, daß das Meer nicht der besseren Transportverhältnisse, sondern der Fischzucht wegen in diesem Zusammenhang erwähnt ist.

Von Columella schließlich behauptet Weber, er nenne zwar Meer und große Flüsse als vorteilhaft für den Warenaustausch, halte aber die Nähe größerer Straßen der Einquartierung und des Ungeziefers der Vagabunden wegen für unerwünscht. Es ist richtig, daß Columella an der von Weber zitierten Stelle (I, cap. 5) diese bekannten Nachteile der unmittelbaren Lage an der großen Heerstraße erwähnt, an einer anderen Stelle aber (I, cap. 3) nennt er als die Dinge, die nächst Fruchtbarkeit und gesunder Lage für ein Gut in Betracht kommen, den Weg, das Wasser und den Nachbarn, und schildert dann ausführlich den Vorteil des guten Weges: »ad invehenda et exportanda utensilia, quae res fugibus conditis auget pretium et minuit impensas rerum invectarum, qui minoris apportentur eo qua facili nisu perveniatur. Nec nihil esse etiam parvo vehi, si conductis iumentis iter facias, quod magis expedit quam tueri propria.«[250]

Des weiteren ist zu Webers Darstellung zu bemerken, daß es hier »staatliche Annona« nur für Rom gab. In den Municipalstädten war der Getreidehandel zwar auch nicht ganz frei der Privatspekulation überlassen, sondern stand unter der Aufsicht und Fürsorge der Gemeindebeamten, aber im wesentlichen war er doch unzweifelhaft Privatgeschäft, und sogar für Rom war dieses keineswegs vollständig ausgeschaltet.161

Es ist ferner unrichtig, daß die Kolonen des Binnenlandes rein naturalwirtschaftlich gelebt hätten. Gewisse kleine gewerbliche und Kulturbedürfnisse waren bei ihnen vorhanden, so gut wie bei den hörigen Bauern des Mittelalters. Einige irdene und eiserne Gerätschaften und Instrumente, einige bunte Tücher und Schmucksachen können kaum in der ärmsten Hütte gefehlt haben und wurden in den bei weitem meisten Fällen nicht auf dem Herrenhofe hergestellt, sondern aus der Stadt bezogen. Das ergibt sich aus der Existenz der zahlreichen Klein- und Mittelstädte, die mit Agrarprodukten im kleinen versorgt sein wollten und diese Produkte mit gewerblichen Erzeugnissen bezahlten. Diese wirtschaftliche Beziehung kann auch, wie das Mittelalter zeigt, in einer vorwiegend naturalwirtschaftlichen Epoche existieren, aber es ist daran zu erinnern, daß es sich ja nicht um absolute Gegensätze handelt, sondern nur um relative, und daß im späteren Mittelalter, wo die Städte aufblühten, das geldwirtschaftliche Element in stetem Wachsen begriffen war und schon eine erhebliche Rolle spielte. Daß im römischen Kaiserreich dieses geldwirtschaftliche Moment wenigstens ebenso stark war wie im späten Mittelalter, wahrscheinlich aber noch viel stärker, ist mit Sicherheit zu erschließen aus dem römischen Steuersystem. Die Verkehrssteuern, die Kopf- und Grundsteuer sind nicht denkbar, ohne daß der Kolon einen Teil seiner Produkte an den Händler oder auf dem städtischen Markt absetzte, und dazu kommt in Betracht, daß die Kolonen keineswegs ihren Herren bloß Naturalabgaben zu liefern hatten oder frondeten, sondern auch Geldpacht zahlten. Noch im ersten Jahrhundert n.Chr. waren sie in Italien sogar ausschließlich Geldpächter, und wenn im zweiten Jahrhundert daneben die Teilpachten auftreten, so dürfte das vielleicht schon mit dem Knappwerden des baren Geldes zusammenhängen. In Afrika wieder, das doch ebensosehr wie Italien zur Küstenkultur gehört, herrschte von Anfang an die Teilpacht. Wie dem nun auch sei, schon die dem Staat zu leistende Steuer macht einen lebhaften Verkehr notwendig; es unterliegt keiner Frage, daß Jahr für Jahr aus allen Provinzen große Geldmassen nach Rom und in die Legionslager strömten und von da allmählich gegen Waren wieder zurück in die Provinzen. Das ist nicht möglich ohne einen recht lebhaften Warenaustausch sowohl in den Binne- wie in den Küstenlandschaften.

Ob das teilweise Übersiedeln der aristokratischen Familien aus den Städten aufs Land eine Vermehrung oder Verminderung des Verkehrs im ganzen bedeutete, hängt nicht von dieser Tatsache allein, sondern von der[251] Natur des Wirtschaftslebens im ganzen ab. Die Herrensitze auf dem Lande bedeuten ebenso viele neue kleine Kulturzentren. Es werden dadurch in mancher Beziehung Mittel gespart, neue Produktivkräfte geweckt, neue Verkehrsbedürfnisse geschaffen, so daß die Städte keineswegs notwendig zu verlieren brauchten, was das Land gewann. Der Beweis, daß dem im römischen Kaiserstaat so gewesen, wäre zum mindesten erst noch zu führen.

Schließlich die Vorstellung, daß die Bureaukratie als solche zur Naturalwirtschaft tendiere und den Geldverkehr gehemmt habe, scheint Weber jetzt selbst fallen gelassen zu haben. An die Stelle der direkten Wirkung hat er jetzt eine indirekte gesetzt. Die Bureaukratie, legt Weber dar, erdrückte den Kapitalismus. Der antike Kapitalismus sei auf politischer Basis aufgebaut gewesen: Sklavenmassen, hervorgehend aus den Kriegsgefangenen, und Geschäfte mit dem Staat, Steuerpachten und Lieferungen. Das Kaiserreich habe nun erstens den Frieden gebracht und damit der Sklaveneinfuhr ein Ende gesetzt, und zweitens die Beamtenhierarchie, die den Kapitalisten ihre Geschäfte aus den Händen nahm und sie selbst besorgte. So seien an die Stelle der fürstlichen Kaufleute, trotz der Zunahme der Geldwirtschaft bis in die Zeiten Marc Aurels, Kleinhändler und Kleinhandwerker getreten, so wie in der Landwirtschaft an die Stelle der Sklaven- Plantagen Kleinpächter, Kolonen, traten.

Das sind nun doch offenbar keine Symptome wirtschaftlichen Niedergangs; im Gegenteil, man möchte darin in vieler Beziehung einen großen Fortschritt und Gewinn sehen. Weber kommt zu dem entgegengesetzten Ergebnis mit dem Satze (S. 182): »Die bureaukratische Ordnung tötete, wie jede politische Initiative der Untertanen, so auch die ökonomische, für welche ja die entsprechenden Chancen fehlten«.

Es ist nicht ganz leicht, diesem Gedankengang zu folgen; ein salto mortale folgt dem anderen: Die Bureaukratie, indem sie die politische Initiative der Bürger tötete, tötete auch die ökonomische; die Bureaukratie, indem sie den Kapitalismus einschränkte, tötete die ökonomische Initiative überhaupt; die Tötung der ökonomischen Initiative der Bürger stürzte die Geldwirtschaft in die Naturalwirtschaft; das letzte Ende dieser Kette aber ist der Untergang der antiken Kultur.

Ist es wahr, daß die Bureaukratie die politische Initiative der römischen Untertanenschaft getötet? Doch höchstens der italienischen – die ungeheure Mehrzahl der Bewohner des Reiches war ja schon durch die Republik, die sie unterworfen hatte, der Teilnahme an der Politik entkleidet worden.

Ist es wahr, daß die Einschränkung des Kapitalismus, dem seine schönsten Chancen mit der Steuerpacht und dem Getreidewucher genommen oder unterbunden wurde, den ökonomischen Sinn über haupt abwürgte? Weber selbst spricht von den Kleinhändlern, die aufgekommen seien, und die zahlreichen, blühenden Städte, die in diesen Jahrhunderten emporwuchsen,[252] reden deutlich genug gegen ihn. Es ist auch nicht einmal richtig, daß die Chancen des Großkapitals durch die Bureaukratie so vollständig ausgeschaltet gewesen seien. Wenn ihm auch die Steuerpacht und die Lieferungen für die Hauptstadt und für die Armee durch die Bureaukratie (auch das übrigens erst sehr allmählich) entzogen wurden, so blieb immer noch Raum genug. Wir haben gesehen, wie gewaltig die Geldbewegung gewesen sein muß, die fortwährend zwischen den Provinzen auf der einen, der Hauptstadt und den Legionslagern auf der anderen Seite hin und her flutete. Bloße Kleinhändler können das nicht besorgt haben. Rom war der Mittelpunkt eines gewaltigen Geldhandels und das Bankiergeschäft so lukrativ wie je in der Welt. Die Waren, die die Provinzen produzieren und in die Großstädte und Lagerolätze schaffen mußten, um wieder zu dem baren Gelde zu gelangen, was ihnen die Steuern Jahr für Jahr entzogen, können unmöglich ohne Vermittlung auch von großen Unternehmern hergestellt, gesammelt, verfrachtet, ausgetauscht, verkauft und bezahlt worden sein. Auch ein Teil der Bergwerke ist stets im Privatbesitz und noch mehr im Privatgetrieb geblieben.162 Daß alle diese Geschäfte, wie der Bau der großen Städte mit ihren Tempeln. Amphitheatern und Wasserleitungen, der Salz-, Wein-, Öl-, Fruchthandel, die Herstellung und der Vertrieb der Massen- wie der Luxuswaren in Geweben, Metallen, Leder, Stein und Holz, der Bau und die Vermietung der Massenwohnhäuser keine gewinnbringenden Chancen geboten hätten oder daß der römischen Bevölkerung die nötige ökonomische Initiative und Rührigkeit hierbei gefehlt habe, ist eine rein doktrinäre Konstruktion, die nicht nur auf keine Weise belegt ist, sondern den Tatsachen direkt widerspricht. Sie klingt wie ein letzter Nachhall jener Argumentation der Nichts-als-Freihändler, die jede Einmischung des Staates in die Volkswirtschaft, Staatseisenbahnen, Sozialpolitik verwarfen, weil dadurch der ökonomische Sinn der Individuen abgestumpft werde. Die vielen reichen Familien, die uns in der lateinischen Literatur begegnen, hatten ihren Reichtum aber gewiß nicht bloß aus ererbtem Großgrundbesitz. Ich glaube, es ist nicht zu kühn, die Webersche These umzukehren und zu sagen: indem das Kaisertum den Bürgern und die römischen Herren den Provinzialen die Politik nahmen, wiesen sie sie um so mehr auf das Wirtschaftsleben hin, und die ökonomische Betriebsamkeit der Epoche entwickelte jene Gesinnung des Mammonismus, die den Widerspruch und die Warnungen Jesu und seiner Jünger und Nachfolger provozierten.

Der Versuch Webers, den Niedergang des römischen Staates und der antiken Kultur zu erklären, ist ebenso unbefriedigend ausgefallen, wie alle früheren und noch jüngst die von Seeck und Domaszewski.

Es fragt sich, ob Weber gegen meine Auffassung etwas Stichhaltiges vorgebracht hat.[253]

Zunächst hat er mit den Worten (S. 60), »daß das Hereinbrechen der Naturalwirtschaft in spätrömischer Zeit Folge der beginnenden Unergiebigkeit der Bergwerke gewesen sei«, meine Darstellung sehr inkorrekt wiedergegeben. Denn die Unergiebigkeit der Bergwerke ist ja nur eines der verschiedenen, nach meiner Auffassung zusammenwirkenden Momente, und als die eigentlich entscheidenden gebe ich nicht dies, sondern die politischen Verhältnisse an. Immerhin ist tatsächlich bei mir der Rückgang der Bergwerke ein sehr bedeutsames Moment, und es ist deshalb angezeigt, sich mit Webers Einwänden auseinanderzusetzen.

Weber scheint zunächst die Tatsache des Rückgangs der verfügbaren Edelmetallmenge selbst einigermaßen anzuzweifeln, geht jedoch auf die von mir angeführten Zeugnisse nicht ein. Soweit Unergiebigkeit der Minen sich überhaupt eingestellt habe, meint er weiter, rühre das nicht daher, daß sie für die damalige Technik erschöpft gewesen seien, sondern es sei die Folge der veränderten Wirtschaftsverhältnisse: an Stelle des in klassischer Zeit herrschenden Sklavenbetriebes sei man in einer Periode der Kleinpächterwirtschaft eingetreten, und mit dieser habe man die Minen nicht betreiben können.

Für meine Zwecke würde dieses Zugeständnis eigentlich genügen. Denn mir kommt es ja nur darauf an, festzustellen, daß der Organismus des römischen Reiches ungeheurer Massen von Edelmetall bedurfte, um zu funktionieren, und daß diese versiegten – aus welchem Grunde könnte dahingestellt bleiben. Die Frage ist aber universalhistorisch von so großer Tragweite, daß ich doch noch Einiges hinzufügen will, um so mehr, als Weber sie offenbar sehr unterschätzt: er spricht (S. 181) von einem »Generationen lang dauernden Zusammenbruch der antiken Geldwirtschaft«. In Wirklichkeit hat aber nicht für einige Generationen, sondern für weit mehr als ein Jahrtausend die Naturalwirtschaft die Kulturwelt beherrscht, in Westeuropa nahezu vollständig; im oströmischen Reich kam man wohl zeitweilig der Geldwirtschaft wieder etwas näher, aber doch keineswegs wieder auf die Stufe der Antike.163 Das ist eine Erscheinung, die nicht so nebenhin abzumachen ist.

Woher also das auch von Weber, wenigstens als Möglichkeit zugegebene Nachlassen in der Ergiebigkeit der antiken Bergwerke?

Weber selbst betont die große Bedeutung der Edelmetallvorräte für das Wirtschaftsleben; mit Recht warnt er vor der Überschätzung, als ob das Edelmetall als solches bereits schöpferisch wirke, aber immerhin sei es sehr wichtig. Daß es speziell für das römische Reich mit seinen auf bare Löhnung gestellten Legionen fundamental war, würde er, wenn er es auch nicht ausspricht, doch wohl zugeben. Soll man es da wirklich glauben, daß die Römer auf die Gewinnung eines so wichtigen Elements für ihr[254] Dasein Verzicht geleistet hätten, bloß weil wegen des Rückganges der Sklavenmenge die alte Arbeitsorganisation nicht mehr funktionierte?

Die Tatsache ist aber nicht einmal richtig. NEUBURG in seiner Untersuchung zur Geschichte des römischen Bergbaus (Zeitschrift für die ges. Staatswissensch., Bd. 56) hat festgestellt, daß in weitem Umfang in der späteren Kaiserzeit freie Lohnarbeiter im Bergbau verwandt wurden,164 sogar solche, die zugleich am Besitz beteiligt waren. Daneben wurden Sklaven und Strafgefangene verwandt, und wenn die ersteren allmählich schwanden, so lieferten für die zweite Kategorie die Christen neue Kontingente. Neuburg selbst weiß sich den Rückgang nicht anders zu erklären, als durch den Rückgang der Bevölkerung, welche Vorstellung jetzt wohl kaum noch verteidigt wird. Völlig eingegangen ist der Bergbau natürlich niemals; besonders im nördlichen Teil der Balkanhalbinsel scheint er sich relativ gut erhalten zu haben. Ein sehr starker Rückgang ist unleugbar, und um zu erkennen, daß dieser an der Arbeitsverfassung nicht gelegen haben kann, bedurfte es kaum der Feststellungen Neuburgs; man braucht nur einen Blick aufs Mittelalter zu werfen, das doch über Sklavenherden ebenso wenig verfügte, wie das dritte Jahrhundert: vom zehnten Jahrhundert an hat man aber mit immer steigendem Erfolge die neuentdeckten Bergwerke betrieben, namentlich taten es die Deutschen im Harz, im Erzgebirge, im Fichtelgebirge, in Böhmen. Das sollte den Römern nicht erreichbar gewesen sein?

Nachträglich bin ich übrigens, wie ich nicht unterlassen will zu bemerken, darauf aufmerksam geworden, daß schon MONTESQUIEU, Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence, cap. 17 das Schwinden des Edelmetalls, das Versagen der Bergwerke und die Einwirkung dieser Tatsache auf die Degeneration der Armee und dadurch auf den Untergang des Reiches erkannt hat.

WEBERS Idee zeigt insofern den richtigen historischen Instinkt, als wenigstens eine der Ursachen, zu denen er hinaufsteigt, politischer, nicht etwa wirtschaftlicher Natur ist: das Wesen des Imperiums. Aber er sucht die Wirkung an einer falschen Stelle, bei der Ausbildung der Bureaukratie und der durch diese bewirkten Einschränkung des Kapitalismus, die er dann bis zu Abtötung des ökonomischen Sinnes überhaupt potenziert. In Wirklichkeit war die Ausbildung der Bureaukratie und die Einschränkung des Kapitalismus beides so gemäßigt und innerhalb solcher Grenzen, daß man es nur als segensreich betrachten kann. Der Fehler lag vielmehr in der inneren Unmöglichkeit, das Imperium mit dem Begriff der Freiheit auszusöhnen, es mit Institutionen zu umgehen, die zunächst den römischen Bürgern und schließlich auch der ganzen Masse der Reichsbewohner auch nur die Männerwürde verbürgten. Alles hing von der Persönlichkeit des[255] Kaisers ab. Sich einfach dem Erbrecht anzuvertrauen, erwies sich als unmöglich, widersprach auch der Natur und dem Ursprung der Stellung. Deshalb mußte schon Augustus seinen leiblichen Enkel, da er untauglich war, opfern und einen Andern als Adoptivsohn an seine Stelle setzen. Nun aber hatte man die ewige Rechtsunsicherheit im Mittelpunkt des Staates, – fast kein Thronwechsel vollzog sich ohne Blutvergießen, sei es an dem regierenden Kaiser, sei es an einem Rivalen des Nachfolgers, sei es in offenem Bürgerkriege, und diese Rechtsunsicherheit ist der organische Fehler in der Natur des Imperiums, der die Überwindung der entstehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten (Währungskrise) wie der politischen (Aufkommen des Partikularismus) unmöglich machte, die Disziplin in den Legionen auflöste, die Dienste der Barbaren erzwang und damit schließlich den Untergang des Reiches herbeiführte.

MARTIN BANG, Die Germanen im römischen Dienst (Berlin, Weidmann 1906), hat in so sorgsamer wie verdienstlicher Weise die Inschriften behandelt, die sich auf Germanen im römischen Dienst beziehen, sie systematisch geordnet und gezeigt, was für Folgerungen sich daraus ergeben. Wenn er dabei auch sehr wirkungsvoll die Zeugnisse der Römer über die Tüchtigkeit der Germanen zusammengestellt hat (S. 16) so hat er sie doch noch insofern unterschätzt, als er (vgl. S. 6, Anmkg. 36; S. 93) an den alten legendarischen Riesenzahlen festhält: erst dann wertet man die Germanen aber völlig richtig, wenn man mit ihren Leistungen zusammenhält, wie wenige sie waren. Nicht richtig ist es auch, wenn Bang das Einrücken der Germanen in die obrigkeitlichen Stellen des römischen Staates als »Brechen mit Vorurteilen« bezeichnet. Es war wahrlich etwas anderes.

S. 60 meint Bang, erst mit Marc Aurel habe die Zeit begonnen, »wo das freie Germanentum in systematischer Weise und in großem Maßstabe für die Zwecke des Reiches dienstbar gemacht wurde«. Das ist schon durch Cäsar und Augustus, Tiberius und Germanicus geschehen. Die Abwandlung, die vielleicht schon unter Marc Aurel einsetzt, ihre volle Kraft erst im dritten Jahrhundert gewinnt, ist kein neues System, sondern eine praktische Gewichtsverschiebung. Die Germanen, die ehedem in der römischen Armee sekundäre Truppen gewesen waren – neben den römischen Untertanen auch von Anfang an freie –, rückten in die ersten Stellen ein, weil die Legionen ihre Disziplin und damit ihre Kraft verloren.[256]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 246-257.
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