Drittes Kapitel.

Die Schlacht bei Adrianopel.

(9. August 378.)

[282] Die Westgoten, von dem aus der Tiefe Asiens auftauchenden Volke der Hunnen bedrängt, erschienen an der unteren Donau und gingen das römische Reich um Bundesgenossenschaft an. Die Römer nahmen den Vorschlag gerne an und ließen die Barbaren über den Strom, in der Hoffnung, durch ihre starken Arme um so besser diese Grenze des Reichs zu verteidigen. Binnen kurzem aber brachen zwischen den neuen Verbündeten wegen der Verpflegung, welche die Römer liefern sollten, Streitigkeiten aus, und die Goten stürzten sich plündernd und mordend »wie die wilden Tiere« auf die römischen Provinzialen in den Landschaften der Balkanhalbinsel. Noch weitere Schwärme schlossen sich ihnen an, ein großer Teil der Ostgoten von jenseits der Donau, Goten, die schon seit längerer Zeit in römischem Dienst standen, entlaufende Sklaven, namentlich thracische Bergwerksarbeiter.

Der Kaiser des Ostens, Valens, war gerade in einem Kriege mit den Persern begriffen. Die ersten Truppen, die er sandte, drängten mit Hilfe weströmischer Truppen, die der Kaiser Gratian geschickt hatte, die Goten bis in die Dobrudscha zurück, waren aber nicht imstande, sie ganz zu überwältigen, und als die Goten nun noch weiteren Zuzug von Alanen und sogar von Hunnen von jenseits der Donau erhielten, wagten die römischen Generale nicht, das Feld zu behaupten. Die einen zogen sich bis auf Konstantinopel, die anderen nach Illyrien178 zurück. Nur eine[282] Elitetruppe, 300 aus jedem Numerus (Regiment), im ganzen 2000 Mann, unter dem tatkräftigen General Sebastianus, blieben in Thracien im Felde und suchten, einzelne Scharen der raubenden Goten abzufangen.179

Valens schloß auf diese Nachrichten Frieden mit den Persern und zog mit den verfügbar gewordenen Truppen heran, während der Kaiser des Westens, sein Neffe Gratian, ihm von Gallien her mit seiner Armee zuzog.

Die Goten sammelten sich südlich des Balkan bei Beröa (Stara Zagora), wo die Straße aus dem Schipkapaß endet.

Die Aufgabe der beiden römischen Kaiser war, sich zunächst zu vereinigen, um dann mit vereinten Kräften den Goten eine Schlacht zu liefern; die Aufgabe der Goten, die Vereinigung der beiden römischen Heere zu verhindern und eines oder das andere vereinzelt zu schlagen.

Gratian zog heran auf der großen Straße, welche die Donau entlang, dann durch das heutige Serbien über Philippopel an der Maritza entlang nach Adrianopel und weiter nach Konstantinopel führt. Die Goten hätten sich also sehr leicht mittwegs, etwa in der Gegend von Philippopel, aufstellen können, um die Gegner zu trennen. Aber dies Manöver wäre ihnen schwerlich gelungen. Die Römer hatten die Kunst der Lagerbefestigung noch nicht verlernt; auch um das gotische Heer herum würden die beiden römischen, sich vorsichtig deckend und gestützt auf die festen Städte des Landes, ohne Zweifel den Anschluß aneinander gefunden haben, ohne dem Gegner eine Gelegenheit zum Angriff zu bieten. Hätten die Goten sich etwa so dicht vor einen Paß gelegt, daß sie ihn vollständig sperrten, so wäre es den Römern mit irgend welchen Umwegen doch immer gelungen, an ihnen vorbeizukommen, wobei wir die Möglichkeit, daß sie vielleicht dazu gelangten, ihrerseits die Goten von zwei Seiten gleichzeitig anzugreifen, noch ganz außer Betracht lassen. Ein[283] Versuch der Goten, die Römer in dieser Art auseinanderzuhalten, wäre für diese also nur erwünscht gewesen, und um so erwünschter, als jene sich in dieser Zeit nicht hätten ausbreiten können und das Land mit ihren Raubzügen hätten verschonen müssen.

Wir erkennen in dem Führer der Goten, dem Herzog Frithigern, einen strategischen Kopf, wenn wir sehen, wie er unter diesen Verhältnissen seine Aufgabe angriff und sein Volk zum Siege führte.


3. Kapitel. Die Schlacht bei Adrianopel

Er stellte sich nicht zwischen die beiden römischen Heere; er ließ die große Straße an der Maritza gänzlich frei und zog sich sogar noch weiter nach Osten von Beröa auf Kabyle (Jamboli).180 Als aber Valens nunmehr von Adrianopel durch das[284] Maritzatal weiterzog auf Philippopel, kam die überraschende Meldung, daß die Goten hinter ihm bei Adrianopel erschienen seien und die Straße nach Konstantinopel bedrohten. Es scheint sogar, daß gotische Reiter hinter dem römischen Heere auf der Maritzastraße auftauchten, so daß man glauben konnte, die Goten wollten die Verbindung des Kaisers mit Adrianopel abschneiden.

Auf diese Nachricht kehrte Valens um; die Goten auf der Maritzastraße mögen bloße Rekognoszierungspatrouillen gewesen sein; man kam ohne Gefecht wieder bis nach Adrianopel.

Nun hätte Valens hier ruhig stehen bleiben und die Ankunft des zweiten römischen Heeres abwarten können. In diesem Falle hätten die Goten durch ihren Vorstoß zwar nichts gewonnen, aber auch nichts verloren gehabt; die Vereinigung der römischen Heere konnten sie direkt niemals verhindern, und wenn sie die Schlacht gegen die beiden Kaiser zugleich nicht wagen wollten, so konnten sie von der thracischen Ebene den Rückzug an die untere Donau ganz ebenso gut nehmen, wie aus ihrer Stellung bei Beröa. Aber der Vorstoß in den Rücken des Gegners gab ihnen noch andere Chancen. Sie zerschnitten jetzt die Verbindungslinie, auf der er seine Zufuhren bezog, und sie waren in der Lage, das wohlangebaute Gebiet Thraciens bis nach Konstantinopel hin, das von den Kriegsnöten noch weniger berührt war, auszuplündern. Es konnte keine stärkere Reizung geben, den Kaiser zu einer verfrühten Schlacht vor der Ankunft Gratians zu verlocken, als diese Operation der Goten in seinen Rücken. Ja, es ist nicht unmöglich, daß die Schlacht sogar unvermeidlich wurde, weil eben die Goten durch ihre Stellung den Römern die Zufuhr abschnitten.

Unsere Quellen behaupten, Valens habe sich zur Schlacht verleiten lassen durch die Eifersucht auf seinen Neffen Gratian, der soeben einen Sieg über einen alemannischen Stamm, die Lentienser, erfochten hatte; die Schmeichler hätten den Kaiser zu seinem unbesonnenen Vorgehen verleitet. Es ist ja nur natürlich, daß man nach der Niederlage entsetzt und entrüstet frage, wie der Kaiser habe die Schlacht herausfordern können, ohne das zweite Heer, das schon im oberen Mösien (Serbien) stand, abzuwarten. Ob wirklich eine Regung der Eifersucht bei dem Entschlusse[285] mitgewirkt hat, wer will es wissen? Wer, selbst angenommen, wir hätten im Ammian einen Bericht aus der intimsten Umgebung des Kaisers, will die Motive bis ins Individuellste erkennen? Soviel ist doch wohl klar, daß Valens, der die Hilfe seines Neffen angerufen hatte, nun, als er schon in der Nähe war, nicht endlich doch ohne ihn in die Entscheidungsschlacht gegangen ist, ohne daß er geglaubt hätte, dazu gezwungen oder auch so des Sieges gewiß zu sein. Ich halte die Erzählung von dem Eifersuchtsmotiv für einen reinen Adjutantenklatsch.

Wir hören, daß dem Kaiser gemeldet worden ist, die Goten seien nicht mehr als 10000 Mann stark. In dieser Meldung dürfte wohl von der Motivation für den Schlachtentschluß mehr zu suchen sein, als in der angeblichen Eifersucht auf den Mitkaiser und der Schmeichelei der Höflinge. Sollte der Kaiser mit einem überlegenen Heer untätig zuschauen, wie die Barbaren eine blühende Provinz vor den Toren seiner Hauptstadt in Asche legten?

Frithigern wandte nun aber noch ein anderes Mittel an, um den Kaiser zur Schlacht zu verlocken. Er sandte einen christlichen Priester (man fragt, ob es vielleicht Ulfilas selbst gewesen sei) in das römische Lager und ließ dem Kaiser Frieden anbieten, wenn man den Goten die Provinz Thracien mit dem Vieh und Getreide, das darin sei, einräumen wolle. Neben dieser öffentlichen Botschaft hatte der Geistliche noch ein geheimes Schreiben des Heruogs bei sich, in dem dieser den Kaiser aufforderte, mit seinem Heer vorzurücken, damit die Goten dadurch in Respekt versetzt und zum Frieden gestimmt würden.

Wenn Valens sich nicht tatsächlich einer sicheren Überlegenheit bewußt gewesen wäre, so wäre die gotische Kriegslist doch wohl zu plump gewesen, um ihn zu der verfrühten Schlacht vor der Ankunft Gratians zu verlocken. Aber so wie man im römischen Hauptquartier die Dinge ansah, schien die Botschaft Frithigerns gar nicht so unnatürlich; ja wir dürfen sogar sagen, ob sie nicht wenigstens zur Hälfte ehrlich gemeint war. Die Goten hatten ja noch keinen höheren Ehrgeiz, als gut bezahlte und verpflegte Söldner der Römer zu sein, und auf ganz ähnliche Bedingungen, wie sie Frithigern hier anbot, hat man sich tatsächlich[286] nachher geeinigt. Was aber der Erklärung bedarf, ist, wie der Kaiser geneigt sein könnte, einen solchen Frieden zu schließen. Die römische Autorität, wie das Ansehen des Kaisers persönlich waren doch unheilbar geschädigt, wenn man den Barbaren, statt sie zu bestrafen und die Leiden des Landes an ihnen zu rächen, auch noch eine Provinz abtrat. Fühlte Valens sich für die Exekution zu schwach, so konnte er ja die Hilfe Gratians abwarten.

Tatsächlich sehen wir nun auch, daß Valens die Friedensverhandlung ablehnte und statt dessen gegen die Goten vormarschierte. Alles vereinigt sich dahin, daß Valens seines Siegessicher zu sein glaubte, mag er auf jeden Fall haben schlagen, mag er durch die Vorführung seiner überlegenen Macht die Goten haben zu einem Vertrage bewegen wollen.

Als er nun am nächsten Morgen gegen die Goten ausrückte, erschienen noch zweimal während des Marsches Botschafter von Frithigern, denen man zwar nicht recht traute, da es nur gemeine Goten und keine vornehmen Männer waren, denen man aber endlich doch, als Frithigern Austausch von Geiseln anbot, nachgab. Während die beiden Heere bereits einander ins Auge faßten, soll, nachdem ein Anderer es abgelehnt, der General Richomer sich bereit erklärt haben, den gefährlichen Auftrag zu übernehmen; schon soll er auf dem Wege zu den Goten gewesen sein, als an einer Stelle die römischen Truppen ohne Befehl den Kampf begonnen und sich nun die allgemeine Schlacht entwickelte.

Diese Erzählung hat nicht gerade große innere Wahrscheinlichkeit für sich. Daß Frithigern noch einmal schickte, ist wohl verständlich, sei es, daß er durch den Schein von Furcht die Römer nur noch mehr zum Angriff reizen, sei es, daß er durch die Verhandlungen etwas Zeit gewinnen wollte, da Reiterscharen unter Alatheus und Safrax, die, wohl auf Fouragierung ausgeschickt, noch nicht zur Stelle waren, erst gerade bei Beginn der Schlacht wieder eingetroffen sind. Von Valens aber muß man fragen, weshalb er auf das Geiselstellen eingegangen ist.

Es ist denkbar, daß er zwar nicht den Frieden unter Abtretung einer Provinz, aber doch Verhandlungen wollte, um die[287] Goten festzuhalten und hinzuziehen, bis Gratian ankam. Das wäre aber mit größerer Sicherheit von dem festen Lager aus geschehen. Wenn etwa der Kaiser fürchtete, die Goten würden ihm entschlüpfen, und nun erst, da sie ihm nicht mehr entkommen konnten, die Geiselstellung annahm, nicht in der Meinung, wirklich den Barbaren zum Lohn für ihre Untaten auch noch Thracien abzutreten, sondern um sie sicher zu machen, hinzuziehen und mittlerweile Gratian abzuwarten, so bleibt doch die Frage, weshalb er nicht früher Halt machen ließ.

Man könnte vielleicht auch meinen, daß er, bis dahin siegesgewiß, im letzten Augenblick erkannt hatte, daß er die Goten unterschätzt hatte, und daß sie viel stärker waren, als er angenommen. Aber ein solcher Wechsel der Stimmung wäre doch in unserer Überlieferung wohl nicht so ganz übergangen und hätte vor allem sofort Befehle hervorgerufen, die das weitere Vorgehen der Truppen verhinderten. Bei der geringen Tragweite der Waffen muß man ja tatsächlich bis auf ein paar hundert Schritt einander nahe stehen, wenn Truppen ohne Befehl die Schlacht beginnen können. In diesem Augenblick aber konnte sich das römische Hauptquartier über die Stärke des Feindes schon lange nicht mehr täuschen. Ein aufmarschiertes Heer bewegt sich langsam; wenn der Feldherr während des Aufmarsches den Feind nicht selber sehen kann, so läßt er ihn doch durch voraufgeschickte Offiziere beobachten. Es ist ganz ausgeschlossen, daß Valens nicht schon einige Stunden, ehe der Kampf begann, von der Stärke der Goten eine soweit richtige Vorstellung hatte, wie sich durch die Abschätzung erfahrener Offiziere feststellen läßt. Höchstens die Reiter des Alatheus und Safrax könnten den Römern in diesem Augenblick noch eine Überraschung geboten haben, aber von einem Zusammenhang des Erscheinens dieser Reiter mit dem Entschluß zu verhandeln, findet sich in den Quellen nirgends die geringste Spur. Wir können also nicht daran zweifeln, daß bis zum letzten Augenblick das römische Hauptquartier des Sieges ganz sicher zu sein geglaubt hat. Sonst hätte man unzweifelhaft die Truppen etwas früher Halt machen lassen und die Verhandlung benutzt, um in das Lager zurückzugehen und die Weströmer herankommen zu lassen. Wenn Valens dennoch im allerletzten Augenblick oder[288] vielmehr als es schon zu spät war, die vom Gegner angebotene Geiselstellung annahm, so bleibt keine andere Erklärung, als daß ihm, der vermutlich von Anfang an mit sich rang, ob er nicht doch lieber Gratian abwarten solle, angesichts der aufmarschierten Goten die Nerven versagt haben.

Über den taktischen Verlauf der Schlacht ist unseren Quellen so gut wie nichts zu entnehmen. Wir hören nur, daß die gotische Reiterei die römische (es waren zum Teil Araber, die Valens aus Syrien mitgebracht hatte) beim ersten Anlauf über den Haufen warf und daß dann in einem großen Gemetzel das römische Heer fast ganz vernichtet wurde. Der Kaiser selbst verschwand, man wußte nicht, wie er umgekommen war.

Aus der Größe der Niederlage etwa auf eine große Übermacht der Goten schließen zu wollen, würde nicht angängig sein. Man braucht sich nicht nur bloß an Cannä zu erinnern, sondern auch allgemein daran, daß im Altertum ein geschlagenes Heer sehr große Verluste zu erleiden pflegt und leicht ganz vernichtet wird.

Müssen wir auf eine taktische Ausbeute aus dieser Schlachterzählung verzichten und bleibt der politisch-militärische Zusammenhang unsicher, so ist sie darum dennoch kriegsgeschichtlich von hohem Interesse, zunächst weil sie uns wieder einen germanischen Fürsten als einen naturwüchsigen Strategen zeigt. Dann aber und ganz besonders wegen jener Zahlangabe, der Meldung, daß die Goten nur 10000 Mann stark seien, die den römischen Kaiser zu seinem Angriff verführt hat.

Ammian, der uns diese Meldung aufbewahrt hat, fügt hinzu; sie sei irrig gewesen, gibt aber nicht an, wie groß denn das gotische Heer in Wirklichkeit gewesen sei. Da er nur im Eingang seiner Erzählung von den ungeheuren Massen spricht, die über die Donau gekommen seien, und ein anderer Schriftsteller der Zeit, Eunapius (Kap. 6), sie auf fast 200000 kriegsfähige Männer schätzt, so haben die Modernen jene 10000 als irgend einen Vortrupp, ein Detachement angesehen. Das steht aber keineswegs bei Ammian, ja, diese Auslegung ist durch den Zusammenhang vollständig ausgeschlossen. Die römischen Patrouillen, heißt es, versicherten, daß, was sie gesehen hätten, an der Zahl nicht mehr als 10000 seien (incertum, quo errore procursatoribus omnem[289] illam multitudinis partem, quam viderant, in numero decem millum esse firmantibus). Durch diese Mitteilung wird der Kaiser hingerissen, sie anzugreifen. Wäre die Meldung so zu verstehen, daß die Patrouillen von einer unbestimmt großen Menge nur 10000 Mann mit eigenen Augen gesehen hatten, so hätte weder der Zusatz »incertum quo errore«, noch der plötzliche Entschluß des Kaisers einen Sinn. Die Meldung kann nur dahin gelautet haben, daß der von der vorausgesetzten großen Menge der Barbaren hier bei Adrianopel zur Stelle befindliche Teil nicht mehr als 10000 Mann betrage.

Diese Meldung aber war irrig, sagt Ammian. War sie das, was wir glauben mögen, so muß dieser Irrtum sich doch immer innerhalb gewisser Grenzen gehalten haben. Dieses Heer, das Valens angriff, in der Meinung, 10000 Mann vor sich zu haben, kann nicht tatsächlich 100000 Mann oder gar 200000 Mann stark gewesen sein.

Auch die Auffassung, Valens habe sich eingebildet, hier ein feindliches Streitkorps abzufangen, während die gotische Hauptmacht irgendwo anders stand, und sei unvermutet auf diese gestoßen, ist nicht durchführbar. Die Botschaften Frithingerns bewiesen, daß man es nicht mit einem bloßen Streifkorps zu tun hatte; die ganze Erzählung Ammians müßte dann anders lauten, und der Irrtum hätte schon beim Anmarsch zu Tage kommen müssen. Die Goten gaben ja durch die Verhandlungen, die sie anknüpften, doppelte Zeit und Gelegenheit zum Rückmarsch; bis zum wirklichen Beginn des Gefechts kann der römische Kaiser über seinen Irrtum nicht aufgeklärt worden sein.

Es ist also klar, daß Valens in die Schlacht gegangen ist unter der Vorstellung, der Feind, und zwar die feindliche Hauptmacht unter Anführung ihres Herzogs Frighigern, der selbst zur Stelle war und Unterhändler schickte, sei so ungefähr 10000 Mann stark. Er war tatsächlich stärker, versichert uns Ammian, aber dieses Mehr kann unmöglich das Dreifache oder auch nur das Doppelte betragen haben; denn auch nur 20000 Mann statt 10000 ist schon eine Differenz, die die römischen Generale beim Anmarsch bemerken mußten. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß bei einer derartigen Beobachtung sich nicht Stimmen erhoben[290] haben sollten, die rieten, nun doch lieber die Ankunft Gratians abzuwarten; und wenn sich solche Stimmen erhoben hätten, so ist es sicher, daß davon etwas in die Überlieferung übergegangen und bei der ausführlichen Erzählung Ammians auf uns gekommen wäre. Denn nach einem Unglück wird nichts eifriger aufgehoben, als der Ruf des Warners, der Recht behalten hat. Nichts davon finden wir; nicht einmal die positive Behauptung, daß die Goten sehr viel stärker gewesen seien als 10000 Mann, sondern nur die ganz allgemeine Wendung, die Meldung sei irrtümlich gewesen. Der Irrtum kann daher auf keine Weise ein bedeutender gewesen sein. Es wird sich wesentlich nur um den Teil der Reiterei gehandelt haben, der erst im Beginn der Schlacht bei den Goten eintraf. Sie waren also hiernach vielleicht 12000, wir dürfen sagen, allerhöchstens 15000 Mann stark.

Dieses Ergebnis wird bestätigt durch eine Wendung in der Erzählung Ammians, die Römer hätten beim Vorrücken die feindliche runde Wagenburg erblickt (hostium carpenta cernuntur, quae ad speciem rotunditatis detornata digestaque exploratorum relatione adfirmabantur). Ganz ebenso schildert Ammian (XXXI, 7, 5) bei dem Feldzug des vorhergehenden Jahres die Wagenburg der Goten als kreisförmig (ad orbis rotundi figuram multitudine digesta plaustrorum). Ohne gerade eine bestimmte Grenze zu ziehen, darf man doch sagen, daß eine solche Wagenburg immer nur ein sehr mäßiges Heer einschließen kann. Zehntausende von Wagen in einen einzigen Kreis zusammengefahren, würde ein Geschäft von vielen Tagen sein und die Terrainhindernisse überhaupt un möglich. Ebenso beim Abfahren; das Heer würde jede Bewegungsfreiheit verloren haben. Während des Lagerns selbst aber würde bei der Größe des Kreises jeder einzelne von seinem Wagen, seinem darauf befindlichen Eigentum und seinem Vieh so weit getrennt sein, daß nicht nur jede Ordnung, sondern jede Gebrauchsmöglichkeit aufhört. Sollte ein Heer von mehreren Zehntausenden sich hinter seinen Wagen sichern wollen, so müßte es mehrere Wagenburgen bilden. Es geht aber aus Ammian hervor, daß es sich jedesmal nur um eine Wagenburg handelt.

Eine fernere Bestätigung unseres Ergebnisses finden wir in den Märschen der Goten. Sie sind von Kabyle auf Adrianopel[291] gezogen. Über das Gebirge, das zwischen diesen beiden Punkten liegt, führen heute zwei Wege, rechts und links des Flusses Tundscha, aber nicht im Flußtal selbst, sondern oft ziemlich entfernt davon.181 Den östlicheren hat der General Diebitsch im Jahre 1829 benutzt, und diesen Marsch um dieselbe Jahreszeit wie der der Westgoten, im August, schildert uns Moltke in seiner Geschichte dieses Krieges (S. 359): »Jenseits Papaskjoi (Popowo) gestaltet sich das Terrain bergiger und durchschnittener. Der Fels liegt hier meist ohne alle Erdbekleidung zu Tage, und der Marsch auf diesem glühenden Gestein war äußerst beschwerlich. Die Türken hatten alle Fontainen zerstört, welche dem Wanderer in diesen Gegen den ein so großes Labsal gewähren, und es herrschte empfindlicher Wassermangel. Endlich, nach einem Marsch von vier Meilen, gelangte man nach dem Städtchen Bujuk Derbent, wo übernachtet und am folgenden Tage geruht wurde. Das VII. Korps machte schon in Kutschuk Derbent Halt. Die Russen litten in dieser öden Steinwüste mehr Not, als bei dem Marsch über den Balkan. Die Hitze war unerträglich und die Fieber griffen immer mehr um sich. Der Bujuk Derbent (oder große Paß) bildet ein sehr schwer zu überschreitendes Defilée.« Von der zweiten, westlicheren Straße sagt Moltke (S. 358), sie sei bei weitem weniger schwierig. Aber sie läuft auf dem rechten Ufer der Tundscha, die sich bei Adrianopel mit der Maritza vereinigt, und nur auf Brücken passiert werden kann (S. 361).

Aus diesen Straßenverhältnissen, die damals in ihren Grundzügen ähnlich gewesen sein müssen, ergibt sich, daß die Goten für ihre Operation nur eine Straße zur Verfügung gehabt haben, nämlich die östliche, auf dem linken Ufer der Tundscha über Bujuk Derbent. Sie waren weder in der Lage, sich zu teilen und beide Straßen zugleich zu benutzen, noch mit dem ganzen[292] Heer sich auf die westliche Straße zu setzen. Die Pässe treten etwa drei bis vier Meilen nördlich von Adrianopel aus den eigentlichen Bergen in ein Hügelland, das allmählich in die wellige Ebene übergeht, in der die Stadt liegt. Die Stellen, wo die beiden Straßen aus den Bergen heraustreten, liegen etwa zwei Meilen von einander entfernt, und dazwischen fließt die Tundscha. Ein Korps auf der westlichen wäre, falls die Römer durch irgend einen Zufall früh von ihrem Anmarsch erfuhren, einem Flankenangriff ausgesetzt gewesen oder hätte unmittelbar beim Austritt aus dem Paß auf die feindliche Hauptmacht stoßen können. Dann hätte es die tiefe Tundscha im Rücken gehabt, die es von dem anderen Heerteil trennte. Dieses Hindernis wäre ihm auch dann sehr unbequem geworden, wenn das römische Heer noch nicht zur Stelle war. Die Goten gingen nach Ammian auf die Straße Adrinanopel-Konstantinopel, hätten also dazu, mit dem Korps auf der West-Straße erst die Tundscha überschreiten müssen.

Frithigern hätte also, auf beiden Straßen marschierend, nicht wissen können, ob er nicht beim Heraustreten sofort auf das römische Heer stoßen würde, das seine rechte Kolonne überwältigt haben würde, ehe die linke ihm zu Hilfe kommen konnte. Auf einer Straße marschierend aber hätten, falls Valens schon da war, die vordersten Staffeln ins Gefecht treten müssen, ehe die hinteren, die einen oder zwei Tagemärsche zurück waren, ihnen helfen konnten. Nur wenn das Heer so klein war, daß eine Straße genügte, und die Kolonne nicht über einen Tagemarsch lang war, konnten die Goten ihren Vormarsch wagen, denn nur dann konnten sie darauf rechnen, ihr Heer so schnell aufmarschieren zu lassen, daß es schlachtbereit war, wenn die Römer anrückten.

Ein kleines Heer kann nicht, was ein großes Heer kann, aber auch ein großes Heer kann nicht alles, was ein kleines Heer kann.

Diebitsch benutzte im Jahre 1829 für seinen Vormarsch auf Adrianopel die östliche Straße nach Moltke (S. 359), um nicht genötigt zu sein, in der Nähe jener Stadt den Strom zu überschreiten, und um durch denselben in der rechten Flanke gegen etwaige Unternehmungen von Philippopel aus gedeckt zu sein. Genau in derselben Lage waren im Jahre 378 die Goten. Sie[293] wollten an Adrianopel vorbei auf die Straße nach Konstantinopel. Als sie von Kabyle aufbrachen, stand Valens entweder noch bei Adrianopel oder war eben auf der Straße im Maritzatal in der Richtung auf Philipoppel aufgebrochen. Erfuhr er durch irgend welchen Zufall den Anmarsch der Goten sehr früh, so konnte er auch in letzterem Falle schon vor ihnen wieder an dem Paßausgang der westlichen Tundschastraße stehen und ihnen sowohl hier, wie beim Flußübergang sehr gefährlich werden. Auf der östlichen Straße hingegen durften die Goten ziemlich sicher sein, zu debouchieren, ohne daß die Römer ihnen Schwierigkeiten bereiteten.

Von den Goten werden wir annehmen dürfen, daß sie bei ihrem Vorstoß nicht ihren gesamten Troß, der durch die Beute an Wertstücken, Vieh und Sklaven unbeheuer geworden sein muß, mitschleppten. Sie werden ihn weiter nordöstlich, etwas entfernt von dem augenblicklichen Kriegsschauplatz, unter eigener Bedeckung zurückgelassen haben. Auch sonst mögen einzelne Schwärme nicht beim Hauptheer gewesen sein; ein Haufe Alanen beobachtete das Heer Gratians und scharmutzierte mit ihm. Eine gewisse Anzahl Knechte und namentlich sehr viele Frauen und deshalb auch Kinder werden aber den Zug des Hauptheeres jedenfalls begleitet haben, so daß, auch wenn er keine 15000 Krieger zählte, er doch sicherlich 30000 Köpfe stark war, also mit seinen Wagen auf einer Straße einen ganzen Tagemarsch lang war.

Kehren wir von hier aus noch einmal zu der Schlachtentscheidung zurück. Es ist aus unseren Quellen nicht zu ersehen, was den Ausschlag für die Goten gegeben hat, mit anderen Worten, weshalb ihre Reiterei sich der römischen so unbedingt überlegen erwies, und weshalb darauf das römische Fußvolk, wie noch bei Straßburg, die Schlacht nicht mehr herzustellen vermochte. Bei Straßburg ist eine erhebliche numerische Überlegenheit auf der Seite der Römer gut beglaubigt; bei Adrianopel dürfen wir annehmen, daß der Unterschied hinüber oder herüber jedenfalls nicht groß war. Als gemeldet wurde, der Feind sei nur an 10000 Mann stark, glaubte Valens sich des Sieges sicher. Sein Heer wird also einige tausend Mann stärker gewesen sein, und[294] Ammian sagt auch ausdrücklich, es sei zahlreich und kriegstüchtig gewesen.

Da unmittelbare militärische Gründe für die absolute Niederlage der einen Seite nicht zu erkennen sind, so möchte man auf die Vermutung kommen, daß die innere politische Schwäche des Römerreichs, mit anderen Worten, daß Verrat oder mindestens ein nicht genügend guter Wille im Spiel war.

Als Kaiser Julian in Mesopotamien plötzlich dahingerafft war und das Heer erst Jovian, dann Valentinian zum Kaiser wühlte, hatte er außer acht gelassen, daß Julian zwar kinderlos, aber nicht erblos aus dem Leben gegangen war. Es existierte noch ein Seitenzweig des konstantinischen Hauses, ein Vetter Julians Namens Procop, der sein Recht verteidigte und endlich besiegt wurde, aber für den in der neuen Hauptstadt Konstantinopel sich so viel Sympathie gezeigt hatte, daß eine dauernde Spannung182 mit dem neuen Kaiserhause blieb. Weiter aber war der Kaiser Valens entschlossener Arianer, und als die ersten Generale, die er gegen die Goten ausgeschickt hatte, geschlagen zurückkamen, sagten sie ihm ins Gesicht, ihr Unglück rühre daher, daß der Herr sich nicht zum rechten Glauben bekenne.183 Als er aus Konstantinopel auszog, trat ihm ein Priester entgegen und forderte die den Rechtgläubigen entrissenen Kirchen zurück; wenn der Kaiser sie nicht gebe, werde er aus dem Kriege nicht zurückkehren.184 In Konstantinopel aber erzählte man sich, er habe, weil man ihn im Amphitheater beschimpft, geschworen, wenn er zurückkomme, werde er die Hauptstadt dem Erdboden gleichmachen.185 Diese Geschichtchen sind von kirchlichen Schriftstellern überliefert und im einzelnen nicht gerade glaubwürdig. Auch daß einer von ihnen, Sokrates, positiv behauptet, die Reiterei habe sich verräterischerweise nicht am Kampfe beteiligt, dürfte kaum als ein wirkliches Quellenzeugnis angesehen werden, da sich bei Ammian nichts von Verrat angedeutet findet. Immerhin ist sicher, daß der regierende Kaiser Valens in seiner Autorität doppelt angefochten und unsicher[295] war; der Gedanke darf also nicht so ganz abgewiesen werden, daß die Entscheidung von Adrianopel, die von so unermeßlicher Tragweite war, nicht rein militärisch bestimmt, sondern von politischen Motiven, Motiven der inneren römischen Politik beeinflußt wurde.

Die kritische Grundlage für das Verständnis der Schlacht ist gelegt in einem Aufsatz von WALTHER JUDEICH in der »Deutschen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft«, Bd. VI (1891). Neuerdings ist die Schlacht behandelt von FERDINAND RUNKEL (Berliner Dissert. 1903). Unsere Haupt- und fast einzige Quelle ist die Erzählung Ammians, dessen Schlachtschilderungen aber, obgleich er selbst Offizier war, nach Wietersheims Ausdruck »mehr im Roman- als Militärstil geschrieben sind«. Judeichs Abhandlung ist nun in dem militärischen Raisonnement unzulänglich und oft ganz verfehlt, hat aber das große Verdienst, die geographischen Verhältnisse, um die es sich handelt, klar und richtig fixiert und dabei festgestellt zu haben, daß und wie Ammian seinen Gewährsmann mißverstanden hat und wie der Fehler korrigiert werden muß; man muß nur noch in derselben Richtung ein Stück weiter gehen, als es Judeich selbst getan hat.

In Ammians Darstellung findet sich ein Widerspruch. Von Konstantinopel aufbrechend, läßt er den Kaiser sein Hauptquartier erst in Melanthias (3-4 Meilen von der Hauptstadt) nehmen, dann nach Nike, 31/2 Meilen vor Adrianopel, gehen. Von hier eilt der General Sebastianus »itineribus celeratis« nach Adrianopel, ein Ausdruck, der, da es sich nur noch um einen Tagemarsch handelt, zum wenigsten irreführend ist.

Unmittelbar darauf aber läßt Ammian den Kaiser zum zweitenmal von Melanthias aufbrechen, gleich darauf erfahren wir, daß ihm der Feind seine Zufuhrwege sperren wollte und daß er diesem Versuch durch vorausgesandte Bogner und Reiter begegnete. Drei Tage darauf marschieren die Barbaren auf Nike; Valens erfährt, es seien nur 10000 Mann, und marschiert auf Adrianopel, um die Schlacht zu liefern.

Wenn die Barbaren schon bei Nike standen, das zwischen Melanthias und Adrianopel liegt, wie soll Valens, der auf dem Marsch von Melanthias ist, dann nach Adrianopel gekommen sein? Und wie sollen die Barbaren ihm seine Zufuhrwege haben abschneiden können, so lange sie vor ihm standen?

Es ist klar, daß Ammian von den geographischen Verhältnissen des Kriegsschauplatzes keine klare Vorstellung gehabt hat. Seine Schuld ist geringer, als es scheint; wir können wieder moderne Parallelen heranziehen, um zu zeigen, daß solche Fälle keineswegs unerhört sind.

Joh. Gust. Droysen ist es passiert, daß er in der Operation, die zu der furchtbaren Niederlage im Februar 1814 an der Marne führte, das Schlesische Heer zwei Tage hintereinander denselben Marsch machen läßt, und Treitschke läßt in der Vorgeschichte der Schlacht bei Leipzig Merseburg[296] nordwestlich von Leipzig liegen. Als geborener Sachse und lange Jahre hindurch Einwohner von Leipzig hätte er, wie unsere Philologen zu argumentieren pflegen, wissen müssen, daß nordwestlich von Leipzig Halle liegt, und Merseburg, das nur drei Meilen von Leipzig entfernt ist, fast genau westlich – aber der Fehler ist einmal da, und es ist unmöglich, wie es unsere unmethodischen Arbeiter in der alten Geschichte zu tun lieben, ihn irgendwie künstlich wegzuinterpretieren, sondern er ist einfach zu konstatieren und zu korrigieren. Ganz so steht es an der vorliegenden Stelle mit Ammian.

Zunächst ist klar, daß Valens nicht seine Vortruppen bis über Adrianopel vorschicken konnte, während er selbst mit dem Gros bei Melanthias, 26 Meilen rückwärts, stehen blieb.

Nach Eunapius und Zosimus bildete Sebastianus überhaupt nicht bloß die Avantgarde des Heeres unter Valens' persönlicher Führung, sondern hatte schon lange vorher mit 2000 ausgewählten Leuten einen erfolgreichen kleinen Krieg gegen die Goten geführt. Diese Erzählung hat alle Wahrscheinlichkeit für sich, da doch kaum anzunehmen ist, daß man in der langen Zeit bis zu des Kaisers Ankunft schlechterdings gar nichts zur Abwehr der Plünderer getan habe. Ich habe daher keinen Anstand genommen, die Erzählung von Ammian und den beiden Griechen über die Taten Sebastians oben im Text zu kombinieren.186

Wie dem auch sei, es liegt in der Natur der Dinge, daß Valens sich nur so kurz wie möglich bei Konstantinopel aufhielt und schnell vorrückte, um das Land zu schützen und Sebastianus einen Rückhalt zu bieten. Die Meldung von dem ersten Aufbruch muß also die richtige sein, und das Versehen liegt in der zweiten. Es gibt keine einfachere Korrektur, als daß dieser zweite Aufbruch statt von Melanthias von der schon als erreicht angegebenen Station, also von Nike aus, stattfand, und zwar selbstverständlich auf dem Weg, der dem anderen römischen Heer entgegenführte, d.h. über Adrianopel auf Philippopel. Daß Valens tatsächlich auf diesem Marsch begriffen war und Nike bereits hinter sich hatte, wird bewiesen durch die Tatsache, daß die Goten auf Nike gingen. Stand Valens noch hier, so hätte es ja sofort zum Zusammenstoß kommen müssen.

Wenn nun statt dessen Valens jetzt schleunig auf Adrianopel marschiert, um zu schlagen, so kann er nicht in der Richtung von Nike gekommen sein, die ihn ja von den Goten weggeführt hätte, sondern es ist das nicht anders zu verstehen, als daß er bereits über Adrianopel hinaus war und umkehrte. Das ist es, was Judeich richtig erkannt und was Ammian selber sich nicht klar gemacht hat.[297]

Nun wird auch das Abschneiden des Zufuhrweges klar: abschneiden kann man nur von hinten, aber nicht von vorn. Ebenso umgekehrt: während Valens bei Adrianopel steht, trifft, von Gratian gesandt, der General Richomer bei ihm ein: wie hätte er das gekonnt, wenn die Goten davor standen?

Ich will die einschlagenden Kapitel Ammians vollständig hersetzen; sie im Zusammenhang lesend, überzeugt man sich leicht, wie einfach sich die Korrektur einfügt.

His forte diebus Valens tandem excitus Antiochia, longitudine uiarum emensa uenit Constantinopolim, ubi moratus paucissimos dies seditoneque popularium leui pulsatus, Sebastiano paulo ante ab Italia, ut petierat, misso, ugilantiae notae ductori pedestris exercitus cura commissa, quem regebat antea Traianus: ipse ad Melanthiada uillam Caesarianam profectus militem stipendio fouebat et alimentis et blanda crebritale sermonum, unde cum itinere edicto per tesseram Nicen uenisset, quae statio ita cognominatur: relatione speculatorum didicit refertos opima barbaros praeda a Rhodopeis tractibus prope Hadrainopolim reuertisse: qui motu imperatoris cum abundanti milite cognito, popularibus iungere festinant, circa Beroeam et Nicopolim agentibus praesidiis fixis: atque ilico ut oblatae occasionis maturitas postulabat, cum trecentenis militibus per singulos numeros lectis Sebastianus properare dispositus est, conducens rebus publicis aliquid, ut promittebat, acturus. qui itineribus celeratis conspectus prope Hadrianopolim, obseratis ui portis iuxta adire prohibebatur: ueritis defensoribus ne captus ab hoste ueniret et subornatus atque contingeret aliquid in ciuitatis perniciem, quale per Actum acciderat comitem, quo per fraudem Magnentiacis militibus capto claustra patefacta sunt Alpium Juliarum. agnitus tamen licet sero Sebastianus et urbem introire permissus, cibo et quiete curatis pro copia, quos ductabat, secuta luce impetu clandestino erupit, uesperaque incedente Gothorum uastatorios cuneos prope flumen Hebrum subito visos paulisper opertus aggeribus et fructetis obscura nocte suspensis passibus incompositos adgressus est, adeoque prostrauit, ut praeter paucos, quos morte uelocitas exemerat pedum, interirent reliqui omnes, praedamque retraxit innumeram, quam nec ciuitas cepit nec planities lata camporum. qua causa percitus Fritigernus et extimescens, ne dux, ut saepe audierat, impetrabilis dispersos licenter suorum globos raptuique intentos consumeret, inprouisos adoriens: reuocatis omnibus prope Cabylen oppidum cito discessit, ut agentes in regionibus patulis nec inedia uec occultis uexarentur insidiis.

Dum haec aguntur in Thraciis, Gratianus docto litteris patruo, qua industria superauerit Alamanos, pedestri itinere, praemissis inpedimentis et sarcinis, ipse cum expeditiore militum manu permeato[298] Danubio, delatus Bononiam, Sirmium introiit, et quadriduum ibi moratus per idem flumen ad Martis castra descendit, febribus intervallatis adflictus: in quo tractu Halanorum impetu repentino temptatus amisit sequentium paucos.

Isdemque diebus exagitatus ratione gemina Valens, quod Lentienses conpererat superatos, quodque Sebastianus subinde scribens facta dictis exaggerabat, e Melanthiade signa commouit, aequiperare facinore quodam egregio adulescentem properans filium fratris, cuius uirtutibus urebatur: ducebatque multiplices copias nec contemnendas nec segnes, quippe etiam ueteranos isdem iunxerat plurimos, inter quos et honoratiores alii et Traianus recinctus est, paulo ante magister armorum. et quoniam exploratione sollicita cognitum est cogitare hostes fortibus praesidiis itinera claudere, per quae commeatus necessarii portabantur, occursum est huic conatui conpetenter, ad retinendas oportunitates angustiarum, quae prope erant, peditibus sagittariis et equitum turma citius missa. triduoque proximo cum barbari gradu incederent leni et metuentes eruptionem per deuia, quindecim milibus passuum a ciuitate descreti stationem peterent Nicen – incertum quo errore – procursatoribus omnem illam multitudinis partem, quam uiderant, in numero decem milium esse firmantibus, imperator procaci quodam calore perculsus isdem occurrere festinabat. proinde agmine quadrato incedens prope suburbanum Hadrianopoleos uenit, ubi uallo sudibus fossaque firmato, Gratianum impatienter operiens, Richomerem comitem domesticorum suscepit ab eodem imperatore praemissum cum litteris, ipsum quoque uenturum mox indicantibus. quarum textu oratus ut praestoleratur paulisper periculorum participem, neue abruptis discriminibus temere semet committeret solum, adhibitis in consilium potestatibus uariis, quid facto opus esset, deliberabat. et com Sebastiano auctore quidam protinus eundum ad certamen urgerent, Victor nomine magister equitum, Sarmata sed cunctator et cautus, eadem sentientibus multis imperii socium exspectari censebat, ut incrementis exercitus Gallicani adscitis opprimeretur leuius tumor barbaricus flammans. uicit tamen funesta principis destinatio et adulabilis quorundam sententia regiorum, qui, ne paene iam partae uictoriae – ut opinabantur – consors fieret Gratianus, properari cursu celeri suadebant.[299]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 282-300.
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