Das feudale Kriegsaufgebot


Das feudale Kriegsaufgebot.

[97] Unter Karl dem Großen haben wir gefunden, daß der König die einzelnen Grafschaften nicht mit bestimmten Zahlen zum Heere aufbot, sondern entweder alle ihre Männer vom Kriegerstande oder eine gewisse Quote davon forderte. Für feste Zahlen fehlten die Grundlagen; die Grafschaften waren sehr verschieden groß und reich, und auch die Länge des Marsches bis zum Sammelplatz machte etwas aus, da die Entfernteren unterwegs, durch Krankheit, Desertion, Kämpfe mit Räuberbanden, Konflikte mit Einwohnern, immer schon eine größere oder kleinere Einbuße erleiden konnten. Der König, dem nicht einmal die nötige Statistik, wieviel jede Grafschaft leisten könne, zur Verfügung stand, konnte also bestimmte Zahlen nicht verlangen, und die Zahl der Krieger war auch gar nicht einmal die Hauptsache und die eigentliche Last; Männer, auch brauchbare Männer werden meist nicht so schwer aufzutreiben gewesen sein:86 das Drückende war die kostspielige Ausrüstung und die mitzubringende Verpflegung.

In dem vollen Feudalstaat seit dem zehnten Jahrhundert gestaltete sich das nun anders, und zwar leichter als im Karolingerreich. Gerade indem die Herzoge und Grafen und bald auch die Bischöfe und Äbte immer weniger Beamte und immer mehr Fürsten geworden waren, war die Leistung zur Heerfahrt eine[97] Sache, die sie selbst anging und nicht kontrolliert zu werden brauchte. Mit dem Rate der Fürsten auf einem Reichstag beschloß der König den Heereszug und sagte ihn an, und es bildete sich die Sitte, daß jeder Fürst feierlich schwur, daß er kommen werde. Schon unter Heinrich I. scheint einmal so verfahren worden sein87 und bis unter Friedrich II. läßt es sich verfolgen.88 Wieviel Ritter und wieviel Knechte er dann mitbrachte, war seine Sache, und da seine Stimme im Rate des Königs genau so viel wog, wie sein Kontingent stark und tüchtig war, so war diese Bürgschaft besser als jede Kontrolle durch Zählen und Mustern.

In dem Heeresgesetz, das Friedrich Barbarossa auf den Roncalischen Feldern erließ und später wiederholte, war daher wohl das Ausbleiben vom Feldzuge mit einer Strafe, dem Verlust des Lehens, bedroht, der Fall aber, daß jemand mit einer zu geringen Anzahl komme, nicht vorgesehen. Nur ganz selten finden wir in den Erzählungen unserer Quellen einmal eine Spur, daß ein Heer überhaupt gezählt worden ist, wie etwa in der Kölner Königschronik, die in ihrem Bericht, wie König Heinrich (VII.) den Herzog von Bayern mit Krieg überzog (1233), einflechten, daß das königliche Heer, das sich auf dem Lechfelde bei Augsburg sammelte, dort als etwa 6000 Mann stark erfunden worden sei.89

Statt fester Zahlen wog also jeder Fürst die Umstände jedes Feldzuges und auch seinen guten Willen ab, um danach sein Kontingent zu bemessen.90[98]

Welche Mühe haben sich noch die karolingischen Könige gegeben, irgend einen Maßstab aufzustellen, wonach sie das Kontingent jedes Grafen ansetzen und dieser selbst die Untertanen aufbieten und beschatzen sollte! Nichts war auf diesem Wege erreicht worden und in den neugebildeten Reichen war man dieser Mühe überhoben.

Ganz wie aber die Historiker des 19. Jahrhunderts wieder versucht haben, aus den karolingischen Kapitularien eine Wehrverfassung zu rekonstruieren, was ebenso fruchtlos bleiben mußte, wie einst das Bemühen des großen Karl selber, so hat man auch für das Zeitalter der Sachsen, Salier und Staufen sich abgemüht, objektive Maßstäbe zu finden, nach denen die Heereslast damals umgelegt und ausgeschrieben worden sei: es war das Bedürfnis des modernen Staates, das man ohne genügende Empfindung für die Eigenart des mittelalterlichen Staates auf diesen übertrug. Der moderne Staat ist nicht denkbar ohne fest Sätze, Abstufungen und Vorschriften für Steuerverteilung und Dienstleistungen. Den mittelalterlichen Staat aber hat man dann recht verstanden, wenn man sich klargemacht hat, daß er solcher Regulative nicht nur nicht bedurfte, sondern sie nicht einmal anwenden konnte. Feudalität bedeutet Zerlegung der höchsten, souveränen Gewalt in mehrere Stufen, die jede für sich eine gewisse Selbständigkeit haben und nach eigenem Ermessen, nicht nach vorgeschriebenem kontrollierbarem Maß für den Staatszweck zusammenwirken. Es ist der eigentliche Herzschlag der feudalen Epoche, den man an dieser Stelle fühlt; man kann nicht stark genug darauf verweisen.[99]

Wie aber der heutige Staat nicht ausschließlich mit Gesetz, Verordnung und Reglement auskommt, sondern daneben auch vielfach auf den guten Willen und freiwillige Leistung rekurriert, so gibt es im Mittelalter umgekehrt Umstände und Verhältnisse, wo die zahlenmäßig fixierte Kriegsleistung einsetzt, und es ist wiederum so charakteristisch wie wertvoll, sich an den Quellen klarzumachen, was das für Stellen sind, an denen die Zahlen genannt werden.

Der einzige große Vasall des deutschen Königs, von dem ein ein für allemal feststehendes Kontingent, 300 Ritter, überliefert ist, ist der Herzog, später König von Böhmen – ganz natürlich, da er nicht zum Deutschen Reich und zum deutschen Reichstag gehörte, sondern als Stammesfremder, Tscheche, dem Deutschen Reich nur angegliedert war. Das feste Kontingent, falls es damals schon bestand, verhinderte natürlich nicht, daß der Böhme, wo er selbst aufs stärkste interessiert war, zur Schlacht auf dem Lechfelde, seinem Lehnsherrn mit 1000 Mann zuzog, und als einer der Allergetreusten Heinrichs IV. mag er auch diesen oft mit mehr als 300 Mann unterstützt haben.

Ähnlich legte Friedrich I. später italienischen Städten bestimmte Leistungen auf, z.B. bestimmte sein Freibrief für die Stadt Lucca, daß diese neben 400 Lire bar und Fodrum für Hof und Heer 20 Ritter (milites) zum Zuge nach Rom und Unteritalien zustellen habe.91

Ein umfassendes Aufgebot nach Zahlen ist uns erhalten aus der Zeit Ottos II. Der Kaiser erließ (im Jahre 981), wahrscheinlich von Italien aus, zum Kampf gegen die Araber einen Stellungsbefehl. Die Bischöfe von Mainz, Köln, Straßburg, Augsburg sollten je 100 Mann, Trier, Salzburg, Regensburg je 70, Verdun, Lüttich, Würzburg, die Äbte von Fulda und Reichenau je 60, Lorsch und Weißenburg je 50, Konstanz, Chur, Worms, Freising, Prüm, Hersfeld, Ellwangen je 40, Kempen 30, Speyer, Toul, Seben, St. Gallen und Murbach je 20, Cambray 12, das Herzogtum Elsaß 70, der Herzog von Nieder-Lothringen 20, die Markgrafen Gottfried und Arnulph, die Herzoge Otto und Cono und Graf Hetzel je 40, andere Grafen 30, 20, 12, einer 10 Mann[100] schicken. Einigen wird befohlen, daß sie auch selber kommen sollen; bei dem Grafen Hetzel, der 40 Mann stellen soll, wird hinzu gefügt, daß, wenn er selber komme, er nur 30 mitzubringen brauche. Der ganze Anschlag beträgt 2080 bis 2090 Mann. Aus dieser Urkunde hat man den Schluß gezogen, daß die Aufgebote immer nach dieser Art zahlenmäßig erfolgt und uns nur dies eine zufällig erhalten sei, oder daß auch eine ganz feste Reichsmatrikel, wieviel von jedem Gebiet zu leisten sei, bestanden habe.92 Man kann aber umgekehrt feststellen, daß dies Aufgebot Ottos II. ein Ausnahmsverfahren gewesen ist. Hätte eine feste Matrikel zugrunde gelegen, so hätte man ja die einzelnen Zahlen gar nicht schreiben, sondern nur mit einem Wort die Quote anzugeben brauchen, und die Zahlen selber zeigen deutlich den Ausnahmefall. Eine ganze Reihe von Fürsten, der Herzog von Ober-Lothringen, die sämtlichen Sachsen, der Bischof von Utrecht fehlen, und von der Gesamtsumme stellen die Geistlichen 1482, die Weltlichen nur 598 bis 608, also nicht viel mehr als ein Viertel. Es ist ganz unmöglich, daß die Kriegslast dauernd so ungleichmäßig über das Reich verteilt war, um so mehr, da die geistlichen Herrschaften damals bei weitem noch nicht den Umfang erreicht hatten, den sie in den nächsten Jahrhunderten einnahmen. Es handelt sich also um ein Aufgebot unter ganz besonderen Umständen und nach ganz besonderen Gesichtspunkten, in erster Linie nicht um die Heerfahrt selbst, sondern zweifellos nur um die Verstärkung von Truppen, die bereits in Italien standen, und das läßt uns auch den Grund erkennen, weshalb gerade diesmal bestimmte Zahlen vorgeschrieben wurden: man mußte denjenigen Fürsten, die heranbefohlen wurden, einen Anhalt gegen, wieviel man unter den obwaltenden Umständen von ihnen erwartete; der allgemeine Grundsatz, mit den den Kräften des Gebiets entsprechenden Mannschaften zu erscheinen, konnte, wo es sich um einen Feldzug in Apulien und um eine bloße Verstärkung handelte, nicht genügen. Der Herzog von Nieder-Lothringen zum Beispiel mußte wissen, daß nur 20 Mann von ihm verlangt wurden und nicht mehr; die geistlichen Fürsten müssen aus besonderen Motiven so viel stärker belastet worden sein als die weltlichen, von denen ja wiederum viele gar nicht herangezogen[101] wurden. Gewiß ist anzunehmen, daß solche zahlenmäßigen Aufgebote nicht dies eine Mal, sondern auch sonst öfter erfolgt sind. Wenn sie aber die Regel gebildet hätten, so würden sie sich schließlich auch zu einem festen Schema, einer Matrikel, verdichtet haben. Davon findet sich aber aus guten Gründen, wie wir gesehen haben, nicht die geringste Spur.93

Eine interessante zahlenmäßige Abmachung bietet weiter ein Vertrag, den Friedrich Barbarossa gleich nach seiner Kaiserwahl mit dem Herzog Berthold IV. von Zähringen schloß94 (1. Juni 1152). Friedrich versprach darin dem Herzog, ihn in die Herrschaft von Burgund, worauf er Ansprüche hatte, einzusetzen, und dieser verpflichtete sich, mit 1000 Panzerreitern dem König, solange er in jenem Lande sei, zu folgen, für Italien aber ihm 500 Panzerreiter und 50 Armbruster zu stellen; er verpfändet dafür sein Allod, die Burg Teck mit dazugehörigen Gütern. Man wird den Vertrag als ein Mittelding zwischen feudaler Heeresfolge und Bündnis bezeichnen dürfen, und so bietet er einen Übergang zu den Soldverträgen, von denen wir noch zu handeln haben werden, und die natürlich auf feste Zahlen gestellt sein müssen.

Etwas anders als zwischen dem König und seinen unmittelbaren Vasallen stellt sich das Verhältnis auf der nächsten Stuffe, zwischen den Fürsten und ihren Untervasallen. Hier treibt kein eigenes Interesse zu scharfer Anspannung der Leistung und daher sind wir hier abermals an einem Punkt, wo zahlenmäßige Verhältnisse einsetzen.

Die Fürsten boten nach ihrem diskretionären Ermessen von ihren belehnten oder nicht belehnten Vasallen und Ministerialen, Rittern und Knechten, deren Verhältnisse und Qualifikation ihnen persönlich bekannt waren, eine Anzahl auf und legten die Lasten[102] der Ausstattung und Ausrüstung zugleich in ihren Gebieten um. Dies diskretionäre Ermessen, sowohl in der Höhe der Gesamtleistung, die sie sich vorsetzten, wie in der Verteilung, öffnete der Willkür Tür und Tor, und da die Last sehr schwer war, so war auch diese Willkür sehr drückend. Schon früh, gewiß früher als uns die Überlieferung erkennen läßt, hat man deshalb gesucht, zu festen, aus der Praxis entnommenen Maßstäben zu gelangen. Von einigen Klöstern und Bistümern sind uns darüber urkundliche Nachrichten erhalten; auch über die Pflichten und Rechte der Ministerialität gegenüber ihrem Dienstherrn sind urkundliche Aufzeichnungen gemacht worden, die uns erhalten sind,95 besonders anschaulich z.B. aus dem Kloster Maurmünster im Elsaß, das unter dem Bischof v. Metz stand, wo festgestellt wird:

»Wenn eine Heerfahrt (profectio) des Königs dem Bischof angesagt ist, so wird der Bischof einen Beamten zu dem Abt schicken, der Abt wird seine Ministerialen zusammenrufen, wird ihnen die Heerfahrt bekannt machen, und die Ministerialen werden das folgende zusammenbringen und das Zusammengebrachte dem erwähnten Beamten an dem bestimmten Tage auf dem Platz vor dem Tor übergeben: einen Wagen mit 6 Rindern und Leuten, ein Saumroß mit Sattel und Zubehör, 2 Mann dazu, den Führer und den Treiber. Geht ein Rind oder das Saumroß zu Grunde, so soll der Beamte aus dem Vermögen des Bischofs Ersatz leisten. Alle Bauernhöfe sollen dazu, wenn der König die Fahrt nach Italien macht, ihre übliche Steuer (das heißt wohl einen ganzen Jahreszins als außerordentliche Steuer) geben. Wenn es aber gegen Sachsen, Flandern oder sonstwohin diesseits der Alpen geht, wird nur die Hälfte gegeben. Aus diesen Beisteuern sollen sowohl die[103] Wagen wie Saumtiere mit Lebensmitteln und dem sonst für die Reise Nötigen beladen werden«.96

Wenn nun innerhalb der einzelnen Grafschaften die einzelnen Leistungen fixiert waren, so war damit auch die Gesamtleistung der Grafschaft in gewissem Sinne festgelegt. Das widerspricht aber nicht unserm Satz, daß von oben her dem einzelnen Fürsten eine bestimmte Leistung nicht auferlegt wurde, und auch wenn die lokalen festen Abmachungen dem Fürsten in seinem Gebiet gewisse Grenzen für seine Forderungen setzten, so schließt das nicht aus, daß er nicht nur unter Umständen unter dieser Grenze blieb, sondern die Grenze wird auch nicht allenthalben, sei es bei den Städten, sei es besonders bei den Bauernschaften, festgestellt gewesen sein. Der Fürst behielt also immer noch viel freie Hand, konnte auch aus seinem Schatz oder aus Anleihen besondere Aufwendungen machen, und brachte er nur aus seinem Gebiet die materiellen Mittel zusammen, Reiter und Knechte, die bereit waren, seinem Banner zu folgen,97 fand er bald. Wie die Fürsten dem Könige, so machten auch wohl die Vasallen und Ministerialen den Fürsten ein bestimmtes Versprechen über ihre Leistung.98

Diejenigen Ritter, die im Besitz eines so bedeutenden Lehen waren, daß sie sich selber für einen Feldzug ausrüsten konnten, mußten das auch tun. Noch im 13. Jahrhundert finden wir in Deutschland und Italien Spuren der Regel, die wir aus den karolingischen Capitularien kennen, daß der Dienst für drei Monate verlangt wird.99 In Frankreich wird viel erwähnt, daß der Vasall[104] aus seinem Lehen nur zu einem Feldzug von 40 Tagen verpflichtet sei;100 diese Regel wird sogar so ausgelegt, daß er berechtigt sei, nach 40 Tagen wieder nach Hause zu gehen, was also jede wirkliche Kriegführung ausschloß, auf jeden Fall aber mußte der Herr für die weitere Zeit die Verpflegung im weitesten Sinne des Worts übernehmen. Wurden Lehen geteilt, so schuldete der Vasall für das halben Lehen 20, für ein Viertel 10 Tage Dienst und noch kleinere Bruchteile kommen vor. Häufig ist auch der Dienst auf bloße Verteidigung oder auf die geographischen Grenzen der Herrschaft beschränkt.101 Mit solchen Einschränkungen hat die feudale Kriegspflicht nur noch dann einen Sinn, wenn sie nichts als die Grundlage und Einleitung für einen Sold-Kriegsdienst bildet.

Einige Bestimmungen aus den Dienstrechten deutscher Ritterschaften mögen noch helfen, uns diese Verhältnisse zu veranschaulichen.

Die Ministerialen des Erzbischofs von Köln waren verpflichtet, innerhalb des Gebietes des Bistums und auch außerhalb zur Verteidigung von Besitztümern des Bischofs bewaffnet zu dienen, weiter brauchten sie nur auf Grund einer Vereinbarung zu folgen.

Zum Römerzuge müssen diejenigen Ministerialen, die über fünf Mark jährliche Einkünfte haben, persönlich folgen, mit Ausnahme des Vogts und des Kämmerers. Diejenigen von geringerem Einkommen haben die Wahl, ob sie mitziehen oder die Hälfte ihres Jahreseinkommens aus dem Lehen als Heersteuer geben wollen. Die Romfahrt muß Jahr und Tag vor dem Auszug angesagt werden.

Jedem Ministerialen, der auszieht, hat der Erzbischof als Beihilfe zehn Mark (also das Doppelte eines höheren Jahreseinkommens)[105] und dazu 40 Ellen seines Tuch (Scharlot) zu geben, um seine Knechte damit einzukleiden, und für je zwei Ritter ein Saumtier mit allem Zubehör und vier Hufeisen mit 24 Nägeln.

Von den Alpen an erhält jeder Ritter vom Bischof monatlich eine Mark. Sollte diese Mark nicht gezahlt werden und Mahnung bei den Beamten des Bischofs fruchtlos bleiben, so legt der Ritter auf das Bett des Bischofs einen entrindeten Stock, den niemand wegnehmen darf. Wenn auch dann keine Zahlung erfolgt, so tritt der Ritter morgens an den Bischof heran, beugt seine Knie, küßt den Saum seines Gewandes und darf, ohne seiner Ehre und Pflicht zu nahe zu treten, nach Hause zurückkehren.

In anderen Dienstrechten sind die einzelnen Bestimmungen sowohl über die Pflicht zur Heerfahrt wie über die Aussteuer durch den Herrn durch die Gewohnheit anders ausgebildet worden.102

Statt des monatlichen Soldes finden sich Zahlungen für die ganze Fahrt von drei Pfund bis zu zehn Pfund. Auch soll der Herr Pferde, Maultiere mit Ausrüstung und Knechte stellen und die Verpflegung übernehmen.

Wer mitziehen muß, ist in Reichenau103 nicht nach dem Einkommen, sondern nach der Größe des Grundbesitzes bestimmt, für verschiedene Klassen verschieden und der Herr hat zu wählen, ob der Ministerial mitziehen oder zahlen soll. Dieses Dienstrecht enthält auch Bestimmungen, wie die etwaige Beute zwischen dem Herrn und den Ministerialen zu verteilen ist.

In Bamberg hat sich noch der alte Modus erhalten, den wir aus den karolingischen Kapitularien kennen, daß statt eine feste Abgabe zu zahlen, die Ritter in Gruppen von dreien zusammengefaßt werden, von denen zwei, die zu Hause bleiben, den dritten, der auszieht, ausrüsten.

Auch aus diesen Bestimmungen ersieht man, daß es sich nach der Zahl um sehr kleine Aufgebote handelt, und möge danach von neuem ermessen, ob die Heere, mit denen Karl der Große von der Elbe bis über die Pyrenäen und von der Nordsee bis nach Rom marschierte, bäuerliche Massenaufgebote gewesen sein können.[106]

Vom 12. Jahrhundert an entwickelten sich die Verhältnisse in Deutschland und Frankreich verschieden. In Deutschland wurde die Monarchie schwächer: um so mehr war die Leistung jedes einzelnen Fürsten seinem eigenen diskretionären Ermessen anheimgegeben. In Frankreich im Gegenteil bildete sich eine stärkere, erbliche Monarchie: hier entstehen deshalb feste Lehnsmatrikeln, aber mit so geringen Leistungen und auch mit so komplizierten Bestimmungen, daß sehr wenig damit zu machen war.104 Feudalität und feste Zahlen sind eben ihrer Natur nach so gut wie inkommensurable Begriffe.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 97-107.
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