Schwertleite und Ritterschlag.

[274] Über die Unterscheidung und Bedeutung dieser beiden Akte ist die Erkenntnis jüngst entscheidend gefördert worden durch GUILHIERMOZ, Essai sur l'origine de la noblesse en France (1902) S. 393 ff., aber gewisse wesentliche Punkte sind mir doch zweifelhaft geblieben. Die Wehrhaftmachung[274] bei den alten Germanen fand zweifellos sehr früh statt, im 14., vielleicht schon im 12. Jahr. Guilhiermoz will sie erst ins 20. Jahr ansetzen, aber seine Beweise sind nicht zwingend. Sehr richtig aber ist sein Nachweis, daß im Mittelalter mehrere aufeinander folgende Majorennitäten existierten, die mit den Zeremonien der capillaturia, des Haarschnitts, und der barbatoria, des Bartschnitts, zusammen hängen. Der Ritterschlag kann nicht wohl an die alte Wehrhaftmachung angeknüpft werden, da er einen vollkräftigen Mann voraussetzt, wohl aber wäre es denkbar, daß er an die Stelle eines späteren Akts, der »barbatoria« getreten ist, und während der Rittergürtel (cingulum militare) ursprünglich und bis ins II. Jahrhundert bei der Wehrhaftmachung überreicht wurde, mag diese Zeremonie im 12. Jahrhundert zu dem zweiten Akt verschoben und mit dem Ritterschlag verbunden worden sein. So lange das cingulum militare mit dem Ritterschlag verbunden war, konnte es natürlich noch nicht standesbildend wirken, wohl aber bei dem zweiten Akt, wo die volle, schwere Ritterrüstung angelegt wurde, die nur der wohlhabende Mann besaß, und in der Regel nur der Mann von Stande trug. Die Folge davon war, daß dieser Akt als der eigentlich wichtige angesehen und feierlich begangen wurde, während die Wehrhaftmachung, die Schwertleite, die früher am meisten beachtet wurde, jetzt zurücktrat. Man sieht, das Technische, die schwerere Rüstung und das starke Pferd, und das Soziale wirken zusammen.

SCHRÖDER (Deutsche Rechtsgeschichte § 42 S. 430) meint, daß die Unterscheidung zwischen Rittern und Knappen sich erst im 13. Jahrhundert geltend gemacht habe; er erkennt dem Akt aber eine sachliche Bedeutung überhaupt nicht zu. Er nimmt an, daß sich neben dem Ritterschlag die Schwertleite mit der Überreichung des Rittergurts beim Eintritt in den Waffendienst dauernd behauptet habe. »Von seltenen Ausnahmefällen abgesehen«, sagt er, »wurde die Schwertleite stets massenweise vollzogen, regelmäßig im Anschluß an höhere Hoffestlichkeiten, bei denen ein Turnier den jungen Rittersleuten sofort Gelegenheit zu geben pflegte, sich in dem neuen Berufe zu erproben.« Ist es aber richtig, daß die jungen Rittersleute sofort nach der Feier im Turnier ihre Tüchtigkeit zu zeigen hatten, so kann der Akt mit der alten Wehrhaftmachung nicht mehr identisch sein. Denn die schwere Turnierrüstung des 12. und 13. Jahrhunderts erforderte die volles Manneskraft mit langer Übung. Man könnte sich ja vorstellen, daß man neben dem eigentlichen Turnier eine Art Jugendspiele veranstaltete. Das scheint aber wieder dadurch ausgeschlossen, daß Heinrich VI., als er im Jahre 1184 in Mainz feierlich wehrhaft gemacht wurde, neunzehn oder zwanzig Jahr alt war; auch von einem Sohne Heinrichs des Löwen und einem Sohne Herzogs Leopold von Österreich wird berichtet, daß sie bereits an Kriegen teilgenommen, ehe sie Ritter geworden.256[275]

Ich denke daher, man muß die Feier in Mainz im Jahre 1184 nicht als Schwertleite im alten Sinne, sondern als den Ritterschlag auffassen, wobei ich es dahingestellt sein lasse, ob und wie lange zwei Feierlichkeiten, eine beim Eintritt in den Knappenstand, die alte Wehrhaftmachung, und als zweite der Ritterschlag, der oft ziemlich weit hinausgeschoben wurde, stattgefunden haben.

ROTH VON SCHRECKENSTEIN S. 215 und S. 224 über Ritterschlag und Wehrhaftmachung widerspricht sich selbst.

Neuerdings ist die Frage behandelt von W. ERBEN, »Schwertleite und Ritterschlag« i. d. Zeitschr. f. histor. Waffenkunde. 1919.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 274-276.
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