Treffen bei Hausbergen.

8. März 1262.

[389] Über dieses höchst interessante Gefecht zwischen den Straßburger Bürgern und den Mannen ihres Bischofs Walter von Geroldseck haben wir zwei Berichte aus den entgegengesetzten Lagern. Auf der Seite des Bischofs steht Richter, Verfasser einer Geschichte des Klosters Senones in den Vogesen (M. G. SS: XXV, 340), der noch gleichzeitig mit dem Ereignis ist, da das Werk schon mit dem Jahre 1265 abschließt. Der zweite Bericht aus der Feder eines unbekannten Verfassers ist erst ein Menschenalter später, etwa 1290, in Straßburg niedergeschrieben, ist also an äußerer Glaubwürdigkeit nicht erstklassig, umso weniger, als der uns überlieferte Text vielleicht hier und da nachträglich etwas retouchiert ist und das Original nicht unbedingt wortgetreu wiedergibt. Dennoch ist dieser »Conflictus apud Husbergen«, wie es früher, »Bellum Walterianum«, wie es jetzt genannt wird, ein kriegsgeschichtlich sehr wertvolles Zeugnis, da, obgleich einzelnes legendarisch umgestaltet ist, der Verfasser sich die Vorgänge offenbar von Beteiligten hat erzählen lassen und einzelne Züge von einer solchen konkreten Anschaulichkeit sind, wie sie nur die wirkliche Wiedergabe des Lebens, der Art, wie sich ein Gefecht der Epoche damals abspielte, erzeugen kann: der Straßburger Chronist Fritsche Closener im 14. Jahrhundert, der mit zu den ersten gehört, die in deutscher Sprache Geschichte schrieben, wußte und konnte für die[389] Geschichte des Bischofsstreits, in den auch Rudolph von Habsburg, der spätere Kaiser, verflochten war, nichts Besseres tun, als jene alte lateinische Aufzeichnung einfach zu übersetzen.395

Der Krieg zwischen den Straßburgern und dem Bischof dauerte schon längere Zeit in der üblichen Weise, indem man sich gegenseitig die Dörfer ausraubte und abbrannte und der Bischof die Zufuhren in die Stadt sperrte. Das ganze Elsaß wurde entvölkert und verwüstet und saß in Trauer, berichtet der Chronist Richter. Da die auf dem Lande angesessene Ritterschaft dem Bischof anhing, so hatte er ein Signalsystem eingerichtet, um sie zusammenzurufen, sobald die Straßburger auszogen; wenn die Glocken in Molsheim, drei Meilen westlich von Straßburg, läuteten, so nahmen die nächsten Glocken das auf und gaben den Ruf durch das ganze Land hin weiter.396

Als nun die Straßburger einmal auszogen, um einen Turm bei Mundolsheim, eine gute Meile nördlich von Straßburg, an der Straße nach Hagenau und Zabern, zu brechen, ließ der Bischof Sturm läuten und kam mit seiner Mannschaft angerückt, die Bürger auf dem Rückmarsch anzugreifen. Den ausgerückten Bürgern kamen die Zurückgebliebenen zu Hilfe und vereinigten sich mit ihnen 3/4 Meilen von der Stadt, westnordwestlich, bei Hausbergen. »Herre der Zorn, min allerliebster«, sprach der alte Ritter Reimbold Liebenzeller, Stadtmeister in Straßburg, der die Ausgerückten kommandierte, zu Nicolaus Zorn, der die Hilfe heranführte, »sint Gotte willekomme, ich begerete uch bi allen minen tagen nie so sere zu sehende, als ich nu tu.«397

Die Bürger stellten sich in Schlachtordnung (ordinantes acies suas »ordetent und mahtent ihren spitz«) und sprachen einander[390] Mut zu, besonders den Fußgängern, welchen man sagte: »sint noch hüte starkes gemütes und fechtent unerschrockenliche umbe unsere stette ere und umbe ewige friheit unser selbes und unserre kinde unde aller unserre nochkummen.« Zwei Ritter wurden noch besonders angestellt, das Fußvolk (populo seu peditibus) zu belehren, wie es fechten solle, und die Bürger gelobten ihnen Gehorsam.

Als die bischöflichen Ritter die Stärke des Feindes sahen, sollen sie Bedenken getragen haben, den Angriff zu wagen. Der Bischof aber schalt sie, als sie ihn warnten, sie seien Feiglinge; wenn sie wollten, so möchten sie abziehen. Da blieben sie um der Ehre willen, und obgleich sie ihren Tod voraussahen, so ritten sie doch in den Streit, erzählt der Chronist.

Ein Straßburger Junker, Markus von Eckwersheim, ein Jüngling, der noch nicht zum Ritter geschlagen war, sprengte den Seinen mit eingelegter Lanze voraus. Ein bischöflicher Ritter namens Beckelarius nahm die Herausforderung an und jagte ihm entgegen. Beider Lanzen zersplitterten und der Anprall war so heftig, daß beide mit den Pferden zur Erde stürzten und beide Pferde tot blieben. Von beiden Seiten eilten die Freunde herzu, und die Straßburger retteten ihren Mann und erschlugen den Gegner.

Jetzt entwickelte sich das allgemeine Rittertreffen, bei dem die Straßburger bald die Oberhand behielten, weil die ganze Menge der mit Spießen bewaffneten Bürger zu Fuß sich in das Gefecht stürzte und den Gegnern die Pferde erstach, so daß sie bald alle am Boden lagen. Reimbold Liebenzeller hatte sie dahin instruiert, sie sollten nur immer zustechen, auch wenn sie das Pferd eines Freundes träfen, denn die Bürger seien ja nahe zu Hause und könnten auch zu Fuße heimkommen. Diese Wendung, die mit einer gewissen Breite ganz ernsthaft in unserer Quelle vorgetragen wird, wird von dem alten Ritter doch wohl humoristisch gemeint gewesen sein. Sie ist aber auf jeden Fall höchst wertvoll für uns als Bild des Mischkampfes von Rittern und Spießern.

Die bischöflichen Ritter erlagen der großen Überzahl und dem Zusammenwirken der beiden Waffen, weil sie von ihren eigenen[391] Spießern im Stich gelassen waren. Die Straßburger hatten ihre Armbrustschützen, statt sie ebenfalls als Hilfswaffe für das Rittergefecht zu verwerten, aus der Masse herausgezogen und vor dem Beginn des Gefechts so aufgestellt, daß sie das bischöfliche Fußvolk verhinderten, seinen Rittern zu Hilfe zu kommen. Wie das möglich war, ist leider aus unserer Quelle nicht ersichtlich. Der Bischof soll, als die Bürger, um einen Graben zu umgehen, eine Wendung in der Richtung auf die Stadt machten, der Meinung gewesen sein, sie wollten sich dem Gefecht entziehen, und deshalb mit seinen Reitern dem Fußvolk vorausgeritten sein und allein mit jenen angegriffen haben, ehe dieses zur Stelle war.

Die Straßburger Schützen können sich aber doch nicht zwischen die feindlichen Ritter und ihr Fußvolk eingeschoben haben. Man könnte es sich vielleicht so vorstellen, daß sie eine Höhe vor der Aufstellung der Ihrigen besetzt hatten, an deren Fuß entlang die Bischöflichen vorgingen. Die Ritter ließen sich nun durch die Armbrustbolzen nicht aufhaltne, das Fußvolk aber scheute davor zurück. Auch diese Auffassung erscheint freilich bei näherem Zusehen kaum haltbar, da doch die Bischöflichen schwerlich durch einen Hohlweg gekommen sind, sie das Schußfeld der Straßburger, das doch nicht sehr groß ist, also leicht hätten umgehen können. Diese ganze Episode wird wohl als sagenhaft zu streichen sein, umsomehr, da unsre Quelle die Schützen nur auf dreihundert, das bischöfliche Fußvolk auf fünftausend Mann angibt. Selbst wenn dieses Fußvolk nur tausend oder achthundert Mann stark gewesen sein sollte, wie konnten dreihundert Schützen sich ihnen, so weit entfernt von dem Gros des Heeres, entgegenstellen? Das müßte doch ein sehr elendes Spießervolk sein, das sich eine Minderzahl von Schützen im freien Felde nicht zu überrennen getraut. Vielleicht ist der Kern der Erzählung, daß die Schützen der Straßburger, auf beiden Flügeln aufgestellt, von dort aus die ihren Rittern unmittelbar folgenden bischöflichen Spießer erfolgreich beschossen und dieser Vorgang dann dahin gesteigert worden ist, sie hätten sie überhaupt an einem Eingreifen in das Rittergefecht verhindert.

Die Hauptsache war jedenfalls eine sehr starke numerische Überlegenheit der Straßburger, die der Bischof aus Rittergeschlecht, der selber als ein »frummer Ritter« mitfocht und dem zwei Rosse[392] unter dem Leibe erstochen wurden, nicht geglaubt hatte, fürchten zu sollen.

Der Bischof wurde geschlagen, 60 Ritter fielen und 76 wurden gefangen genommen. Daß die Straßburger nur einen Mann verloren hätten, der ursprünglich bloß gefangen genommen, nachträglich in der Wut über die Niederlage von den Bischöflichen getötet wurde, steht in zu starkem Widerspruch zu dem ganzen Charakter des Gefechts, um glaublich zu sein. Wenn es wirklich wahr ist, daß die Ritter des streitbaren Bischofs »um der Ehre willen«, obgleich sie ihren Tod voraussahen, sich in den Kampf gestürzt haben, so waren die 60, die gefallen sind, auch die Männer, ihr Lehen nicht umsonst hinzugeben. Das Gefecht war ja auch gar nicht ganz kurz, da der Bischof nach der Tötung des einen Pferdes noch auf ein anderes gesetzt wurde, auch dieses verlor und auf dem dritten entkam. Der Ruhm der Straßburger selber würde durch einen solchen Sieg ohne Blut herabgesetzt werden. Die Fabel wird dadurch zu erklären sein, daß unsere Erzählung ja erst ein Menschenalter später aufgezeichnet worden ist. Die mündliche Überlieferung in Straßburg hielt mit besonderer Entrüstung das Schicksal des Metzgers Bilgerin fest, den die Geschlagenen als Unverwundeten Gefangenen mit sich geführt hatten und nachträglich ermordeten; darüber traten die andern Gefallenen in den Hintergrund, so daß schließlich jener als der einzige Tote genannt wurde.


Wir haben unsere Darstellung des Gefechts ausschließlich auf die eine der beiden Quellen, das bellum Walterianum aufgebaut, weil diese Aufzeichnung, obgleich spät, doch eine große innere Wahrscheinlichkeit für sich hat. Wir wollen aber, wie wir es schon öfters, namentlich bei Cannä, getan haben, als wertvolles Beispiel für Quellen- Kritik hier die wörtliche Übersetzung Richers folgen lassen. Da Richer nicht weit vom Schauplatz der Ereignisse lebte und sehr bald danach schrieb, so würde man, wenn keine andere Quelle vorhanden wäre, vermutlich keinen Anstand nehmen, ihm nachzuerzählen.

Richer also schreibt:

Als der Bischof Walter in einer seiner Burgen, Dachenstein genannt, mit seinem von allen Seiten zu seinem Schutz vereinigten Heer verweilte, kamen die Straßburger eines Tages kriegsberiet aus ihrer Stadt heraus. Als der Bischof dies mit seinen Gewappneten hörte, kündigte er den Straßburgern die Fehde an (»cum suis armatis argentinensibus bellum indixit«; der Ausdruck ist nicht ganz verständlich, da Richer schon vorher[393] erzählt hat, wie man sich gegenseitig das Gebiet verwüstete und ausbrannte. Vielleicht meint der Autor, daß er seinen Leuten befahl, sich kampffertig zu machen). Die Straßburger aber rückten vor gegen den Bischof und traten so in den Kampf. Die Straßburger nun hatten sich Streitäxte machen lassen, die die Franzosen haches danaises nennen, womit die Straßburger die Mannschaft des Bischofs so zerschlugen, daß weder Schild noch Helm noch Panzer noch irgendeine andere Wehr standhalten konnte. Überdies, während der Kampf so gewaltig wurde und sie mit unleidlichem Morden untereinander kämpften, erhielt das Heer der Straßburger Zuwachs. Denn da der Kampf nahe der Stadt war, so eilte die Besatzung und die Bürgerschaft, da sie die Ihrigen in der Hitze des Kampfes sahen, siegeseifrig ihnen zu Hilfe, stürzte sich mit Wut auf das Heer des Bischofs und schlug alles vor sich nieder. Als die Herren und Ritter des bischöflichen Heeres erkannten, daß ihnen keine Rettung bleibe, zogen sie es vor, lieber als Gefangene der Straßburger zu leben, als im Kampfe zu sterben. So brachten die Straßburger sie, der Waffen beraubt, in ihre Stadt. Die Straßburger, in dem Glauben, daß Gott ihnen in diesem Kampfe helfe, stürzten sich auf den Schlachthaufen, in dem der Bischof war, der den Untergang der Seinen vor sich sah, vernichteten ihn und töteten das Pferd des Bischofs, so daß dieser selbst zur Erde stürzte. Einige Ritter aber, die um ihn waren, hoben ihn auf ein Pferd und trieben ihn an, das Schlachtfeld zu verlassen. Die Straßburger nun töteten von ihnen, wen sie wollten und führten andere gefangen in die Stadt ... Die Zahl der Gefangenen soll 80 gewesen sein; die Zahl derjenigen, die außerdem in der Schlacht das Leben verloren, konnte nicht sicher festgestellt werden.

Soweit Richter. Man sieht, daß alle wesentlichen Züge des Gefechts – mit Ausnahme der überlegenen Zahl der Straßburger – verwischt sind. Besonders mache ich aufmerksam auf die dänischen Streitäxte, vermöge deren die Bürger gesiegt haben sollen. Daß die Straßburger bei Ausbruch des Krieges viele neue Waffen fertigen ließen, ist anzunehmen; daß darunter auch Streitäxte waren, ebenfalls. Daß aber gerade diese Waffe in dieser Schlacht solche Wirkung gehabt haben soll, ist abzulehnen, da sonst die Straßburger Quelle selber etwas darüber berichten würde, und man nicht sieht, warum diese fürchterliche Waffe denn nicht immer mit solchem Erfolg gebraucht worden ist. Das Entscheidende war vielmehr ganz gewiß, wie die Straßburger Überlieferung besagte, die Masse von Spießern, die die Ritter der Stadt unterstützte und den Gegnern die Pferde erstach, dazu die Überlegenheit an Schützen, wenn die Art, in der diese wirkten, auch nicht sicher erkennbar ist. Was statt dessen auf der bischöflichen Seite von den Streitäxten erzählt wurde, läßt sich verwerten als Schulbeispiel für die Beobachtung, daß die Erzähler gern mit Besonderheiten motivieren, auch wo wie hier in einem typisch-normalen Gefecht in normaler Weise die Überzahl entschieden hatte.[394]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 389-395.
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