Turenne.

[386] Gleichzeitig mit Torstensson kommandierte im Dreißigjährigen Kriege der Franzose TURENNE. Er muß in einer Geschichte der Kriegskunst erwähnt werden, da er in der Tradition als derjenige Feldherr gilt, der zuerst den entscheidenden Wert auf die Verpflegung gelegt und lieber eine vorteilhafte Unternehmung aufgegeben, als jene in Gefahr gebracht habe. Er gilt deshalb mehr oder weniger für den Schöpfer einer zwar geschickten und tätigen, aber blutscheuen Manöverstrategie und man zitiert gern über ihn das Wort von Clausewitz (IX, 193), seine Kunst sei durchaus nur die seiner Zeit gewesen, die sich in unseren Kriegen ausgenommen haben würde, wie der Galanterie-Degen eines Hofmannes unter Ritterschwertern. Diese Charakteristik und dieser Vergleich sind zwar so richtig wie eindrucksvoll, führen aber doch in die Irre. Turenne, der Sohn einer oranischen Prinzessin, war aus der niederländischen Schule hervorgegangen, wo die regelmäßige Verpflegung des Soldaten zu den heiligsten Regeln der Kriegführung gehörte. Er hat diese Regel also nur übernommen. Aber es mag sein, daß er unter den Feldherren des Dreißigjährigen Krieges dem Verpflegungswesen mehr Einfluß eingeräumt hat, als seine Zeitgenossen. Als er im Jahre 1644 den General Mercy zum Abzug von Friburg gezwungen hatte und eine scharfe Verfolgung Aussichten auf einen erheblichen Erfolg bot, ließ er davon ab und begründet das in seinen Memoiren: »Das alles, was man an Infanterie besaß, gewohnt war, fertiges Brot zu erhalten, und nicht wie die alten Truppen, die lange in Deutschland gedient hatten, es sich selbst zu backen, so konnte man dem Feinde nach Württemberg um so weniger folgen, als man dort keine Magazine vorbereitet fand. Man entfernte sich deshalb vom Rheine nicht.«

Auch sonst findet man in seinen Memoiren die Verpflegungs-Rücksicht immer wieder betont, z.B. auch bei dem Entsatz von Arras 1654.

Man kann die Feldherrntätigkeit Turennes in zwei Perioden teilen, die erste, von den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges und dem Frondekrieg bis zum Pyrenäischen Frieden 1659; die zweite, bis zu seinem Tode 1675, die ersten Kriege unter der Selbstherrschaft Ludwigs XIV. umfassend. Für die zweite, in der[387] die Heere die doppelte und dreifache Größe der Heere jener ersten Periode erreichen, ist die Rücksicht auf die Verpflegung, wie wir schon sahen, das allgemein herrschende Prinzip geworden und auch noch unter Friedrich dem Großen geblieben. Für alle Feldherren dieser Epoche ist daher das Schlachtwort, um bei jenem Clausewitzschen Bilde zu bleiben, zum Galanterie-Degen geworden, aber immerhin spitz und scharf genug, um in der Hand eines kühnen und geschickten Fechters sehr gefährlich zu sein, und auch Turenne wußte diesen Degen tödlich erfolgreich zu handhaben. Eine Schlacht wie Baner bei Wittstock oder Züge und Schlachten von der Großartigkeit wie Torstenssons sind von ihm nicht zu verzeichnen, aber er hat 1674 den Großen Kurfürsten in ähnlicher Weise aus dem Elsaß herausmanövriert, wie Traun Friedrich den Großen 1744 aus Böhmen. Erlitt er eine Niederlage, so nahm er, ähnlich wie Friedrich der Große, sofort wieder eine so herausfordernde, trotzige Stellung ein, daß der Feind sich nicht von neuem an ihn herantraute (1652 im Fronde-Kriege bei Orleans). Über die Bedeutung der Schlacht äußert er gelegentlich (zum Jahre 1646), die wesentliche Frucht eines Sieges sei, daß man sich eines Gebietes bemächtige und sich dadurch verstärke, während der Feind geschwächt werde. Turenne nimmt also in der Geschichte der Strategie und der großen Feldherren wohl eine sehr bedeutende, individuelle Stellung ein, darf aber nicht als der Typus einer besonderen Methode betrachtet, am wenigsten in einen prinzipiellen Gegensatz zu Friedrich gebracht werden, der ja auch nie behauptet hat, daß er sich von den großen französischen Marschällen in seinen Grundsätzen unterscheide.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 386-388.
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